Motoren unterstützen Seismometer für minimale Neigungsänderung
11.08.2016 -
Man stelle sich einen rund 10.000 km langen Balken vor: Schiebt man am Ende in Tokio ein Blatt Papier darunter, kann ein auf dem Züricher Balkenende stehendes Seismometer die minimale Neigungsänderung exakt anzeigen. Zu solcher Präzision tragen vier Kleinstantriebe bei, die auch unter harten Umgebungsbedingungen im Außeneinsatz funktionieren müssen.
Seismologie erforscht Erdbeben und beispielsweise die Erschütterungen, die die Bewegungen der Kontinentalplatten verursachen. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Vorgänge im Erdinneren ziehen. Ein richtiges Erdbeben ist relativ leicht zu vermessen, die Signale lassen sich auch mit wenig empfindlichen Sensoren erfassen. Schwieriger wird es, wenn die Mikroseismik bis hin zum Wellenschlag des Ozeans erfasst werden soll. Das traditionelle Seismometer hat da keine Chance. Es besteht aus einem Pendel, das an einer Feder hängt. Am Pendel ist ein Stift befestigt, der bei Erschütterung Kurven auf eine fortlaufende Papierrolle zeichnet. Diese Seismometer haben einen maximalen Dynamikumfang von ca. 60 dB. Ausschläge unterhalb der Strichbreite des Stifts zeigen sie nicht mehr.
Elektronische Waage mit drei Pendeln
Der Geophysiker Gunar Streckeisen entwickelte an der Eidgenössischen technischen Hochschule (ETH) in Zürich zusammen mit dem Assistenten Erhard Wielandt bereits vor mehr als drei Jahrzehnten das sogenannte Breitbandseismometer STS-1. Später gründete er nicht weit von Zürich die Streckeisen AG, um solche Geräte herzustellen und in der ganzen Welt zu vertreiben. Auch diese Seismometer basieren auf beweglichen Pendeln. Doch einen Stift gibt es nicht. Stattdessen sorgt ein elektromagnetisches Feedbacksystem dafür, dass das Pendel immer in der einmal gefundenen, austarierten Gleichgewichtsposition verbleibt. „Das funktioniert wie eine elektronische Waage“, erklärt Robert Freudenmann, Geschäftsführer bei der Streckeisen GmbH. „Gemessen wird der Strom, der für die Nachführung benötigt wird – je größer die einwirkende Bewegung, desto höher das Korrektursignal.“ So können die Breitbandseismometer einen Dynamikumfang von 145 dB abdecken.
Damit die Bewegungen in allen drei Dimensionen erfasst werden, enthält jedes Seismometer drei Pendel, die in einer leicht schrägen Position, kreisförmig angeordnet, jeweils um 120 Grad versetzt sind. Je nach Richtung der einwirkenden Kraft reagieren sie unterschiedlich. Aus den jeweiligen Korrektursignalen lässt sich dann ein dreidimensionales Bild der räumlichen Verschiebung berechnen.
Schrittmotoren für perfekte Balance
Einmal installiert, arbeitet die hochpräzise Elektromechanik automatisch und ohne menschlichen Eingriff über lange Zeit. Entscheidend sind exakte Ausrichtung des Seismometers und Ausbalancieren der Pendel vor der Inbetriebnahme. Freudenmann: „Um die Pendel ins Gleichgewicht zu bringen, wird je eine bewegliche Masse auf den Pendeln soweit verschoben, bis diese perfekt ausbalanciert sind. Die Masse ist ein Zahnrad, das durch Drehen auf einer Achse hin und her bewegt wird.“
Dieses sogenannte Centering der Pendel übernehmen Schrittmotoren des Typs AM0820-V-5-56-08 mit 16:1-Planetengetriebe von Faulhaber. Der Zweiphasen-Schrittmotor liefert 20 Schritte pro Umdrehung und ein Drehmoment von 0,65 mNm. Mit einem Durchmesser von 8 mm und knapp 45 mm Länge ist die Motor-Getriebekombination dabei ausgesprochen kompakt. Dazu muss sie aber noch eine ganze Reihe von Anforderungen erfüllen, um der anspruchsvollen Anwendung gerecht zu werden: geringe Stromaufnahme; präzise, spielfreie Bewegung und große Funktionssicherheit. So darf sich die Antriebslösung nicht von tiefen Temperaturen beeinträchtigen lassen, denn Streckeisen-Geräte werden auch nahe der Pole eingesetzt. Das wichtigste ist aber die dauerhafte Zuverlässigkeit: „Für Langzeitmessungen wählt man Standorte, in denen die Umgebungsbedingungen sehr stabil sind“, erklärt Freudenmann. „Im Extremfall werden die Pendel vor der Inbetriebnahme das erste Mal ausbalanciert, und das zweite Mal vielleicht erst zehn Jahre später. Dann muss der Motor nach langem Stillstand sofort wieder präzise sein Werk verrichten.“
Kleinstmotor sichert Transport
Nicht alle Geräte werden für Langzeitmessungen eingesetzt. In sogenannten Array-Messungen wird eine größere Anzahl von Seismometern in einem Gittermuster über ein bestimmtes Gebiet verteilt, um die Besonderheiten des dortigen Untergrundes zu erfassen. Sind die Messungen nach einigen Monaten bis Jahren beendet, wird das Gitter verschoben, die Geräte reisen zum nächsten Einsatz weiter. Die unvermeidliche Bewegung beim Transport ist aber Gift für die empfindlichen Sensoren. Damit sie keinen Schaden nehmen, werden die beweglichen Teile deshalb mit einer Transportsicherung arretiert. Das erledigt der vierte Motor im Streckeisen-Seismometer, ein DC-Kleinstmotor der Baureihe 0816SR. „Praktischerweise kann uns Faulhaber sowohl Schrittmotoren als auch Kleinstmotoren mit der passenden Spezifikation und hohen Qualität liefern“, so Freudenmann. Bei 8 mm Durchmesser ist der edelmetallkommutierte Motor lediglich knapp 16 mm lang und liefert ein Drehmoment von 0,7 mNm.
Tests im Luftschutzkeller
Auch bei den Breitbandseismometern bleibt die Entwicklung nicht stehen. Eine neue, rohrförmige Variante beispielsweise lässt sich in Bohrlöchern versenken. Nach wie vor wird aber die Montage in filigraner Handarbeit ausgeführt. Ob die Komponenten mit der nötigen Genauigkeit zusammenspielen, lässt sich erst am Ende überprüfen. Deshalb wird jeder fertige Sensor in einem Luftschutzkeller ausgiebig getestet, unter anderem auf die Unempfindlichkeit gegen Luftdruckschwankungen. „Man mag es kaum glauben, aber der höhere Luftdruck verändert tatsächlich den Raum, wenn auch nur um wenige Nanometer“, erklärt Freudenmann. „Unsere Geräte können diese Veränderung erfassen. Wäre ein Gerät undicht, würden wir ein abweichendes Signal bekommen. So stellen wir sicher, dass nur einwandfrei funktionierende Seismometer ausgeliefert werden.“