Marketing im Zeichen der Corona-Krise
24.06.2020 -
Das Corona-Virus wird wahrscheinlich die schwerste Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg auslösen. Auch die Automatisierungsbranche ist davon betroffen. Uwe Lawrenz, Geschäftsführender Gesellschafter von Zirox, ein kleines Unternehmen, das sich auf die Optimierung von industriellen Produktionsprozessen mit Festelektrolytsensoren spezialisiert hat, lässt uns teilhaben an seinen Gedanken zur Krise und zum Umgang damit.
Seit Wochen lesen wir kaum positive Nachrichten über die weltweite Wirtschaft. Weil in Europa, Asien und Amerika die Läden schließen mussten, wurden allein in Bangladesch mehr als eine Million Näherinnen entlassen. Nach einer aktuellen Mitteilung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel planen in Deutschland zahlreiche Branchen den Abbau von Arbeitsplätzen. Laut einer Umfrage des Münchener IFO-Instituts betrifft die Entlassungswelle 58 Prozent der Betriebe in der Gastronomie, 50 Prozent der Hotels und 43 Prozent der Reisebüros. Im Schnitt haben bereits 18 Prozent der Unternehmen in Deutschland Arbeitsplätze gestrichen. Auch die Industrie ist davon betroffen, so werden laut Umfrage 39 Prozent der Automobilhersteller und -zulieferer Beschäftigte entlassen oder befristete Verträge nicht verlängern. Der Kaufkraftverlust all dieser Menschen, aber auch die enormen Kostensteigerungen in vielen Branchen aufgrund der strengen Hygienemaßnahmen führen mit einer gewissen Zeitverzögerung dazu, dass auch die Automatisierungsindustrie in eine schwere Absatzkrise geraten wird. Viele führende Volkswirte, wie das IFW, gehen von einem U-förmigen Konjunkturverlauf aus, einem starken Einbruch der Wirtschaftsleistung mit einer langsamen Verbesserung der Lage in den kommenden 12 Monaten. Allerdings denke ich aufgrund der Erfahrungen aus früheren Krisen eher, dass wir einen W-förmigen Konjunkturverlauf, das heißt einen starken Zweitrundeneffekt im Laufe des kommenden Jahres erleben werden. Die Kaufkraftverlust der Verbraucher ist massiv und wird sich erst mit einer gewissen Zeitverzögerung bei ihren Investitionsentscheidungen bemerkbar machen. Neu an der Corona-Krise ist, dass im Gegensatz zu früheren Wirtschaftskrisen diesmal tatsächlich die gesamte Welt betroffen ist, die üblichen Konjunkturzyklen sind außer Kraft gesetzt.
Erfahrungen aus früheren Krisen
Die Umsatzzahlen von Zirox sprechen eine klare Sprache. Während im ersten Quartal eine Umsatzsteigerung von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr erreicht wurde – getragen vor allem durch die Kunden in Asien – liegen die Auftragseingänge im zweiten und dritten Quartal bisher bei 75 Prozent unter denen des Vorjahres. Selbst die starke Entwicklung im ersten Quartal verdeutlicht eher den Umfang der Krise. Neben einer Auflösung des Investitionsstaus aus dem vergangenen Jahr, der eher länderspezifische Ursachen hatte, gab es in erheblichen Umfang Reserve-Bestellungen von Anlagenherstellern in Südkorea und Singapur. Auch diese gingen von einer Unterbrechung ihrer eingespielten Lieferketten aufgrund der Corona-Krise aus und haben dementsprechend weit über ihrem eigentlichen Bedarf bestellt. Obwohl die Lage ernst ist, wäre es trotzdem falsch, jetzt in Pessimismus zu verfallen.
Dabei hilft ein Blick auf frühere Krisen. Als relativ kleiner Betrieb aus Ostdeutschland gehört das Unternehmen auf seinem Arbeitsgebiet, der Optimierung von industriellen Produktionsprozessen mit Festelektrolytsensoren, zu den Weltmarktführern. Mit direkten Kundenkontakten in rund 80 Ländern und einer OEM-Sparte, die weitere Länder mit ihren Anlagen abdeckt, ist das Unternehmen weltweit präsent. Das war nicht immer so. Bereits in den Anfangsjahren gab es so manche Krise, die beinahe das Ende des Unternehmens bedeutet hätte. Während viele andere Firmen in Deutschland die relativ kleine Wirtschaftskrise nach dem Platzen der Dotcom-Blase kaum gespürt haben, kam 2003 für Zirox der perfekte Sturm.
