Antriebstechnik in Industrie-4.0-Umgebungen
Ein Interview mit Omar Sadi dem Technischen Geschäftsführer von Nord Drivesystems
Omar Sadi, Technischer Geschäftsführer bei Nord Drivesystems, erklärt, was Antriebstechnik heute schon im Sinne von Industrie 4.0 leisten kann, inwieweit die Unternehmen dafür bereit sind und warum sie erst ‚Umgehungsstraßen‘ als anlagentechnische Voraussetzung für Industrie 4.0 schaffen müssen.
Man ist sich nicht ganz einig, welcher Vernetzungsgrad notwendig ist, um von einer Industrie-4.0-Umgebung sprechen zu können. Was bedeutet Industrie 4.0 für Sie, wann fängt Industrie 4.0 für Sie an?
Omar Sadi: Sprechen wir von Industrie 4.0, sprechen wir von Digitalisierung. In vielen Bereichen wird Industrie 4.0 allerdings mit der Automatisierung verwechselt. Auf die Antriebstechnik übertragen heißt das, dass wir als Nord Drivesystems vollständig aufeinander abgestimmte Antriebssysteme bestehend aus Getriebe, Motor und Frequenzumrichter anbieten. Der Frequenzumrichter übernimmt dabei die Funktion des Kopfes beziehungsweise des Gehirns. Eine PLC füttert ihn mit Informationen über den Zustand des Antriebs und ermöglicht dem Umrichter so, Aufgaben eigenständig zu übernehmen und mit der Außenumgebung zu kommunizieren. Genau das ist Industrie 4.0 für uns: Der intelligente Antrieb ist vernetzbar, autark und in Funktion und Leistung skalierbar. Das setzt natürlich voraus, dass die Anlage so ausgelegt ist, dass der Antrieb sein Können – nämlich mit seiner Umgebung zu kommunizieren – auch ausspielen kann. Digitalisierung bedeutet Integration von Sensorik, virtueller Sensorik, Schnittstellen zu Bussystemen sowie intelligenter Software.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Antriebstechnik im Kontext von Industrie 4.0? Und wie wird Antriebstechnik intelligent?
Omar Sadi: Bereits die früheren industriellen Revolutionen erfolgten mithilfe von Antriebssystemen. Auch in der Industrie 4.0 kommt der Antriebstechnik eine extrem wichtige Rolle zu: Sie ist Grundvoraussetzung für die Digitalisierung der Produktion. Wir können mit unseren Antriebssystemen – und das ist genau die Grundvoraussetzung für Digitalisierung – in einem Master-Slave-System Gruppen bilden, die intelligent miteinander kommunizieren können. Das ermöglicht den modularen Aufbau der Anlage mit verschiedenen Gruppen und in einem nächsten Schritt die Vernetzung der gesamten Fabrik. Unsere Antriebssysteme bieten die Möglichkeit, sowohl auf eine zentrale SPS als auch autark auf die Antriebsgruppen zuzugreifen. In einem weiteren Schritt können dann Fabriken miteinander vernetzt werden. Man sieht an diesem Beispiel sehr schön, dass Antriebssysteme die Grundelemente der Fabrik- und Anlagenvernetzung sind. Wenn die Antriebssysteme die Intelligenz nicht haben, funktioniert die ganze Kette nicht.
Besonderer Stellenwert kommt hierbei der Antriebselektronik zu. Denn sie macht aus mechanischen oder elektromechanischen Komponenten erst wirklich eine intelligente Antriebslösung. Alle unsere Frequenzumrichter haben eine leistungsfähige PLC an Bord. Diese übernimmt die Verarbeitung von Signalen sowie die Auswertung von Antriebs- und Applikationsdaten und bietet optimierte Diagnosemöglichkeiten. Die Antriebs-PLC ist das Gehirn des Antriebssystems, durch sie lassen sich autarke Produktionsgruppen und Fertigungsinseln bilden. Letztendlich ist die integrierte PLC eine Grundvoraussetzung für ein Industrie-4.0-fähiges Antriebssystem mit dezentraler Intelligenz.
