Automatisierung

Antriebstechnik für Riesenteleskop in chilenischer Atacama-Wüste

28.03.2018 -

In Chile wird das größte optische Teleskop gebaut: Der Hauptspiegel wird einen Durchmesser von 39 Metern haben und aus 798 sechseckigen Spiegelelementen bestehen. 2024 soll das Teleskop fertig sein und das erste Licht einfangen. Dabei sind steife Antriebe notwendig, die die Spiegelelemente in Form halten. Sogenannte Hybrid-Antriebe, die einen Spindel-Motor-Antrieb mit einem piezoelektrischen Aktor kombinieren, bieten hierfür die besten Voraussetzungen.

Die Europäische Südsternwarte (European Southern Observatory, ESO) entwickelt seit 2005 ein extrem großes Teleskop für sichtbares Licht und nahes Infrarot-Licht. Mit dabei sind die Gemeinschaft der europäischen Astro­nomen und Astrophysiker sowie die ­Industrie. Als Standort des Extremely Large Telescope (ELT) wurde der gut 3.000 Meter hohe Berg Cerro Armazones in der chilenischen Atacama-Wüste ausgewählt. Das Riesenteleskop wird einen Hauptspiegel mit 39 Metern Durchmesser haben und damit das größte optische Teleskop der Welt sein. 2012 wurde das ELT-Programm bewilligt und Ende 2014 die Freigabe für den Bau gegeben. Sein erstes Licht wird das Teleskop voraussichtlich im Jahr 2024 sehen.

Positionierung von 798 Spiegelelementen

„Der Hauptspiegel ist ein Wunderwerk der modernen Technik“, erläutert Tim de Zeeuw, Generaldirektor der ESO. Der Hauptspiegel soll aus 798 hexagonalen Einzelsegmenten zusammengesetzt werden, die jeweils einen Durchmesser von 1,4 Meter haben. Jedes Spiegelelement wird von drei Antrieben positioniert. Die Anforderungen an diese sind hoch: Große Stellwege von bis zu 10 mm bei einer Positions- und Bahngenauigkeit von besser 2 nm liegen an der Grenze des technisch Machbaren. Um ein Objekt während der ­Beobachtung zu verfolgen, liegen die Geschwindigkeiten typischerweise zwischen einigen Nanometern pro Sekunde und ±0,45 µm/s. Soll das Teleskop auf ein anderes Objekt ausgerichtet werden, sind Geschwindigkeiten von bis zu ±100 µm/s erforderlich.
Dabei müssen beachtliche Massen bewegt werden: Ein Spiegelsegment wiegt etwa 250 Kilogramm. Aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtungen des Teleskops hat der einzelne Antrieb Lasten zwischen 463 Newton Zugkraft und 1050 Newton Druckkraft zu bewegen beziehungsweise zu halten. Für die Bestückung aller 798 Spiegelsegmente werden 2.394 Aktua­toren benötigt. „Die technischen Spezifika­tionen innerhalb eines engen Zeitrahmens zur vollsten Zufriedenheit des Kunden umzusetzen – das ist die Herausforderung bei diesem anspruchsvollen Projekt und unsere Stärke“, sagt Oliver Dietzel, Projektmanager bei Physik Instrumente (PI).

Lösung: Hybrid-Antrieb

Um die technischen Anforderungen des Projekts zu erfüllen, entwickelte Physik Instrumente ein maßgeschneidertes Aktoren- und Controllerkonzept. Die Aktoren, die sowohl zur exakten Ausrichtung der Segmente zueinander als auch zur Befestigung der Segmente an der Trägerstruktur dienen, basieren auf einem hybriden Antriebsprinzip. Ein Motor-Spindel-Antrieb, der für hohe Lasten und große Verfahrwege geeignet ist, wird mit einem Piezoaktor kombiniert. Über einen hochauflösenden Sensor können alle Ungenauigkeiten des Motor-Spindel-Antriebs gemessen und mittels des Piezos korrigiert werden. Dies sorgt für die hohe Positionier- und Bahngenauigkeit, die mit reinen Motor-Spindel-Antrieben nicht erreicht werden kann. Ein spezieller Controller steuert beide Antriebe simultan an und regelt sie über das hochauflösende Positionsmesssystem. Die ­Regelalgorithmen betrachten Motor- und ­Piezosystem als eine Antriebseinheit und gleichen die tatsächliche Bewegung mit einer berechneten Trajektorie ab. Das gibt der ESO die Möglichkeit, die Deformationen in der Struktur des Hauptspiegels mit der nötigen Genauigkeit auszugleichen. Die Spindel wird über ein hochuntersetztes Getriebe von einem bürstenlosen, drehmomentstarken Torque-Motor angetrieben. Das Getriebe sorgt für einen spielfreien Betrieb und garantiert ein konstantes Übersetzungsverhältnis. Dadurch kann der Motor klein dimensioniert werden, obwohl große Massen bewegt werden. Die hohe Untersetzung unterstützt zudem bei Stillstand die Selbsthemmung des Motors. Die Piezoaktoren sind in einem verschlossenen, mit Stickstoff gefüllten Metallbalg gekapselt, damit sie gegen Feuchtigkeit geschützt sind, um auch unter widrigen Umgebungsbedingungen die geforderte Lebensdauer der Positionierlösung von 30 Jahren zu erreichen. Der hochauflösende Sensor ist ein inkrementeller optischer Encoder, der möglichst nahe der Antriebsspitze platziert ist. Er arbeitet mit einer Auflösung von 100 Picometern und ist ebenfalls unempfindlich gegenüber wechselnden Umgebungsbedingungen, wie sie in der Atacama-Wüste herrschen.