Über mehrere Monate brachen die Umsätze, die ohnehin noch nicht allzu hoch ausfielen, über mehrere Monate auf weniger als die Hälfte der Vorjahresumsätze ein. Verbunden mit den zu dieser Zeit noch immer relativ hohen Fixkosten war die Situation des Unternehmens extrem kritisch. Erst nach dieser existentiellen „Nahtod-Erfahrung“ kamen alle betrieblichen Strukturen und Prozesse auf den Prüfstand. Die wohl naheliegende Entscheidung war es, jetzt in weit größerem Umfang als zuvor Reserven für die nächste Krise zu schaffen, die unweigerlich irgendwann kommen würde. Obwohl zwei inzwischen ausgeschiedene Gesellschafter immer wieder gegen die ihrer Meinung nach völlig „überdimensionierten“ Rücklagen protestiert hatten, erwies sich diese Politik in der Finanzkrise 2009 als goldrichtig. Während das Unternehmen diese Krise weitgehend aussitzen konnte, kamen einige wichtige Kunden in Asien in existentielle Schwierigkeiten, sie mussten über mehrere Monate Umsatzeinbußen von mehr als 90 Prozent verkraften.
Problemlösung steht im Vordergrund
Bis zu dieser Zeit waren wie in fast allen Betrieben Messen und Kundenbesuche die wichtigsten Marketinginstrumente. Auch hier wurde die Wirksamkeit solcher Instrumente kritisch hinterfragt. Ein wichtiger Aspekt dabei war, dass ein klassischer Außendienst aufgrund der weiten Entfernungen zu den Kunden ohnehin sehr kostenintensiv und wenig effizient war. Ausgangspunkt für die Neustrukturierung war die Frage, was im Vordergrund der Kundenansprache stehen sollte. Dabei wurde bald klar, dass es den meisten Kunden weniger um bestimmte Produkte oder Produkteigenschaften geht, sie suchen eher einen kompetenten Partner für ihre spezifischen Projekte oder Probleme.
Im Vordergrund der Kundenansprache sollten also künftig nicht mehr bestimmte neuentwickelte Produkte stehen, sondern vielmehr die Problemlösungskompetenz des Unternehmens. Dazu gehörten eine entsprechende Produktpolitik, ein Corporate-Design und die Weiterentwicklung der unternehmensspezifischen Stärken, die es wohl in jedem Unternehmen gibt. Schwerpunkt der Kundenbetreuung war jetzt die möglichst kompetente Beratung nicht nur zu den Problemlösungen, welche das Unternehmen selbst beisteuern konnte, sondern auch zu Leistungen von Wettbewerbern. Aus Kostengründen erfolgte diese in der Regel telefonisch oder per E-Mail, Kundenbesuche fanden nur noch in Ausnahmen statt. Wichtig war dabei die Kreativität der Entwickler, die auch bei kundenspezifischen Neuentwicklungen oder Einzelstücken oft eine kostengünstige und praxistaugliche Lösung fanden. Auch wenn das Unternehmen seitdem weiterhin auf Messen weltweit präsent war, hatte sich doch das Konzept völlig geändert. Während für die meisten anderen Unternehmen ihre Produktneuentwicklungen im Vordergrund der Messen stehen, versuchen wir heute eher, das Unternehmen an sich mit seiner Kernkompetenz zu präsentieren.
Ein schönes Beispiel, wie dieses Konzept funktioniert, bekam ich vor rund zwei Jahren. Ein mir unbekannter Industriekunde aus Bolivien rief mich an und schilderte sein Messproblem. Es stellte sich heraus, dass dieser Kunde bei einer Industriemesse vor mehr als 15 Jahren zufällig bei mir am Stand war. Während ich mich nicht mehr an diesen Messebesucher erinnern konnte, hatte bei ihm anscheinend unser Messeauftritt den Eindruck hinterlassen, dass wir ihm bei seinem aktuellen Problem helfen können.
In der aktuellen Corona-Krise sind die klassischen Instrumente Messen oder Kundenbesuche kaum noch möglich. Die geplanten Dienstreisen zu den wichtigen asiatischen Kunden mussten bereits verschoben werden. Wohl auch mittelfristig werden Großereignisse wie die Industriemessen nicht mehr den Stellenwert früherer Tage bekommen. Wie kann die Vertriebsarbeit jetzt anders strukturiert werden? Das gezeigte Beispiel zeigt, wie es gehen kann. Obwohl in der akuten Krise der vergangenen Monate die Kundenanfragen deutlich geringer geworden sind, erleben wir selbst jetzt, dass immer wieder Neukunden anfragen. Viele von ihnen kennen uns entweder von früheren Messeauftritten oder einfach durch Mund-zu-Mund-Propaganda von Bekannten. Unter Kostengesichtspunkten gibt es wohl kein effizienteres Mittel. Es setzt allerdings voraus, dass das Unternehmen tatsächlich als Problemlöser wahrgenommen wird.
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