An welcher Position auf dem Weg hin zu einer Produktion 4.0 sehen Sie Nord Drivesystems aktuell?
Omar Sadi: Antriebslösungen von Nord sind Industrie-4.0-ready. Unsere Antriebe protokollieren die Antriebs- und Anwendungsdaten fortlaufend und werten alle zur Verfügung stehenden Sensor- und Aktordaten aus. Diese smarte Vernetzung und die Sammlung relevanter Antriebsdaten ermöglicht eine vorausschauende Wartung, die Erfassung der Leistungsdaten, eine optimierte Anlagendimensionierung sowie eine kontinuierliche Zustandsüberwachung der Antriebe. Auf Produktebene sind wir damit voll in der Industrie 4.0 angekommen.
Und was kann intelligente Antriebstechnik heute schon leisten?
Omar Sadi: Mit der dezentralen Technik mit integrierter PLC können die Antriebe die Aufgaben selbstständig lösen. Das heißt, sie können die Signale aufnehmen, Daten auswerten oder Fehler erkennen und folglich durch die Kommunikation innerhalb der Gruppe Master-Slave auch Probleme beheben oder wenn ein Hardware-Defekt vorliegt, diesen der Zentrale melden. Zudem bieten unsere Antriebe bei entsprechendem Anlagenkonzept auch die Möglichkeit, defekte Stationen über einen Bypass zu umgehen, um die Anlage störungsfrei weiterlaufen zu lassen.
Unsere vernetzten Antriebe arbeiten mit allen marktüblichen Bussystemen zusammen und kommunizieren ihre Zustandsdaten über die Steuerung oder direkt in die sichere Cloud. Von dort sind die Daten weltweit zur Auswertung und Analyse verfügbar. Die gesamte Anlage mit Nord-Antriebssystemen kann so überwacht werden. Durch die kontinuierliche Überwachung der Feldebene, die Verknüpfung von Kommunikation, Sensorik (Temperatur, Stromaufnahme), Prozessdaten (Drehmoment, Beschleunigung, Drehzahl) und den Vitalparametern des Antriebes ergibt sich eine höhere Flexibilität und Prozesssicherheit des Systems. Die automatische Zustandsbeurteilung (Condition Monitoring) wird möglich. So können ungeplante Stillstandzeiten signifikant verringert werden und eine zustandsorientierte Instandhaltung (Predictive Maintenance) tritt an die Stelle der zeitbasierten Wartung. Das erhöht die Anlagenverfügbarkeit und die Wartungs- und Instandhaltungskosten reduzieren sich deutlich.
Und was soll intelligente Antriebstechnik zukünftig leisten können?
Omar Sadi: Die Intelligenz unserer Antriebe ist bereits voll ausgereift. Natürlich kann man die Elektronik weiter verbessern, zum Beispiel mit schnelleren Prozessoren. Aktuell arbeiten wir gerade daran, die Antriebe direkt an die Cloud anzubinden. Sehr wichtig ist auch das Thema Datensicherheit. Der intelligente Antrieb muss einen sicheren Datentransfer gewährleisten, zum Beispiel über Profisafe.
Das funktioniert wie?
Omar Sadi: Der Empfänger einer Datenmenge vergleicht die genaue Anzahl der Bits und Bytes mit den Informationen des Senders. Erst wenn die Informationen von Sender und Empfänger übereinstimmen, können die Daten verarbeitet werden. Wenn also jemand die Informationen auf dem Weg vom Sender zum Empfänger manipuliert oder gehackt hat, merkt der Anwender dies frühzeitig – das heißt, bevor die Daten in die Steuerung eingespeist werden. Der Prozess wird gestoppt. Die derzeitigen Cloud-Lösungen bieten das bereits an. In Zukunft wird es weitere Lösungen und Konzepte geben.
