Automatisierung

Pilz Sicherheitssteuerung kommuniziert mit Safetybus P via Lichtwellenleiter und sichert so größtes deutsches Radioteleskop

30.03.2011 -

Europas größtes voll dreh- und schwenkbares Radioteleskop tastet in der Nähe von Bad Münstereifel seit 1972 den Himmel nach Signalen aus dem Weltraum ab. Weil die Antenne ab und an gewartet werden muss, wacht eine kompakte Sicherheitssteuerung darüber, dass das Servicepersonal nicht gefährdet ist, sollten sich die 3.200 t Stahl unerwartet in Bewegung setzen. Weil elektrische Schaltimpulse die Messergebnisse verfälschen würden, kommt eine optoelektronische Signalübermittlung über Safetybus p mit Lichtwellenleitern als Übertragungsmedium zum Einsatz.

Eingebettet in einen Talkessel erhebt sich die weiße Stahlkonstruktion mit ihrem Spiegeldurchmesser von 100 m aus dem Wald, einige Kilometer nordöstlich des Eifelörtchens Effelsberg. Das Radioteleskop in Diensten des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) ist das zweitgrößte, voll-bewegliche Radioteleskop der Welt und untersucht die Physik und Chemie im Universum. Das Teleskop beobachtet u.a. Pulsare, kalte Gas- und Staubwolken, Sternentstehungsgebiete, von Schwarzen Löchern ausgehende Materiejets und Kerne ferner Galaxien. Mit einer Oberfläche von rund 7.850 m2 empfängt es selbst schwache Radiosignale aus weiten Entfernungen.

Sicherheit bei Wartung und Reparatur
„Unser Teleskop ist eines der zwei größten vollbeweglichen Radioteleskope der Erde. Es kann zum Empfang von Radiowellen im Bereich vom 90 cm bis hinunter zu 3,5-mm-Wellenlänge eingesetzt werden", sagt Dr. Alex Kraus, Stationssleiter des Radioteleskops Effelsberg. Im Kern besteht das Teleskop aus einem parabolischen Hauptspiegel mit 100 m Durchmesser und einem Sekundärspiegel von 6,50 m Durchmesser. Das Radioteleskop bündelt die aus dem Weltall einfallende Strahlung in einem Brennpunkt. Mit einem Umlenkspiegel in der Nähe des Brennpunktes wird die Radiostrahlung zu einem zweiten Brennpunkt, dem Sekundärfokus in der Mitte des Spiegels, reflektiert. In beiden Brennpunkten befinden sich Messkabinen mit rauscharmen Empfangssystemen, die wechselweise eingesetzt werden können. Über ein fest in der Erde verankertes Schienenrund dreht sich die 3.200 t schwere Jahrhundertkonstruktion mit 16 elektrischen Antrieben, die insgesamt 32 Räder spielfrei in Bewegung setzen, in 12 Minuten einmal um die eigene Achse. In knapp sechs Minuten senkt sich die Parabolantenne um nahezu 90°. Damit lässt sich praktisch der gesamte Himmel abtasten. Die Instrumente zur Erfassung, Aufbereitung und Speicherung der gemessenen Signale sowie die Prozessrechner zur Steuerung des Teleskops und zur Datenverarbeitung sind im Steuerraum in einem Gebäude am Hang oberhalb des Teleskops untergebracht. Seit der Inbetriebnahme 1972 erfuhr die Anlage eine ganze Reihe technologischer Verbesserungen, so wurden beispielsweise die Oberfläche des Hauptreflektors ausgetauscht, der Umlenkspiegel samt Fokussteuerung erneuert sowie die Empfänger durch extrem rauscharme Gerätetypen ersetzt. Das Radioteleskop Effelsberg ist damit auch heute noch eines der modernsten Teleskope weltweit. Zu Wartungs- und Reparaturzwecken sind einige Bereiche des Teleskopes begehbar. So erreicht man beispielsweise über die Stützstreben die 30 m über dem Antennenmittelpunkt befindliche Fokuskabine, in der mehrere Techniker des Institutes für die auszuführenden Arbeiten Platz finden. Immer wieder steht dabei das Thema Sicherheit für jene Personen im Mittelpunkt, die sich bei Wartungs- und Reparaturarbeiten innerhalb oder nahe der weitläufigen Stahlkonstruktion aufhalten. „Als Betreiber müssen wir natürlich sicherstellen, dass die Antenne keine Kippbewegungen ausführt, solange dort Arbeiten ausgeführt werden. Sollte dies dennoch passieren, muss ein intelligentes Sicherheitskonzept sämtliche Antriebe sofort zum Stillstand bringen", fasst Betriebs-Ingenieur Rainer Sachert die Aufgabenstellung zusammen.

