Automatisierung

„Digitalisierungskonzepte bislang erst vereinzelt zu finden“

Im Interview: Christian Knoop, Produktmanager Fabrikautomation Systeme bei Turck

06.04.2020 -

Jeder spricht von Mehrwert durch Digitalisierung. Doch wo liegt der Zusatznutzen, was bedeutet Vernetzung für die Sicherheit meines Unternehmens und welche Services stehen mir zur Verfügung? Diese und weitere Fragen beantwortet uns Branchenexperte Christian Knoop. 

85 Prozent der Maschinen in der Produktion sind heute noch nicht vernetzt, so Ihr Kollege Bernhard Grimm. Ist die Zeit wirklich schon reif für Sensor to Cloud respektive die Turck-Cloud?

Christian Knoop: Definitiv, die 85 Prozent sind vor allem Bestandsmaschinen, die gebaut wurden, als man bei Cloud noch an Wolken am Himmel gedacht hat. Die übrigen 15 Prozent der bereits vernetzten Maschinen stellen vor allem die neueren Lösungen dar. Maschinen, die heutzutage gebaut werden, sind also größtenteils bereits vernetzt. Hier stellt sich aber zunächst die Frage, was unter Vernetzung verstanden wird. Manchmal sind es lediglich VPN-Verbindungen, um zu Fernwartungszwecken auf die Maschine zugreifen zu können. 

Wenn wir bei Turck jedoch von Cloud-Lösungen sprechen, geht das weit über eine reine VPN-Verbindung hinaus. Hier geht es darum, kontinuierlich Maschinendaten zur Verfügung zu stellen, um diese dann in überlagerten Prozessen nutzen zu können. Das alles nicht nur zu Monitoring-, sondern beispielsweise auch zu Optimierungszwecken. Mit dem Thema Sensor to Cloud gehen wir also noch einen Schritt weiter. Hier geht es nicht nur darum, die bereits vorhandenen Maschinendaten aus der Steuerung zu nutzen, sondern auch hilfreiche Zusatzdaten direkt in den Sensoren zu generieren und aus den Sensoren bis in die Cloud zu übertragen.

Welche Erfahrungen machen Sie im „Feld“? Inwieweit hat sich die Digitalisierung in deutschen Produktionshallen schon durchgesetzt? 

Christian Knoop: Das Thema ist aktuell in aller Munde, jeder spricht darüber. In den Produktionshallen selbst sind die neuen Konzepte und Möglichkeiten bislang aber erst vereinzelt zu finden. Das hat mehrere Gründe. 

Bestehende Maschinen haben meist eine recht lange Nutzungsdauer, weshalb die Mehrheit der momentan eingesetzten Maschinen noch aus einer Zeit stammt, in der Cloud-Anbindungen noch nicht üblich waren. Das bedeutet jedoch nicht, dass diesen Maschinen die modernen Möglichkeiten verwehrt bleiben. Turck bietet viele Möglichkeiten, auch bestehende Maschinen einfach nachzurüsten, sei es der Parallelabgriff über unsere Ethernet-Multiprotokoll-Technologie oder funkbasierte Systeme, die sich ohne zusätzlichen Verkabelungsaufwand ganz einfach installieren lassen. Einige Maschinenbetreiber rüsten hier auch bereits nach, andere sind Modernisierungen gegenüber skeptischer, weshalb diese nicht von heute auf morgen umrüsten, sodass die Modernisierung erst langsam Einzug hält.

Bei Neuanlagen sieht das schon anders aus. Neue Maschinen sind heutzutage üblicherweise auch vernetzt. Hier ist lediglich die Frage, in welchem Umfang. Turck bietet für verschiedene Szenarien flexible technische Lösungen an. Was dann tatsächlich zum Einsatz kommt, liegt weniger an den technischen Möglichkeiten, als daran, was der Maschinenhersteller und der Maschinenbetreiber nutzen möchten. Die Herausforderungen sind beispielsweise rechtliche Fragen: Wem gehören die Daten, wer darf welche Daten in welchem Umfang nutzen etc. Oftmals stellt sich aber auch die Frage nach einem passenden Geschäftsmodell bzw. der Wirtschaftlichkeit der neuen Dienste. Die wenigsten Kunden sind bereit, einen Mehrpreis in Kauf zu nehmen, nur weil einige Dinge modern sind. Hier sehen wir deutliche Unterschiede zum Consumer-Markt, wo Anwender gerne auf das aktuellste Modell wechseln, unabhängig davon, ob dessen Zusatzfeatures überhaupt relevant für den Nutzer sind. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Thema erst langsam Einzug hält. Das liegt aber weniger an den technischen Möglichkeiten, denn hier bietet Turck sowohl für Bestands- als auch für Neuanlagen passende Konzepte. Aktuell sind es eher die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte, die für Verunsicherung sorgen. 

