Auge-in-Hand
Hochgenaue Inline-Positionsbestimmung bei Industrierobotern
Die Genauigkeitsanforderungen an Industrieroboter nehmen stetig zu. Dort, wo es um präzise Messungen geht, spielt die Positioniergenauigkeit eine entscheidende Rolle. Kamerasysteme zur Positionsbestimmung können hier für erhebliche Genauigkeitssteigerungen sorgen.
Zunehmend werden Industrieroboter auch als Träger für Inline-Messsysteme eingesetzt. Sie führen z. B. flächenhaft messende Laserscanner über Karosserieteile, um einen Vergleich mit Vorgaben aus CAD-Systemen zu ermöglichen. Häufig werden dabei durch die relativ geringe Positionier- und Bahngenauigkeit der Industrieroboter die Scandaten verfälscht.
Insbesondere die thermische Ausdehnung und damit einhergehender Verzug und Verwindung der Armelemente führen bei Industrierobotern zu erheblichen Positionierungsfehlern bis in den Millimeterbereich. Externe Messsysteme, wie z. B. Laserinterferometer, können hier helfen. Sie sind aufgrund hoher Kosten jedoch nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich.
Die Posemessung
Ein alternativer Lösungsansatz wird derzeit am Institut für Technik & Informatik der Technischen Hochschule Mittelhessen in Zusammenarbeit mit der Johannes-Hübner-Stiftung Gießen und dem Bremer Kameraspezialisten The Imaging Source erforscht. Entwickelt wird ein kamerabasiertes photogrammetrisches Positionsmesssystem (kurz CPMS), welches durch die Beobachtung raumfester Referenzen eine von der Roboterstruktur unabhängige Posemessung (Pose = Position und Orientierung) durchführt. Das Messsystem entsteht nach dem sog. Auge-in-Hand-Prinzip, bei dem sich ein an der Roboterhand montierter Mehrkamerakopf an fest installierten Referenzobjekten orientiert. Als raumfeste Referenzen zur Definition eines Weltkoordinatensystems in der Roboterzelle dienen photogrammetrische Zielmarken. Diese bestehen aus einer Gruppe von Referenzmarkierungen, die durch Bildverarbeitungsalgorithmen hoch genau lokalisiert werden.
Um die räumliche Pose des CPMS zu ermitteln, wird ein mathematisches Modell erstellt, das die Abbildung der Zielmarken auf die Bildebenen der Kameras beschreibt. Die erzielbare Wiederholgenauigkeit hängt von Anzahl und Anordnung der Einzelkameras ab. Bei ungünstiger Kamerakonfiguration treten insbesondere sog. schlecht definierte Freiheitsgrade auf. Damit sind bestimmte kritische Bewegungsrichtungen gemeint, bei denen Änderungen der Messsystem-Pose nur geringe Änderungen der Kamerabilder und somit nur ein schwaches Messsignal bewirken. Solche „Singularitäten" führen zu großen Messfehlern und müssen konstruktiv vermieden werden.
Um eine geeignete Konfiguration für einen Mehrkamera-Messkopf zu ermitteln, wurden mehrere photogrammetrische Modelle von Systemen mit ein, zwei und drei Kameras erstellt und deren Eigenschaften analysiert.
Eine Pose-Messung ist auf Basis des photogrammetrischen Rückwärtsschnittes bereits mit einer einzelnen Kamera möglich. Die Analyse des zugehörigen Modells weist hier aber auf große Messungenauigkeiten hin. Die Gründe sind intuitiv erfassbar, wenn man einmal statt der üblichen Mehrpunktzielmarken einzelne Zielpunkte betrachtet. So ist z. B. eine Abstandsänderung auf dem Kamerabild nicht zu erkennen (Abb. 2: 2) und auch eine Rotation der Kamera um den Zielpunkt kann nicht detektiert werden. Dagegen drückt sich eine Querbewegung unmittelbar in einer Bildänderung aus, die als starkes Messsignal sehr genau erfassbar ist.
Durch die relative räumliche Nähe der Referenzpunkte auf einer Mehrpunktzielmarke ist das Verhalten ähnlich dem von Zielpunkten. Die betroffenen Bewegungen können hier zwar noch gemessen werden, sind aber mit großen Messfehlern belegt.
Durch Hinzunehmen einer zweiten Kamera können zwei von vier schwer detektierbaren Freiheitsgraden der Einzelkamera kompensiert werden. Schlecht detektiert werden kann aber weiterhin eine Rotation des Kamerasystems um die Verbindungsachse der Zielmarken (Abb. 2: 6), und auch die Verschiebung des Kameraträgers auf einem imaginären Kreisbogen ist im Kamerabild nicht erkennbar und kann so nicht gemessen werden.
Drei Kameras
Ein oder zwei Kameras genügen also nicht. Ein naiver Drei-Kamera-Ansatz ist der Aufbau eines CPMS aus drei rechtwinklig entlang der kartesischen Koordinatenachsen angeordneten Kameras. Die Modellierung eines solchen Systems und die Analyse zeigen, dass hier keine schwer erkennbaren Freiheitsgrade mehr vorliegen, was mit einer Erhöhung der zu erwartenden Genauigkeit um gut eine Größenordnung einhergeht. Jedoch fiel bei dieser Anordnung negativ auf, dass für zwei der insgesamt sechs möglichen Freiheitsgrade einer Pose eine um etwa den Faktor 2 verschlechterte Messgenauigkeit vorliegt. Die Ursache liegt in der Anordnung der Kameras. Im Rahmen einer systematischen Suche konnte ermittelt werden, dass eine planare Anordnung der Kameras in Form eines gleichschenkligen Dreiecks die Nachteile beseitigt und eine nochmalig um einen Faktor 2,3 verbesserte Genauigkeit erwarten lässt.
Ein erster Prototyp des Messsystems befindet sich momentan an der Technischen Hochschule Mittelhessen im Testbetrieb. Das Messsystem, bestehend aus drei CCD-Kameras des Typs The Imaging Source DMK23G274 mit einer Auflösung von 1.600 x 1.200 Bildpunkten, erreicht unter Verwendung von 12mm-Objektiven und 100 mm großen Zielmarken in 1 m Abstand eine theoretische Wiederholgenauigkeit von etwas weniger als 10 µm. Praktische Versuche bestätigen diesen Wert unter der Voraussetzung einer sorgfältigen Kalibrierung. Um die Auflösung der Pose-Messung weiter zu verbessern, kann durch Wahl eines anderen Objektivs oder einer anderen Kamera die Bildauflösung erhöht werden oder der Abstand zu den Zielmarken verringert werden. Durch die Skalierbarkeit ist eine gute Anpassung auf die jeweilige Anwendung und eine Maximierung des Kosten-/Nutzenfaktors möglich.
Zukünftig sind neue Anwendungsfelder denkbar, so könnte durch den neuen Pose-Sensor ein Roboter im Betrieb nachkalibriert werden, wodurch neben dem Einsatz als Messmittelträger dann sogar präzise Bearbeitungsaufgaben möglich würden, die bislang den Einsatz teurer Werkzeugmaschinen erforderten.