Automatisierung

Koordinierter Griff ins Durcheinander

Schnelles und wirtschaftliches Bin-Picking mit Stereo-3D-Kamera

11.06.2015 -

Viele Anwendungen in der Robotertechnik und der automatisierten Serienproduktion lassen sich nur mit 3D-Informationen lösen. Das gilt  auch für den berühmten Griff in die Kiste. Eine exakte Positionsbestimmung der ungeordneten Teile ist dabei Voraussetzung für ein sicheres Zupacken des Roboters. Mit einer Stereokamera – erhältlich mit USB- oder GigE-Anschluss – bietet ein Kamerahersteller die Lösung für die 3D-Bilderfassung an.

Nach wie vor ist der Griff in die Kiste eine schwierig zu lösende Aufgabe in der robotergestützten Fertigung. Um unsortierte Teile aus einer Gitterbox oder einer Schäferkiste herauszugreifen, müssen zuerst Form, Größe, Position und Orientierung der Objekte erkannt werden. Erst mit diesen Informationen lässt sich ad hoc eine kollisionsfreie Roboterbahn generieren. Bereits bei der Erfassung der 3D-Daten sind neben einer hinreichenden Genauigkeit und Vollständigkeit auch hohe Taktraten und Prozessstabilität gefordert. Die bisher angebotenen Lösungen sind entweder zu langsam oder es fehlt die nötige Prozessstabilität, um auch in der Serienfertigung eingesetzt werden zu können oder sie sind zu aufwändig, sodass aufgrund der Komplexität und der relativ hohen Kosten der Technik das Potenzial der 3D-Bildverarbeitung nicht genutzt wird.

Mit der Stereo-3D-Kamera Ensenso von IDS – erhältlich mit USB- oder GigE-Anschluss – lassen sich die Ansprüche an Taktrate, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit von Robot-Vision-Applikationen vereinen. Die industrietaugliche Kamera integriert zwei Global-Shutter-CMOS-Sensoren, Software und einen Texturprojektor in einem kompakten Gehäuse. Dieser wirft ein zufälliges Punktmuster auf das aufzunehmende Objekt, womit auf dessen Oberfläche nicht oder schwach vorhandene Strukturen ergänzt beziehungsweise hervorgehoben werden. Denn für das Stereo-Matching werden prägnante Stellen im Bild benötigt. Das Objekt wird dann von den beiden Bildsensoren entsprechend des Stereo-Vision-Prinzips erfasst und mittels der geometrischen Zusammenhänge der Triangulation werden schließlich für jeden Bildpunkt die 3D-Koordinaten rekonstruiert respektive berechnet.

Selbst wenn relativ monotone Bauteile in der Kiste aufgenommen werden, lässt sich so ohne zusätzlichen technischen Aufwand ein fast lückenloses, vollflächiges und detailreiches 3D-Bild generieren.

Stehende und bewegte Objekte mit 30 fps erfassen
Die aktuelle Version der Ensenso-Kamera mit Gigabit-Ethernet-Interface ist mit zwei 1,3MP-CMOS-Sensoren und einem Projektor mit blauen LEDs ausgestattet. Dieser sorgt in Verbindung mit der hohen Auflösung der Sensoren für eine hohe Detailgenauigkeit und präzise 3D-Daten – auch bei schwierigen Oberflächen. Die GigE-Schnittstelle ermöglicht Kabellängen bis 100 m. Zudem ist die Kamera powered over Ethernet (PoE), was ein zusätzliches Kabel für die Stromversorgung überflüssig macht.

Die Kamera ist für Arbeitsabstände bis drei Meter und variable Bildfelder konzipiert. Mit den verschiedenen angebotenen Brennweiten lässt sich ein breites Entfernungs- und Größenspektrum abdecken. Im Gegensatz zu anderen 3D-Aufnahmeverfahren kann die Kamera sowohl stehende als auch bewegte Objekte mit einer Framerate von bis zu 30 Bildern/s erfassen. Mit den beiden Sensoren und dem eingebauten Projektor misst die USB-Variante der Kamera rund 150 x 45 x 45 mm und wiegt  knapp 400 g. Mit dem Aluminiumgehäuse und einem GPIO-Connector für 12 bis 24 V Hardware-Trigger, In- und Output ist sie für industrielle Einsätze geeignet. Im Lieferumfang enthalten sind eine Schnittstelle zur MVTec-Halcon-Bildverarbeitungsbibliothek und ein Software-Development-Kit, das für das GigE- und USB-Modell identisch ist.

Die Ensenso-Software wurde vor allem im Hinblick auf Robot-Vision-Anwendungen sowie für Mehrkamera-Applikationen optimiert. Die Daten von zwei oder mehr zusammengeschalteten 3D-Kameras werden automatisch zu einem 3D-Datensatz zusammengefasst. So lässt sich zum Beispiel ein Objekt von mehreren Seiten aufnehmen. Zudem können der Arbeitsraum und die resultierende Genauigkeit durch die Anzahl der montierten Kameras nahezu beliebig skaliert werden.

Zudem ermöglicht die Ensenso-Software eine komfortable Einbindung anderer Industriekameras des Herstellers mit USB2.0-, USB3.0- oder GigE-Anschluss, beispielsweise um neben 3D-Bildern auch zusätzliche Farbinformationen oder Barcodes zu erfassen. Weitere Features des Software-Development-Kits sind das per Software einstellbare Subsampling und Binning, was flexible Daten- und Frameraten zum Beispiel bis 80 Hz erlaubt, sowie die Hand-Auge-Kalibrierung, welche die Integration der Kamera unter anderem in Bin-Picking-Anwendungen vereinfacht.

