Lamento um zwei Buchstaben: Industriesteckverbinder und die CE-Kennzeichnung
09.12.2019 -
Gesetzliche Vorschriften und Richtlinien unterliegen allgemein dem Gebot, so verständlich und präzise formuliert zu werden, dass sie in Sprache und Inhalt eindeutig interpretiert werden können und möglichst keinen Auslegungsspielraum bieten. Dass in diesem Punkt Anspruch und Wirklichkeit zuweilen auseinander gehen, zeigt sich spätestens dann, wenn die Definition eines Begriffs und damit die Frage, ob ein betrachtetes Objekt von einem Gesetzestext erfasst wird oder nicht, zur Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien führt.
Eine solche Kontroverse beschäftigte in den vergangenen vierzehn Jahren Ilme auf der einen Seite und dessen Mitbewerber, den ZVEI sowie die Wettbewerbszentrale auf der anderen. Gestritten wurde über die CE-Kennzeichnungspflicht für Industriesteckverbinder, die Ilme seit Inkrafttreten der neuen Niederspannungsrichtlinie (Low Voltage Directive LVD) am 01.01.1997 für gegeben sah. „Die CE-Kennzeichnung ist eine Konformitätserklärung des Herstellers, mit der er bestätigt, dass sein Erzeugnis allen produktspezifischen Anforderungen geltender EU-Richtlinien entspricht,“ erklärt Marc Thiedecke, Geschäftsführer von Ilme. Er verweist auf die Niederspannungsrichtlinie: „Hierunter fallen alle elektrischen Betriebsmittel, die für eine Nennspannung zwischen 50V und 1.000V Wechselstrom oder 75V – 1.500V Gleichstrom ausgelegt sind. Für uns stand es daher außer Frage, unsere Steckverbinder-produkte nach Ablauf der Übergangsfrist ab dem 01.01.1997 mit dem CE-Kennzeichen zu versehen. Um dies sicherzustellen, mussten beinahe sämtliche Werkzeuge modifiziert werden, was mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden war.“
Damit wären wir schon bei der Begriffsbestimmung, die für einigen Dissens in der Steckverbinderbranche sorgte. Denn was genau ist unter einem ‚elektrischen Betriebsmittel’ zu verstehen? Der Definition des IEC (Internationale Elektrotechnische Kommission) folgend, handelt es sich hierbei um Produkte, ‚die dem Zweck der Erzeugung, Umwandlung, Übertragung, Verteilung oder Anwendung elektrischer Energie genutzt werden.’ Damit wäre doch eigentlich alles klar, schließlich dienen Industriesteckverbinder vorrangig der Übertragung elektrischer Energie. Sollte man meinen und sich der Sichtweise von Ilme anschließen. Zu kurz gesprungen, befand die Gegenseite und argumentierte, erst durch den Zusammenbau einzeln gefertigter Bauteile, also Kontakteinsätze, Gehäuse und Verschraubung, entstehe ein elektrisches Betriebsmittel, das nur in seiner Gesamtheit auf sicherheitsrelevante Merkmale hin geprüft werden könne und alsdann CE-kennzeichnungfähig wäre.
In der Tat sieht §7 der Niederspannungsrichtlinie (LVD) eine Ausnahme vor, nämlich für Bauteile, deren Sicherheit nur im eingebauten Zustand bewertet werden kann. Dass diese Ausnahmeregelung auf die Bauteile von Industriesteckverbindern nicht angewendet werden kann, begründet Marc Thiedecke mit zwei Argumenten: „Die Auslegung der Gegenseite mag vielleicht theoretisch zulässig sein, ist aber in der Praxis nicht zu realisieren. Demnach müsste ein Anwender, der einen Steckverbinder montiert und etwa in einen Schaltschrank integriert, den Steckverbinder vor Einbau in die Haupteinheit in allen Facetten des Normen- und Regelwerks der Europäischen Union prüfen, die erforderlichen Konformitätserklärungen ausstellen und schließlich selbst die CE-Kennzeichnung aufbringen. Dann läge die CE-Kennzeichnungspflicht beim Anwender, der in seiner Funktion als Hersteller des Schaltschranks für den Nachweis verantwortlich ist, dass alle verbauten elektrischen Betriebsmittel der Niederspannungsrichtlinie entsprechen. Dass ein solches Prüfprocedere von keinem Anwender durchgeführt werden kann, versteht sich von selbst.
Dass der Hersteller einer Haupteinheit, sei es der Maschinen- Schaltschrank- oder Steuerungsbauer, sich bei Verwendung von Steckverbindern ohne CE-Kennzeichnung einem unberechenbaren und damit höchstgefährlichen Haftungsrisiko aussetzt, wird ebenso jedem einleuchten.“ Es geht hier also um die Verantwortung für die Sicherheit eines elektrischen Betriebsmittels, die aus Sicht von Ilme einzig bei dessen Hersteller liegt.
