Im Interview: Frank Blase über den Stellenwert von Nachhaltigkeit bei Igus
04.05.2020 -
Umweltschutz geht uns alle an – auch die Industrie. Daher hat Igus in den vergangenen sechs Monaten zwei Projekte gestartet, die sich mit dem Thema Kunststoffrecycling auseinandersetzen. Doch um die Projekte voranzutreiben, braucht es die Unterstützung der Kunden. Igus Geschäftsführer Frank Blase erklärt, wie alle ihren Beitrag leisten können und warum Kunststoffe die Umwelt mehr schonen als man vielleicht denkt.
Fridays for Future, Diskussionen um Mikroplastik, Verpackungen aus recycelten Materialien – das Umwelt-Bewusstsein hat sich in den vergangenen Jahren deutlich ausgeprägt. Wie bewertet die Industrie im Allgemeinen und Igus im Speziellen das Thema Nachhaltigkeit?
Frank Blase: Das Thema Nachhaltigkeit geht an der Industrie nicht vorbei. Ganz im Gegenteil, die Industrie ist stark gefragt, nachhaltige Lösungen sowohl in der Produktion als auch in den eigenen Produkten zu finden. Denn die Industrie liegt hinter den Energieerzeugern auf Platz 2 der CO2 -Verursacher. Auch wir als Igus sind uns dieser Verantwortung bewusst. Daher haben wir im Oktober 2019 und im Januar 2020 zwei neue Projekte gestartet, die sich mit dem Thema Kunststoffrecycling auseinandersetzen: das igus green chainge recycling program sowie die Catalytic-Hydrothermal-Reactor-Technologie.
Wie ordnen Sie Kunststoffe in der Industrie hinsichtlich den Aspekten Haltbarkeit und ökologischer Fußabdruck ein – auch im Vergleich zu anderen Materialien?
Frank Blase: Kunststoffe in der Industrie, insbesondere die Igus-Hochleistungskunststoffe, sind langlebig, da sie sehr verschleißfest sind und dadurch wenig Abrieb erzeugen. Zeitgleich ist Kunststoff im Vergleich zu Metall wesentlich ressourcenschonender in der Herstellung. Während die Herstellung einer Tonne Aluminium 600 MJ und einer Tonne Stahl 320 MJ Energie verbraucht, sind es bei Kunststoff gerade einmal 160 MJ. Auch im Betrieb der Maschinen, die auf Igus-Polymere setzen, wird Energie eingespart. Das geringe Gewicht von Maschinenbauteilen trägt dazu bei, dass weniger Energie für die Bewegung benötigt wird. Ein Beispiel hierzu: Würde man in einem Airbus A320 in allen 200 Sitzen anstelle von metallischen Lagern auf unser speziell für die Flugzeugindustrie entwickeltes GV0-Gleitlager setzen, so könnte 11,2 Kilogramm eingespart werden. Das entspräche pro Flugzeug pro Jahr eine Einsparung von 25,65 Tonnen Treibstoff und knapp 80 Tonnen weniger CO2. Ein weiterer wichtiger Punkt unserer Motion Plastics ist: Sie benötigen keine zusätzliche Schmierung, da wir den Basispolymeren Festschmierstoffe zusetzen. Kugellager und auch viele metallische Gleitlager benötigen hingegen eine externe Schmierung: Allein in Deutschland wird über eine Millionen Tonnen Schmieröl verkauft, davon landet rund die Hälfte in der Umwelt. Das lässt sich mit Gleitlagern aus Kunststoffen vermeiden.
Welche Herausforderungen gibt es aufgrund der Zusammensetzung von Kunststoffen beim Recyceln? Und wie wirkt sich die Wiederverwertung des recycelten Materials auf den neuen Werkstoff respektive das neue Produkt aus?