Turcks Ziel ist, sich zur Leading Digital Automation Company zu entwickeln. Welche weiteren Schritte außer den Cloud Solutions sind in den kommenden Jahren geplant?

Christian Knoop: Nahezu bei allen Neuentwicklungen, ob Sensor, Feldbusmodul, HMI, Steuerung oder auch Produkte aus dem Bereich Anschlusstechnik, machen wir uns Gedanken, wie Zusatzfunktionen unseren Kunden einen Mehrwert bieten können. Der Weg zur Leading Digital Automation Company bedeutet für Turck aber nicht nur die Entwicklung innovativer Produkte. Es gibt darüber hinaus noch viel mehr, was uns umtreibt, beispielsweise die Firmenorganisation. So haben wir in den vergangenen Jahren ein weltweites CRM- und ERP-System eingeführt, interne Prozesse weiter digitalisiert und unser Logistikzentrum modernisiert, um auf die steigenden Anforderungen unserer immer globaler agierenden Kunden besser, schneller und flexibler reagieren zu können. Zudem bieten wir neben den klassischen Produktdatenblättern und Informationen beispielsweise auch CAD-Dateien und ePlan-Makros für unsere Produkte an, um unseren Kunden den Arbeitsalltag so gut es geht zu erleichtern. 

Turck bietet spezifische Cloud Services für die Automatisierung. Wie genau sind diese auf die Automatisierung zugeschnitten?

Christian Knoop: Wir übertragen nicht bloß einzelne Werte zyklisch in die Cloud. Bei Turck lässt sich flexibel auf Variablenebene definieren, wann welche Variable übertragen wird, zyklisch, aber vor allem auch ereignisgesteuert, sodass etwa ein Temperaturwert nicht jede Sekunde übertragen wird, sondern nur dann, wenn er sich wirklich verändert hat. Ein weiteres, wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die Einfachheit unserer Turck Cloud Solutions. Jeder Anwender, der in der Lage ist, eine SPS zu programmieren oder eine HMI-Visualisierung zu erstellen, kann mühelos auch unsere Cloud nutzen. Wir haben hier den Ansatz „Konfigurieren statt Programmieren“ umgesetzt, sodass zur Implementierung und Nutzung keine speziellen IT-Kenntnisse erforderlich sind. Da wir nicht nur die Software, sondern auch die Hardware liefern, hat der Anwender weitere Vorteile. Wir bieten spezielle Edge Gateways an, die sich an nahezu jede Steuerung anbinden lassen, darüber hinaus haben wir aber auch eine direkte Cloud-Fähigkeit in unseren Produkten, seien es die Steuerungen in IP67, die sich direkt an der Maschine installieren lassen, oder unsere HMIs bis hin zu den Feldbusmodulen, die auch ohne zusätzliches Edge-Gateway direkt in die Cloud kommunizieren können. Das wäre so nicht möglich, wenn wir nicht Hard- und Software ideal aufeinander abstimmen könnten.

Wie verbindet Turck den Kommunikationsstandard IO-Link mit den Cloud Services? Und wo liegen die Vorteile für den Anwender?

Christian Knoop: Wie schon erwähnt, bieten wir nicht nur Edge-Gateways, wir haben die Cloud-Funktionalität auch in unseren Steuerungen und Feldbussystemen integriert. Somit bietet Turck eine einfache Lösung, um IO-Link-Sensorik und -Aktorik ohne zusätzliches Edge-Gateway direkt aus der Feldbusebene mit der Cloud zu verbinden. Besonders mit IO-Link-Devices haben wir die Möglichkeit, intelligente Zusatzdaten zur Verfügung zu stellen, was uns mit klassischen Analogsignalen so nicht möglich wäre. So beispielsweise das Auslesen von Betriebsstunden, der Signalqualität, der Temperatur oder Informationen zu Gerätetyp, Firm- und Hardware-Version oder Einbauort.