Taktzeiten von unter 10 Sekunden
Insbesondere die Schnelligkeit der Ensenso-Kameras und deren vergleichsweise einfache Integration nutzt das Unternehmen bsAutomatisierung und setzt sie in ihren Bin-Picking-Zellen ein. Mit den kompakten Roboteranlagen lassen sich in Kisten ungeordnet beziehungsweise chaotisch liegende Teile automatisiert vereinzeln und nachfolgenden Fertigungsprozessen zuführen. Sie erreichen Taktzeiten von unter 10 Sekunden, was mit herkömmlichen Lösungsansätzen wie dem Lichtschnittverfahren nicht zu realisieren wäre. Je nach Anwendung und Kundenanforderung werden die Zellen mit klassischem Mehrachs-Industrieroboter oder einem Linearportalroboter angeboten. Sie sind modular aufgebaut, können an verschiedene Behältergrößen angepasst werden und sind für einen oder bis zu vier Kisten ausgelegt. Dabei wird jede Kiste von zwei stationär montierten Ensenso-Kameras beäugt.

Im Gegensatz zu einer direkt am Roboterarm installierten Kamera hat dieser Aufbau zwei Vorteile: Zum einen kann eine höhere Taktrate des Systems realisiert werden. Während aus der einen Kiste gegriffen wird, kann in der anderen Kiste die Objekterkennung schon wieder gestartet werden. Selbst wenn in der Anlage nur aus einer Kiste gegriffen werden soll, kann der Suchprozess beginnen, während der Roboter das zuletzt gegriffene Teil an anderer Stelle ablegt. Zum Zweiten lassen sich die Bilder verschiedener Ensenso-Kameras einfach zueinander kalibrieren, denn die Kamera-Software ist von vornherein für den Mehrkamerabetrieb ausgelegt. Durch den gleichzeitigen Einsatz von zwei oder mehr Kameras lässt sich eine Szene synchron von verschiedenen Seiten aufnehmen, wodurch Abschattungen reduziert und das Bildfeld erweitert werden.

Im Mehrkamerabetrieb liefert die Ensenso-Software ebenfalls eine einzige 3D-Punktewolke, in der die Daten aller eingesetzten Kameras enthalten sind. Auch deren resultierende Genauigkeit kann durch die Anzahl der montierten Kameras nahezu beliebig skaliert werden. Zudem übernimmt die Ensenso-Software die Steuerung der beiden CMOS-Sensoren und des Pattern-Projektors sowie die Erfassung und Vorverarbeitung der 3D-Daten. So wird ein Optimum aus Framerate und Bildqualität erreicht und der Auswerte-PC deutlich entlastet.

Für OEMs und Systemintegratoren, wie die bsAutomatisierung, ist ebenfalls entscheidend, dass die Kamera sofort einsatzfähig ist und metrische 3D-Daten bereits out of the box liefert. Somit kann die Kamera sofort eingebaut werden. Lediglich der Roboter muss noch zur Kamera kalibriert werden, was mittels einer am Greifer montierten Kalibrierplatte erfolgt. Die Software errechnet daraus die Montageposition der Kamera und die 3D-Daten werden sofort im Koordinatensystem des Roboters repräsentiert. 

SPS hat den Hut auf
Die erfassten Bilder werden mit Halcon 11 ausgewertet. Eine entsprechende Schnittstelle ist im Software-Umfang der Ensenso enthalten. Anschließend werden die Zielkoordinaten der gefundenen Teile sowie ein Abbild des restlichen Kisteninhalts als dynamisches Hindernis an ein Software-Modul weitergeleitet, das daraus zusammen mit den CAD-Daten der Zelle, des Roboters und des Greifers eine kollisionsfreie Roboterbahn generiert. Diese wird in die Robotersteuerung übertragen und ausgeführt.

Aufgrund von Ungenauigkeiten, Fehlerkennungen und verrutschenden Teilen kann es dazu kommen, dass der Greifversuch fehlschlägt. Über verschiedene Sensoren im Greifer und über eine Kollisionsüberwachung zwischen Greifer und Flansch erkennt der Roboter dies, fährt selbstständig aus der Kiste und versucht es an anderer Stelle erneut. Ein Eingreifen durch den Menschen ist nicht nötig. Kontrolliert und gesteuert wird der gesamte Vorgang von einer SPS. Sie ist es auch, die dem Bildverarbeitungssystem sagt, wann in welcher Kiste nach welcher Art von Teilen gesucht werden soll.

Fazit: Überlegen im Hinblick auf Schnelligkeit 
Mit ihren Bin-Picking-Zellen zeigt bsAutomatisierung, dass sich mit der Stereo-3D-Kamera Ensenso komplexe Anforderungen wie der Griff in die Kiste wirtschaftlich und prozesssicher realisieren lassen. Die Kamera ist durch den USB2.0-Anschluss oder die GigE- Schnittstelle mit PoE einfach zu integrieren. Im Hinblick auf die Schnelligkeit ist sie laut Hersteller anderen Lösungsansätzen überlegen.
 

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