Wo geht Ihrer Meinung nach die Reise hin?
Omar Sadi: Perspektivisch in Richtung cyber-physikalische Systeme, die verteilt und dezentral, herstellerunabhängig und standortübergreifend zusammenarbeiten. Eine beliebige Kombination aus Steuerungen, SPS und Kommunikationsprotokollen wird die Betriebsdaten an die jeweilige Steuerungsebene übertragen. Die ERP-Ebene steuert dann die Feldebene auf Basis der bekannten Felddaten.
Inwieweit kann der Anwender hier profitieren und inwieweit muss er sich anpassen respektive umstellen?
Omar Sadi: Der Anwender profitiert, wie auch jetzt schon, von einem geringeren Wartungsbedarf, der Möglichkeit zur planbaren Instandhaltung, der Optimierung seiner Energieverbräuche, einer erheblichen Reduzierung der Kosten sowie der Erhöhung seiner Anlagenverfügbarkeit. Allerdings können die intelligenten Antriebe ihre Stärken erst dann voll ausspielen, wenn die Anlage beim Endanwender entsprechend ausgelegt ist. Ein Beispiel: Wenn ich mit dem Auto von A nach B fahre und die Autobahn ist gesperrt, dann gibt es andere Straßen, die ich nutzen kann, um das Ziel zu erreichen. Man braucht zwar etwas länger, aber man bleibt nicht stehen. Sind allerdings von der Straßenplanung her keine anderen Straßen vorhanden und gibt es nur den einen Weg über die Autobahn, dann bleibe ich stehen. Genauso verhält es sich bei den Anlagen. Nehmen wir als typische Anwendung ein Gepäck-Förderband. Gibt es nur ein Band mit hintereinander geschalteten Antrieben, bleibt die Anlage stehen, sobald ein Antrieb ausfällt. Wenn aber neben dem Haupt-Förderband zusätzlich ein zweites, paralleles Förderband installiert ist – und genau das ist die Anlagenauslegung – kann das Gepäck beim Ausfall eines Antriebs auf dem Haupt-Förderband auf die Nebenstrecke umgeleitet werden. So bleibt die Anlage nicht stehen. In den Master-Slave-Gruppen der vernetzten Produktion übernimmt der Master-Antrieb die Rolle des Vorarbeiters und kümmert sich autark mit seinen „Mitarbeitern“, den Slave-Antrieben, um den reibungslosen Ablauf. Treten Probleme auf, werden diese selbstständig gelöst und die Zentrale erhält eine Rückmeldung, wo was passiert ist. Für eine intelligente, digitalisierte Produktion im Sinne von Industrie 4.0 braucht es also gewisse anlagentechnische Voraussetzungen. Die Anwender müssen sich insofern umstellen, dass sie ihre Anlagen entsprechend designen und Ausweichmöglichkeiten schaffen, damit der intelligente Antrieb bei Überlast oder im Falle von Problemen auf „Umgehungsstraßen“ zurückgreifen kann.
Sind denn die Unternehmen Ihrer Ansicht nach bereit für Cloud-Konzepte und Industrie 4.0 im Allgemeinen?
Omar Sadi: Jedes Unternehmen denkt und plant für die Zukunft. Und an Industrie 4.0 kommt niemand vorbei. Aus meiner Sicht stehen die Unternehmen im Maschinenbau auf dem Weg zu Industrie 4.0 noch relativ am Anfang. Das liegt größtenteils daran, dass die entsprechenden Voraussetzungen fehlen. Die Unternehmen haben eine gewisse Historie und waren damit jahrzehntelang optimal aufgestellt. Jetzt kommt der Themenkomplex Intelligenz, Vernetzbarkeit, Automatisierung, was vor allem die KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) vor ganz neue Herausforderungen stellt. Sie brauchen elektrotechnische Kompetenz, Software-Kompetenz, Manpower, Mitarbeiterqualifizierung, eine entsprechende Struktur im Unternehmen und vieles mehr. Das geht nicht von heute auf morgen. Das erfordert Zeit und ist mit entsprechenden Investitionen verbunden. Auch das Thema Datensicherheit verunsichert noch viele. Erheblichen Handlungsbedarf sehe ich zudem bei der Breitband-Anbindung. Um die Daten in die Cloud zu schicken, brauchen die Unternehmen Breitband-Leitungen. Ohne Breitband ist eine Digitalisierung nicht möglich.
