Industrie 4.0-Konzepte in der Verfahrenstechnik
Einzug der Intelligenz
Evolution oder Revolution – um welches Phänomen es sich bei Industrie 4.0 handelt, darüber sind sich die Experten uneins. Einig ist man sich hingegen über das Ziel: eine selbstorganisierende, selbstoptimierende, flexible Fertigung, die schnell und wirtschaftlich rentabel auf individuelle Kundenwünsche eingehen kann. Aber welche Konzepte und Technologien finden in der prozesstechnischen Industrie ihre Anwendung?
Bei Industrie 4.0 geht es um die Digitalisierung der Produktion und die Integration über das Internet. Diese Datenintegration betrifft alle Ebenen eines Unternehmens, sowohl eines fertigungstechnischen als auch eines verfahrenstechnischen. Vertikal geht diese Integration vom Feldgerät in der Produktion bis hoch zum ERP-System wie beispielsweise SAP, horizontal durch die gesamte Wertschöpfungskette vom Rohstoff-Lieferanten bis zum Endkunden und beim Engineering von der ersten Planungsphase von Anlagen und deren Vernetzung bis zur Stilllegung.
Ein Ziel von Industrie 4.0 ist nun, Informationen dieser drei Achsen – vertikal, horizontal und planungsbezogen – zu integrieren und miteinander zu verknüpfen. Im Folgenden wird für jede dieser drei Achsen aufgezeigt, was alles durch Informatisierung, also durch systematischen Informationsgebrauch zur Erzeugung weiterer nutzbarer Informationen, erreicht werden kann.
Vertikale Integration – Automatisierung und IT-Welt wachsen zusammen
Die intelligente Verknüpfung verschiedener Teilsysteme, vom ERP-System über die Bedien- und Steuerungsebene bis in die Feldebene, ist für die Funktionalität und die Effizienz des Gesamtsystems von Bedeutung. Oftmals sieht die Realität aber anders aus. Geschlossene Systeminseln, fehlende Schnittstellen und viele manuelle Datenübergaben – und somit potentielle Fehlerquellen – prägen hier das Bild.
Diese entkoppelten Systeminseln können durch das BPI-Konzept (Business-Process Integration) von Endress+Hauser zu einem Gesamtsystem mit durchgängigem Datenfluss verbunden werden. BPI agiert dabei als Vermittlungsschicht (Middleware) unterhalb der Teilsysteme und bildet somit eine gemeinsame Plattform für den Datenaustausch zwischen diesen Systemen.
Das BPI-Konzept lässt sich anhand eines Kalibriervorgangs anschaulich erklären: Vom ERP-System, zum Beispiel SAP, wird ein Kalibrierauftrag erstellt. Statt diesen nur auszudrucken, wird dieser Auftrag an die BPI-Software gesendet. Sie erkennt diesen als Kalibrierauftrag, routet entsprechend auf das Kalibrationsmanagement-System CompuCal von Endress+Hauser, übersetzt und formatiert die Daten vom ERP in eine für das Zielsystem lesbare Form und versendet diesen Auftrag. Nach Durchführung der Kalibrierung werden die Kalibrierdaten wieder an BPI zurückgesandt.
Die Middleware erkennt diese Daten als Kalibrierdaten, routet auf die entsprechenden Zielsysteme, bereitet die Daten für jedes Zielsystem auf und sendet diese an das SAP-System zur Aktualisierung der Auftragsdaten, an das Asset-Management zum Eintrag des Ereignisses für den Audit Trail und an den Service-Server zum KPI Update (Key Performance Indicator). Das alles geschieht ohne Eingriffe von außen.
Dadurch, dass Daten nicht mehr manuell von einem System ins andere konvertiert werden müssen, entfallen entsprechende Kosten für die dafür benötigten Komponenten oder den zusätzlichen Arbeitsaufwand durch Datenredundanzen oder Doppelarbeiten.
Ein barrierefreier Datenfluss eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Ein Beispiel ist die genaue Diagnose des Messgeräts, auf dessen Basis automatisch vorbeugende Wartungsmaßnahmen oder Kalibrieraufträge angestoßen werden können oder eine Verwaltung der Feldgeräte einer Anlage mit automatischen Datenbankeinträgen bei Ereignissen wie Reparatur oder Kalibrierung.
Horizontale Integration – durchgängige Kommunikation in der Wertschöpfungskette
Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens lässt sich mit der Wahl der Bestandsstrategie signifikant beeinflussen. Hohe Bestände gewährleisten einen hohen Lieferservice, münden aber auch in höheren Kosten für die Lagerhaltung. Umgekehrt senken niedrige Bestände die Kosten, steigern jedoch das Risiko, den Lieferservice nicht erfüllen zu können. Während die Firmen sich um die richtige Balance ihrer Lagerbestände bemühen, werden sie gleichzeitig mit sich ändernden Kundenbedürfnissen wie zunehmender Diversität und volatilem Bedarf konfrontiert.
Um die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, bedarf es kontinuierlich verbesserter Abläufe. Nur auf der Basis von aktuellsten und transparenten Bestandsdaten entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich Planung und Nachschubprozesse den Marktanforderungen anpassen. Sind diese Daten nicht hinreichend bekannt, muss dies durch höhere Sicherheitsbestände kompensiert werden. Eine genauere Verbrauchsvorschau auf Basis von aktuellen Bestandswerten und bereits geplanten Materialbewegungen ist also der Schlüssel zur Reduzierung der Bestände und gleichzeitig zur Verbesserung des Lieferservices.