Elektronik-Design und Controller-Struktur

Die Antriebselektronik besteht aus zwei Funktionsblöcken. Der erste Funktionsblock, bestehend aus der Kommutierungselektronik für den Motor, der Interpolation und dem Endschalter, ist direkt im Antriebsgehäuse untergebracht. Dies erlaubt kurze Geberleitungen, um Signalstörungen zu vermeiden. Ein einziges Kabel verbindet den Antrieb dann mit dem zweiten Funktionsblock, der externen Kontrollelektronik, welche die Ansteuerung von Motor, Piezo und Encoder übernimmt. Dieser Controller ist dreikanalig aufgebaut. Das heißt, für die Ansteuerung aller drei Hybridantriebe eines Spiegelsegments ist lediglich ein solcher Controller erforderlich. Dabei ist es möglich, sowohl Fahrbefehle für jeden einzelnen Antrieb vorzugeben als auch die gewünschte Position des Spiegelsegments. Der Controller übersetzt einen solchen Befehl dann für seine drei Achsen. Die Controller-Hardware des Echtzeitsystems besteht aus einem ARM+DSP Dual SoC mit Linux-Betriebssystem und einer Quarzuhr in einem FPGA für die Pufferung aller Datensequenzen. Ein 16+4-Bit-D/A-Wandler liefert den Input für die Piezoverstärker und ein PWM-Signal für den Motor. Während der ARM-Prozessor für die Netzwerkkommunikation zuständig ist, laufen alle echtzeitrelevanten Berechnungen inklusive des Regelalgorithmus auf dem optimierten DSP Kern. Um die geforderte Energieeffizienz zu erreichen, entwickelte PI die gesamte Elektronik im eigenen Hause.

Das Steuerungsprinzip

Das Steuerungsprinzip des Hybridantriebs ist einfach: Die Motorspannung wird von der Steuerspannung des Piezo abgeleitet. Je größer diese Spannung wird, umso schneller läuft der Motor. Während sich der Piezo also ausdehnt, treibt der Motor die Spindel in die gleiche Richtung. So wird die Grobpositionierung der Spindel durch die Feinpositionierung des ­Piezos ergänzt. Gleichzeitig wird der Piezo von der Spindel automatisch immer in die Nähe seiner Null-Stellung gefahren. Hier hat er die größte Möglichkeit zur Positionskorrektur in beide Richtungen. Auf diese Weise lassen sich die relativ großen Verfahrwege mit einer hohen Positioniergenauigkeit kombinieren. Die Leistungsfähigkeit des Hybridantriebs hat sich bei der ESO im Rahmen umfangreicher Tests bestätigt. Dabei weiß man auch das flexible Controllerkonzept zu schätzen, das nachträgliche Erweiterungen einfach macht. „Wir sind stolz darauf, den Auftrag für dieses große Projekt erhalten zu haben und damit unsere langjährige, erfolgreiche Zusammenarbeit fortführen zu können“, freut sich Karl Spanner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei PI. Auch bei einem weiteren Projekt am ELT ist PI inzwischen beteiligt. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF) entwickelt das Unternehmen ein neues Aktoren-Konzept. Dabei sollen rund 11.000 Picma-Multilayer-Piezoaktoren in einer genau arbeitenden ­adaptiven Optik (XAO) eingesetzt werden, um bei einem Rastermaß von weniger als 4 mm einen klaren und scharfen Blick ins Weltall zu ermöglichen.

Kontakt

Physik Instrumente (PI) GmbH & Co.KG

Auf der Römerstr. 1
76228 Karlsruhe
Deutschland

+49 721 4846-0
+49 721 4846-1019

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