Um eine zustandsorientierte Instandhaltung realisieren zu können, muss das Antriebssystem Unmengen an Daten erfassen und in die Cloud liefern. Welche Möglichkeiten der Filterung respektive Selektion gibt es? Das heißt, wie werden die Daten für den Anwender nutzbar?
Omar Sadi: Interne Prozessdaten (zum Beispiel Strom, Spannung, Statusinformationen oder Drehmoment) und extern angeschlossene Sensoren (zum Beispiel Lichtschranken, Vibration, Drehzahl, Temperatur) liegen im Frequenzumrichter vor. Durch intelligente Algorithmen können diese Daten ausgewertet und für den Anwender nutzbar gemacht werden. Trends zu Zustandsverschlechterungen können so schnell festgestellt werden und der Anlagenbetreiber hat die Möglichkeit, frühzeitig zu reagieren, noch bevor ein Schaden aufgetreten ist. Alle Antriebsdaten werden über den Umrichter erfasst und über das Bussystem an die übergeordnete Anlagensteuerung übermittelt. Von dort gelangen die Daten über ein Gateway in die sichere Cloud. Der intelligente Antrieb schickt nur Messwerte, die sich zu den vorhergehenden verändert haben. Dies reduziert erheblich das Datenvolumen und die Netz-Auslastung. Der Weg in die Cloud kann auch von der zentralen Anlagensteuerung entkoppelt werden. Dies erhöht die Datensicherheit für die Betreiber, da nur die Antriebsdaten gelesen werden. Die zentrale Anlagensteuerung wird zudem entlastet. Unsere Antriebe kommunizieren mit allen marktüblichen Bussystemen, sodass das Antriebssystem in jede Anlagenautomation integriert werden kann. In der Cloud stehen die Daten zur weiteren Auswertung, Analyse und Diagnose zur Verfügung. Der Anlagennutzer kann von überall mit jedem mobilen Endgerät darauf zugreifen. In einer übersichtlichen Visualisierung der Antriebszustände lassen sich Abweichungen vom Normalzustand schnell erkennen und Wartungsintervalle entsprechend der Belastung der Antriebe planen. Dies ermöglicht eine vorausschauende Wartung und somit eine Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit sowie die optimale Koordination der Service-Einsätze. Dank Zustandsüberwachung können außerdem zukunftsorientierte Optimierungen vorgenommen werden.
Wie unterstützt Nord Drivesystems den Anwender/den Kunden bei der Umsetzung einer Produktion im Sinne von Industrie 4.0? Inwieweit wird dieser Support aktuell schon nachgefragt?
Omar Sadi: Wir liefern intelligente Antriebe für die Industrie-4.0-Anlagenarchitektur unserer Kunden. In unserem Applikationstestfeld demonstrieren wir ihnen die Möglichkeiten zur Cloud-Anbindung. Dazu haben wir eigens eine von 15 Nord-Antrieben betriebene Pilot-Förderanlage installiert und an die Cloud angebunden. Die Anlage ist skalierbar, das heißt, sie lässt sich durch die Veränderung von Parametern in der Software auf jede beliebige Anzahl von Antrieben hochskalieren. Auch können wir unseren Kunden die Funktionsweise und Chancen von Condition Monitoring und Predictive Maintenance mithilfe virtueller Sensorik aufzeigen. Wie bereits erwähnt: Das Interesse und die Willenserklärungen zu Industrie 4.0 sind da, allerdings brauchen die Kunden bei der Umsetzung noch Zeit.
Kontakt
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