„Der zweite wichtige Aspekt ist, dass die Einzelbauteile von Steckverbindern sehr wohl sicherheitsrelevante Merkmale aufweisen, die eigenständig kontrolliert werden können. Und dies gilt nicht nur für die Kontakteinsätze, sondern in gleicher Weise für die Metall- und Kunststoffgehäuse der Steckverbinder.“ führt Marc Thiedecke aus „So testen wir beispielsweise die Resistenz der Gehäuse gegen mechanische Einwirkungen nach
EN 62262 und stellen hiermit sicher, dass die Bauteile den ausgewiesenen IK-Klassen entsprechen. Die Kunststoffgehäuse werden auf das Brandverhalten und die Selbstverlöschungseigenschaften des Materials gemäß EN 60695-2-11 geprüft, was ohne Zweifel ebenfalls ein wichtiges sicherheitsrelevantes Produktmerkmal ist. Die Liste der Kontrollverfahren, denen wir unsere Produkte aussetzen, ist lang.“
Verschiedene Testszenarien machen die Einbeziehung eines Dummys erforderlich, etwa wenn es darum geht, die Maßgenauigkeit der Gusskanten eines Gehäuses zu prüfen, die in höchstem Maße die Dichtigkeit des Steckverbinders bestimmt. Ein im Rahmen des Rechtsstreits hinzugezogener Sachverständiger erklärte hierzu, dass der Dummy in verschiedenen Kontrollverfahren lediglich die Testumgebung darstellt, die notwendig ist, um bestimmte sicherheitsrelevante Eigenschaften eines Gehäuses zu prüfen.
„Die rechtliche Auseinandersetzung über dieses Thema begann im Jahr 2005 mit einer Unterlassenserklärung, die wir unterschrieben an einen unserer Mitbewerber zurücksenden sollten. Dies taten wir nicht, denn wir waren damals wie heute von der Richtigkeit unserer Sichtweise überzeugt. Allerdings holten wir die Meinungen zweier von einander unabhängiger Experten ein, die beide ebenfalls zu dem Ergebnis kamen, dass Industriesteckverbinder CE-kennzeichnungspflichtig sind,“ erinnert sich der Ilme-Geschäftsführer.
Nachdem auch der zwischenzeitlich in dieser Angelegenheit tätig gewordene ZVEI es nicht vermochte, Ilme mittels einstweiliger Verfügung und einer weiteren Unterlassenserklärung von seinem Standpunkt abzubringen, nahm sich die Wettbewerbszentrale der Sache an und verklagte Ilme schließlich im Jahr 2011 wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in Verbindung mit §7 Abs. 2 Nr. 1 des Produktsicherheitsgesetzes vor dem Landgericht Köln. Sachverständigengutachten wurden eingeholt und der Vorgang schließlich an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg mit der Bitte um eine Vorabentscheidung weitergeleitet. In seinem Urteil aus dem Jahr 2014 bestätigte der EuGH die Rechtsauffassung von Ilme und verwies die Sache zurück an das Landgericht Köln. Auf Grundlage der Entscheidung des EuGH, nach der die CE-Kennzeichnung von Steckverbinderbauteilen rechtmäßig ist, wies das Landgericht Köln die Klage der Wettbewerbszentrale ab.
Doch die Klägerin ging in Berufung vor das Oberlandesgericht Köln. Ein weiterer Sachverständiger befasste sich mit der Frage, ob und inwieweit Steckverbindergehäuse sicherheitsrelevante Merkmale aufweisen, die eigenständig kontrolliert werden können, so dass sie als elektrisches Betriebsmittel gelten und mit dem CE-Kennzeichen zu versehen sind. „Der in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln gehörte Sachverständige bestätigte die Richtigkeit unseres Standpunkts und unseres Vorgehens. Es war deutlich zu erkennen, dass er sich intensiv mit den von Ilme durchgeführten Testverfahren sowie den in der EU geltenden Richtlinien auseinandergesetzt hatte, bevor er seine sachlich fundierte Stellungnahme abgab,“ merkt Marc Thiedecke an.
Mit dem am 05.07.2019 verkündeten Urteil des OLG Köln wurde die Revisionsklage der Wettbewerbszentrale abgewiesen. Das Gericht schloss sich damit den zuvor ergangenen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Landgerichts Köln an. Als Quintessenz des Verfahrens mag ein Satz aus der über 22 Seiten langen Urteilsbegründung gelten: „Die Anbringung der CE-Kennzeichnung ist vor diesem Hintergrund – wie dargelegt – nicht nur nicht rechtswidrig, sondern rechtlich geboten.“
Für Ilme wie für alle Beteiligten mag dieser Rechtstreit sehr aufwändig gewesen sein. Marc Thiedecke sieht es jedoch positiv: „Ein Aufwand, der mit Rechtssicherheit belohnt wurde. Und die kommt uns Herstellern ebenso zu Gute wie unseren Kunden.“
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