Vor allem kleinere Unternehmen sind noch wenig mit IO-Link vertraut beziehungsweise schrecken vor Risiken und Kosten zurück. Mit welchen Argumenten kann Turck hier überzeugen?

Christian Knoop: Eventuelle Ängste vor Risiken und Kosten können wir unseren Kunden schnell nehmen. Es ist immer wichtig, die Applikation gemeinsam mit dem Kunden zu besprechen, um die individuellen Vorteile herauszuarbeiten. Allgemein lassen sich aber einige Vorteile festhalten: Durch die standardisierte Schnittstelle benötigt der Kunde keine geschirmten Leitungen mehr und muss keine speziellen Pinnbelegungen der Analogsignale beachten. Durch den IO-Link-Standard lassen sich meist auch die Anzahl der I/O-Module und somit auch die Kosten reduzieren. In den meisten Applikationen benötigen die Kunden aktuell analoge Ein- und Ausgangsmodule. Oftmals kann ein IO-Link-Master dann zwei oder mehr Module ersetzen. Wenn noch verschiedene Module für Stromsignale und Temperaturmessfühler nötig waren, wird das Einsparpotential noch größer.

Mit unserer SIDI(Simple IO-Link Device Integration)-Technologie ermöglichen wir die direkte Integration von IO-Link-Devices in das Profinet-Engineering, sodass keine komplexen Zusatztools nötig sind. Somit wird die Sensorparametrierung nicht komplizierter (durch zusätzliche Softwaretools), sondern deutlich einfacher, da keine Parametrierung direkt am Sensor erfolgen muss. Da Parameterwerte zentral in der Steuerung hinterlegt sind, kann ein neuer Sensor im Austauschfall unparametriert eingebaut werden. Die nötigen Parameter werden automatisch aus der Steuerung in den Sensor übertragen. Somit lässt sich auch beim Gerätetausch Zeit und Geld sparen.

Wo sind die Daten gehostet? 

Christian Knoop: Dort, wo der Kunde es wünscht. Wir bieten verschiedene Optionen an: zum einen die klassisch von Turck gehostete Variante, in der sich ein Anwender lediglich registrieren muss und dann direkt starten kann. Hier kümmern wir uns um das Hosting inklusive Backups, der Nutzer benötigt kein spezielles Personal. Dieses Szenario bietet Turck seinen Kunden hier in Deutschland an, sodass die Daten das Land nicht verlassen. Für Kunden anderen Ländern wie etwa China oder USA werden wir das Hosting auch im jeweiligen Land anbieten. 
Möchte der Kunde seine Daten lieber bei sich selbst behalten und nicht in ein externes Rechenzentrum geben, spielen wir eine unserer stärksten Karten aus. Für diese Fälle kann Turck spezielle on-premises-Lösungen anbieten, sodass der Kunde seine eigene Cloud dort betreiben kann, wo er es wünscht – sei es direkt an der Maschine oder in seinem eigenen Rechenzentrum, wenn gewünscht auch ganz ohne Internetverbindung.

„Wenn es sich um sensible Daten handelt, die weder der Konkurrenz noch ausländischen oder inländischen Geheimdiensten oder Behörden in die Hände fallen sollen, sind Cloud-Lösungen immer schwierig“, schreibt Prof. Dr. Riehm von der Universität Passau in einem Interview mit der messtec drives Automation (10/19). Wie beurteilen Sie die Sicherheit der Daten im Allgemeinen und der Turck-Cloud im Speziellen?

Christian Knoop: Wenn eine Cloud genutzt werden soll, kommt es letzten Endes immer auf eine ganzheitliche Betrachtung an. Da spielen einige Faktoren eine Rolle. Beispielsweise der Übertragungsweg, der sollte natürlich verschlüsselt sein. Seine Daten heute noch unverschlüsselt zu übertragen, wäre tatsächlich fahrlässig. Hier bieten wir mit unserem Kolibri-Protokoll eine sichere Lösung. Der nächste Schritt wäre dann die Datenhaltung selbst, auch hier werden die Daten bei Turck ausschließlich verschlüsselt gespeichert. Wichtig ist es aber auch, Themen wie beispielsweise die Benutzerverwaltung und Zugriffsrechte im Blick und stets aktuell zu halten, sowohl in der Cloud als auch auf den Geräten im Feld. (agry)

Kontakt

Hans Turck GmbH & Co. KG

Witzlebenstr. 7
45472 Mülheim an der Ruhr
Deutschland

+49 208 4952-0
+49 208 4952-264

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