„Wartung und Instandhaltung wird planbar“
12.04.2017 -
Die Welt wird smarter. So auch die Welt der Kunststoffe und Energieketten. Möglich wird das durch Smart Plastics, die sich mithilfe intelligenter Sensoren permanent selbst überwachen und das Ende ihrer Lebensdauer vorhersagen können. Michael Blaß, Prokurist E-Kettensysteme, erklärt uns wie viel Intelligenz möglich ist, inwieweit der Anwender davon profitiert und wie es mit den Mehrkosten für Smart Plastics ausschaut.
Laut Ihrer Homepage sind Ihre Smart-Plastic-Prototypen seit Juni 2016 lieferbar. Gibt es erste Reaktionen seitens des Marktes?
Michael Blaß:
Unsere Smart Plastics sind bereits bei mehreren Unternehmen im Einsatz, sowohl in der Testphase als auch – vor allem bei unseren Chainflex-Leitungen – im Serieneinsatz. Konkrete Anwendungen sind hier beispielsweise Portale zum Transport in Automobilfabriken, wo selbst kurze ungeplante Stillstandzeiten sehr große Umsatzausfälle nach sich ziehen.
Und mit welchen Produkten starten Sie?
Michael Blaß:
Unter dem Produktnamen Isense kombinieren wir momentan unterschiedliche Sensoren und Überwachungsmodule in und an den Kunststoffkomponenten, die im laufenden Betrieb permanent den Zustand der E-Kette, der Chainflex-Leitung oder der Linearführung überwachen. Dabei werden bei Ketten und Linearführungen mittels Sensoren beispielsweise Verschleißwerte gemessen. Ist der Abrieb so weit fortgeschritten, dass das Ende der Lebensdauer bald erreicht ist, löst der Sensor ein Signal aus. Mit der Restlebensdauer der E-Kette kann der Anwender den Kettenaustausch in sein nächstes Wartungsintervall einplanen. Bei unserer intelligenten Chainflex-Leitung ist es so, dass mithilfe zweier Adern in der Leitung und dem Abgleich unserer Datenbanken und Millionen von Ergebnissen aus unserem Testlabor die noch verbleibende Lebensdauer vorausgesagt und der Austausch eingeplant werden kann.
Welche weiteren Igus-Produkte werden folgen?
Michael Blaß:
Wir arbeiten konstant daran, die vorgestellten Systeme zu optimieren, die Kosten dafür zu senken und eine Lebensdauer- und Ausfallüberwachung präziser und transparenter zu gestalten.
Integrierte Intelligenz heißt, dass Igus seine Kunststoffe mit intelligenten Sensoren im oder am Produkt ausstattet. Das heißt der Sensor bringt die Intelligenz ein, der Kunststoff an sich ist nicht intelligent?
Michael Blaß:
Im Zusammenhang von Industrie 4.0 wird die Intelligenz durch die Sensortechnik sowie die digitale Vernetzung der Maschinen und Produkte erreicht. So gesehen ist der Kunststoff allein nicht intelligent. Der Kunststoff ist jedoch insofern intelligent, als dass er form- und veränderbar ist wie kein anderer Werkstoff. Wir entwickeln ständig neue Hochleistungskunststoffe, welche die Reibung und den Verschleiß in der Bewegung vermindern und somit die Lebensdauer unserer Produkte erhöhen. Die voraussichtliche Lebensdauer unserer Kunststoff-Komponenten lässt sich schon heute ohne Sensoren auf der Grundlage von Erfahrungswerten aus Millionen von Testergebnissen in unserer Datenbank sowie mithilfe unserer Online-Tools und Apps berechnen. Durch die Sensortechnik hinzugekommen ist die Erfassung der tatsächlichen Zustandsdaten im Realbetrieb mit dem Ergebnis, mögliche Maschinenausfälle exakt vorhersehen und die Wartung entsprechend planen zu können.
Inwieweit profitiert der Anwender von den intelligenten Kunststofflösungen? Welche Informationen bekommt er zur Verfügung gestellt?
Michael Blaß:
Smart Plastics tragen innerhalb der vorausschauenden Wartung, der sogenannten Predictive Maintenance, dazu bei, dass die Prozesse einfacher und sicherer werden. Mithilfe der intelligenten Sensoren überwachen sich unsere Kunststoff-Komponenten im laufenden Betrieb permanent selbst und sehen Störungen und Verschleißerscheinungen voraus, bevor es zu einem ungeplanten Ausfall oder Maschinenstillstand kommt. Die Wartung und Instandhaltung betroffener Teile werden dadurch planbar, so dass sich gegenüber periodischen Wartungen teure Ausfallzeiten reduzieren. Insgesamt erhöht sich für den Anwender die Sicherheit und Verfügbarkeit seiner Anlage.