Frank Blase: Das Kunststoffrecycling, vor allem von normalen Kunststoffabfällen wie Verpackungen ist derzeit sehr aufwendig, da sie zunächst einmal sortenrein getrennt und gesäubert werden müssen. Nach der Trennung kann der Kunststoff geschreddert und als Regranulat wieder für die Herstellung neuer Produkte genutzt werden. Intern nutzen wir dieses Verfahren bereits seit Beginn des Igus-Spritzgusses, indem wir zum Beispiel unsere Angüsse wieder recyceln. Da wir unsere Werkstoffe gut kennen, fällt uns ein Recycling leicht. Deswegen haben wir jetzt das igus green chainge recycling program ins Leben gerufen. Mit dem Programm nehmen wir ausgediente Energieketten – auch die der Wettbewerber – zurück und recyceln sie zu verwendbarem Kunststoffgranulat. Bei der Wiederwertung kommt es ganz auf die Werkstoffe an. Das Granulat der Wettbewerbsketten planen wir sortenrein sortiert an „Circular Economy“ Börsen zu geben. Das Rezyklat der Igus-Ketten wollen wir für den Spritzguss neuer Produkte nutzen. Der beigemischte Anteil ist meistens gering und hat dann keinen Einfluss auf die Produktqualität. Insgesamt heißt es: starten, lernen, besser werden.
Sie sagen, mit dem igus green chainge recycling program nehmen Sie ausrangierte Ketten Ihrer Kunden zurück. Wie motivieren Sie diese, die Ketten zu reinigen, zu verpacken und zurückzuschicken? Einfacher ist, die Kette in den Container zu werfen.
Frank Blase: Einfacher schon, aber in den Unternehmen selbst ist das Recycling auch immer wichtiger. Keiner möchte Ressourcen verschwenden und Geld in die Tonne werfen. Deswegen bieten wir dem Kunden einen Anreiz zur Rücksendung an, indem wir ihm für jedes Kilogramm Kunststoffkette einen Voucher von zurzeit o,78 Euro gutschreiben, den er für den Kauf eines neuen Produktes einsetzen kann.
Stichwort Biokunststoff – bietet Igus solch eine Option und gibt es einen Markt dafür?
Frank Blase: Tatsächlich haben wir mit Iglidur N54 ein Gleitlager für Niedriglastbereiche entwickelt, das zu 54 Prozent aus Biokunststoff besteht. Das Produkt existiert seit neun Jahren. Der Werkstoff funktioniert als Gleitlager sehr gut, aber leider registrieren wir bisher eine sehr verhaltene Nachfrage. Wir sehen für Iglidur N54 vor allem einen Markt in Haushaltsgeräten, in Möbeln oder auch im Maschinenbau.
Des Weiteren hat Igus im vergangenen Jahr knapp 5 Millionen Euro in das Unternehmen Mura und deren Catalytic-Hydrothermal-Reactor-Technologie investiert. Können Sie uns bitte das Verfahren und die Rolle, die Igus hierbei zukünftig spielen soll, kurz erläutern?
Frank Blase: Mit Cat-HTR lassen sich klassisch nicht recycelbare und gemischte Kunststoffabfälle innerhalb von 20 Minuten in Erdöl umwandeln, und das im Vergleich zur Gewinnung fossiler Erdöle ressourcenschonender. Lediglich Wasser, hohe Temperaturen und Druck werden für das Trennen und Neuverbinden der Zellen eingesetzt. Die Technologie wurde von einem deutschen Wissenschaftler entwickelt und über 10 Jahre in einer Pilotanlage in Australien getestet. Igus unterstützt mit seiner Investition jetzt den Aufbau der ersten kommerziellen Anlage in Großbritannien, die diese Technologie nutzt. Hier liefern Abfallunternehmen ihre Kunststoffe, die zunächst gesäubert und geschreddert werden bevor sie in die Reaktoren gelangen. Dort findet dann der chemische Umwandlungsprozess statt. Wir als Unternehmen möchten mit unserer Beteiligung dem Kunststoff einen neuen Lebenszyklus geben, denn er soll nicht in der Verbrennungsanlage enden, sondern als wichtige Ressource: Erdöl. Denn ohne Erdöl gäbe es auch keine Motion Plastics.