Verlässliche Messtechnik ist die Basis für die Optimierung von Lagerhaltung und Lieferprozessen. Endress+Hauser kann mit seinem kompletten Messtechnikprogramm die Grundvoraussetzungen dafür schaffen. Bei der Datenkommunikation setzt das Unternehmen auf Internet-Technologien: Die lokale Datenübertragungseinheit Fieldgate mit integriertem Web-Server ermöglicht die weltweite Datenerfassung über private und öffentliche Kommunikationsnetzwerke.
Ein normaler Internet-Browser reicht hierbei für die Bestandsdatenabfrage aus. Verschiedene Übertragungsarten wie Ethernet, Modem und GSM/GPRS lassen sich, je nach der vorhandenen Infrastruktur, beliebig kombinieren.
Die Fieldgates von Endress+Hauser stellen aktuelle Messwerte zur Verfügung und bieten zusätzlich die Möglichkeit, Gerätestati zu überwachen, Informationen abzufragen und Daten direkt an eine übergeordnete Bestandsmanagement-Software wie beispielsweise SupplyCare von Endress+Hauser zu übergeben. SupplyCare ermöglicht vom Schreibtisch aus einen komfortablen Zugriff auf die aktuellen Füllstände in Tanks und Silos, wobei individuelle Warn- und Alarmgrenzbereiche aller angezeigten Bestandsdaten festgelegt werden können.
Mit der integrierten E-Mail-Funktion lässt sich beispielsweise schnell und unkompliziert Nachschub anfordern. Zudem stellt SupplyCare Trends, historische Daten und Ereignisse dar und erlaubt die Verwaltung von Tanks, Tankgruppen, Kunden sowie Produkte. Mit Hilfe des Analysemoduls lassen sich des Weiteren Leistungskennzahlen (KPI) berechnen und auswerten.
Durchgängiges Engineering – Anlagendaten rücken zusammen
Für ein durchgängiges Engineering sollten die Bereiche Automatisierung und IT nicht getrennt betrachtet werden, sondern informationstechnisch zu einer Einheit verschmelzen. Damit eine Zusammenführung von Automatisierung und IT gelingt, müssen aber nicht nur deren Komponenten dieselbe Sprache sprechen, sondern auch deren Entwickler. Steht in der IT Vertraulichkeit und Sicherheit von Daten an erster Stelle, hat für den Automatisierer die Verfügbarkeit Priorität. Diese unterschiedlichen Sichtweisen führen zu einer gewissen Skepsis der Entwickler gegenüber der jeweils „anderen Welt“.
Bei Endress+Hauser findet bereits eine enge Zusammenarbeit zwischen Automatisierung und IT statt. Eines von vielen Beispielen hierfür ist die Implementierung von Life-Cycle-Konzepten bereits während der Planung einer Anlage. Denn während die Lebensdauerzyklen einer Produktionsanlage bei 20 bis 30 Jahren liegen, sind die IT-Zyklen mit rund vier Jahren wesentlich kürzer, und so ist es dort üblich, schon rechtzeitig Update- und Migrationsstrategien zu entwickeln.
Diese IT-Strategien wurden jetzt automatisch für die Produktionsanlagen und deren Komponenten übernommen. Das Ergebnis: Lösungen über die Steuerungsebene hinaus wie das webbasierte Asset-Managementsystem W@M.
Mit dem W@M-Konzept bietet Endress+Hauser Projektierern und Anwendern eine Plattform für alle Prozesse und offene Tools. Das A und O bei Industrie 4.0: der schnelle und zielgerichtete Zugriff auf die richtigen Daten zum Zeitpunkt des Bedarfs. Die webbasierten Werkzeuge Operations App für Smartphones, das W@M-Portal oder W@M Enterprise liefern alle gewünschten Informationen und unterstützen den Anwender von der Anlagenplanung bis hin zur Instandhaltung der Betriebsmittel – jederzeit und an jedem Ort.
So erfolgt beispielsweise die Auswahl, Auslegung und Verwaltung von Messtechnik zur Produktionsanlage zentral mit dem Applicator. Die resultierenden Daten werden anschließend vom Planungsbereich des Applicators in den Beschaffungsprozess übertragen, etwa in den Online-Shop oder das ERP-System. Bei der Beschaffung ermöglicht das W@M-Portal ebenfalls eine direkte Konfiguration und Bestellung der Produkte und Ersatzteile, falls dies noch nicht über den Applicator realisiert wurde.
Für Inbetriebnahme, Betrieb und Instandhaltung liefert das Portal dem Anwender vollständige Informationen und Dokumentationen zu allen Messgeräten, für Endress+Hauser-Produkte sogar automatisch. Ein weiterer Helfer im täglichen Betrieb ist der integrierte Aktivitätenplaner. Er unterstützt das Anlegen und die Verfolgung von Aufgaben wie Kalibrierung, Wartung, Reparatur. Eine automatische E-Mail-Benachrichtigung sorgt dafür, dass nichts vergessen wird.
Nur, wer den Status seiner Anlage genau kennt, kann proaktive Wartungsstrategie umsetzen und so Zeit und Geld sparen. Daraus resultieren eine effektive Überwachung der installierten Technik, eine erhöhte Anlagenproduktivität und -sicherheit und minimierte Anlagenstillstände. Durch die Online-Verbindung zur Produktdatenbank erhalten die Kunden automatisch alle aktuellen Informationen über ihre Messgeräte, zum Beispiel Produktverfügbarkeit, Lebenslauf, Dokumentation, Kalibrierprotokolle, Betriebsanleitungen und weiteres mehr.