Lassen sich bereits vorhandene Energieketten, Linearführungen oder Leitungen nachrüsten?
Michael Blaß:
Ja, zum großen Teil können die Produkte der Isense-Familie nachträglich in bestehende Maschinen und Anlagen integriert werden. Lediglich bei Isense CF.Q – den intelligenten Leitungen – ist eine noch neuwertige Leitung in der Anwendung notwendig, da für die Messung der elektrischen Eigenschaften ein sauberer Startwert benötigt wird.
Was, wenn ein in eine Leitung integrierter Sensor seinen Dienst versagt?
Michael Blaß:
Wie bereits erwähnt, ist im Innern der Leitung kein Sensor verbaut. Wir messen mit Sensoren die elektrischen Abweichungen an zwei Adern in den Leitungen. Fortlaufende Tests im Labor und in Kundenanwendungen helfen uns dabei, die Analyse der Messwerte immer präziser zu gestalten.
Wo sehen Sie zukünftige Einsatzbereiche von Smart Plastics im industriellen Umfeld?
Michael Blaß:
Derzeit werden die Igus-Isense-Komponenten in den Fertigungsanlagen verschiedener deutscher Automobilhersteller eingesetzt. Doch zukünftig sind sie überall dort sinnvoll, wo vorausschauende Wartung aus Kostengründen, zur Erhöhung der Anlageneffizienz oder zur Reduzierung des Energieverbrauchs gewünscht sind. Bei E-Ketten sind dies besonders Anwendungen mit langen Verfahrwegen wie in Hafenanlagen oder Kransystemen.
Wie viel Intelligenz ist überhaupt möglich?
Michael Blaß:
Unser Ziel ist es, mithilfe von Sensoren immer exaktere Prognosen bezüglich der Haltbarkeit und Lebensdauer unserer Komponenten abgeben zu können. Das Sammeln und Auswerten von Maschinendaten ist dabei ein wichtiger Faktor. In diesem Sinne planen wir, unsere Komponenten mit weiteren Sensoren auszustatten. Mit bisherigen Systemen werden einfache digitale I/0-Signale gesendet, wenn ein Grenzwert überschritten wird. Das Icom-Modul gibt die Wartungsinformation an das System der Produktion weiter.
Die digitale Vernetzung von Maschinen und Produkten ermöglicht es zudem, Zustandsdaten von Maschinenkomponenten zu erfassen und diese mit Daten aus weiteren Systemen zu kombinieren. Der nächste Schritt wäre folglich eine Lösung zu entwickeln, die nicht nur lokale Produktionsdaten erfasst und auswertet, sondern auch mit Daten anderer Anwendungen sowie den vielen Testergebnissen aus der Igus-Datenbank gespeist wird – entweder in Form einer Applikation beim Anwender oder cloudbasiert. Wären die Daten dann in einem weltweiten Testlabor vergleichbar, ließen sich mithilfe der Analyse und Auswertung unterschiedlicher Anwendungen eine Vielzahl an statistischen Werten ermitteln, die einerseits noch genauere Vorhersagen ermöglichten und andererseits aber auch wieder in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte zurückfließen könnten.
Und hat diese ihren Preis?
Michael Blaß:
Die durch die Sensortechnologie steigenden Produktkosten amortisieren sich beim Anlagenbetreiber schnell, indem er die Mehrkosten durch sinkende Wartungs- und Instandhaltungskosten sowie geringere Ausfallzeiten auffängt.
Industrie 4.0 – welchen Beitrag leisten hier Ihre Smart Plastics?
Michael Blaß:
Die vorausschauende Wartung ist im Maschinen- und Anlagenbau ein wichtiger Faktor innerhalb von Industrie 4.0. Durch den Einsatz von Sensoren und IT-gestützter Datenanalyse haben sich die bisherigen Wartungsstrategien weiterentwickelt. Die Ausrüstung unserer Energieketten mit Sensoren und Überwachungsmodulen machen die Prozesse in der Produktion sicherer, da durch die permanente Überwachung aller Komponenten Störungen und Verschleiß erkannt werden können, bevor es zu einem ungeplanten Maschinenausfall und Anlagenstillstand kommt. Auf diese Weise können die Wartung und Instandhaltung betroffener Teile frühzeitig eingeleitet werden. Damit werden Smart Plastics als strategische Mittel eingesetzt, um Kosten in der Fertigung zu senken: Sei es in der Optimierung der Ressourcen in der Wartung und der Ersatzteil-Logistik oder durch höhere Reaktionsgeschwindigkeiten innerhalb von Fertigungsabläufen. Zudem werden teure Produktionsausfälle durch Maschinen- und Anlagenstillstände vermieden.