Schlösser und Hupen
Bisher wurde diese Sicherheit für das Wartungspersonal durch eine hardwaremäßige Sicherheitsverriegelung gewährleistet, z.B. durch Freischalten der Anlage und entsprechender Absicherung und Maßnahmen gegen ungewolltes Wiedereinschalten - durch Schlösser, Gegensprechanlage und Hupe beim Wiedereinschalten. Um sowohl die Sicherheit als auch die Effizienz der Arbeiten zu optimieren, suchte das Techniker-Team der Instandhaltung nach einer Sicherheitslösung, die an die spezifischen Anforderungen des Forschungsteleskopes angepasst werden kann.
Gefordert war eine Not-Halt-Sicherheitslösung mit Kategorie 4 bzw. Performance-Level e für das Radioteleskop, die jedoch bei Schalthandlungen keinerlei elektrische Störsignale verursachen darf. Im Gegensatz zur üblichen Verwendung von Lichtwellenleiter-Verbindungen im industriellen Umfeld zur Optimierung der Störsicherheit von Bussystemen war hier der komplette Ausschluss von elektrischen Störsignalen aus dem Bussystem heraus oberste Prämisse. „Jeder noch so kleine elektrische Impuls würde vom Parabolspiegel registriert werden und fehlerhafte oder irreführende Messergebnisse verursachen", erläutert Dr. Alex Kraus.
Ein Konzept zur Lösung dieser technisch höchst anspruchsvollen Anforderungen wurde dann in Zusammenarbeit mit den Sicherheits- und Automatisierungsspezialisten Pilz entwickelt. Zum Einsatz kommen zwei Sicherheitssteuerungen PSScompact mit Ethernet-Anbindung, die mit über Safetybus p-LWL-Verbindungen gekoppelten dezentralen PSSuniversal-Modulen ein anlagenübergreifendes Sicherheitsnetzwerk bilden. Programmierbare Steuerungssysteme PSS 3000 von Pilz realisieren eine Vielzahl von Automatisierungslösungen - von der Überwachung sicherheitsgerichteter Funktionen bis zur kompletten Steuerung von Maschinen, Anlagen und Prozessabläufen. PSScompact stellen neuartige Sicherheitssteuerungen der dritten Generation in kompakter Bauform mit Safetybus p- und Ethernet-Schnittstellen dar. Aufgrund ihres mehrkanalig diversitären Aufbaus ist dieses System prädestiniert für sicherheitsgerichtete Funktionen, zusätzlich aber auch für Standardfunktionen wie z.B. Visualisierung. PSSuniversal-Module lesen die Sicherheitssensorik, z.B. Not-Halt-Schlagtaster, dezentral auf Feldebene ein und übernehmen dort sicherheitsgerichtete Steuerungsfunktionen. Die Verbindung mit der Anlagensteuerungsebene erfolgt über den PSS Standardteil mit einer Ethernetverbindung.

Lichtwellenleiter erhöhen Sicherheit
Um elektrische Störimpulse prinzipiell auszuschließen, kommunizieren die PSS-Steuerungen und die dezentralen PSSu-Module über acht Lichtwellenleiter-Stränge miteinander. Von Vorteil war dabei, dass beim Radioteleskop Effelsberg vorausschauend bereits Lichtwellen-Verbindungsleitungen verlegt waren, die von der Energieversorgung unter den Ringfundamenten durch den sogenannten Königszapfen (die zentrale Lagerung des Teleskopes) bis in die im Zentrum der Antenne befindliche Fokuskabine führen. Die PSSu-Module versehen ihren Dienst an acht strategisch ausgewählten Punkten, so beispielsweise an der Elevationsplattform, also der Antriebsebene des Zahnkranzes zum Kippen des Teleskopes, im Steuerraum, im Zentrum der Regelungs- und Steuerungstechnik, dem sogenannten E-Haus, sowie in der Apex- und in der Fokuskabine. Sollte sich dort beispielsweise gerade ein Servicemitarbeiter aufhalten, während sich das Teleskop in Bewegung setzt, ließen sich per Not-Halt-Taster sämtliche Antriebsmotoren unmittelbar stoppen. Damit ist die Sicherheit der Mitarbeiter, die sich service- oder wartungsbedingt im Bereich der riesigen Antenne aufhalten, gewährleistet.
Eine weitere Safetybus p-LWL-Strecke verbindet eine ebenfalls am Standort Effelsberg installierte neue Generation von Radioteleskopen, genannt Lofar, ebenfalls mit dem Steuerraum. Lofar (Low Frequency Array) ist ein sogenanntes Radiointerferometer, also eine Anordnung aus vielen europaweit verteilten Stationen, die aus 192 pyramidenförmigen Einzelantennen bestehen. Deren Signale können durch Computervernetzung zu einem einzigen Signal kombiniert werden.

Leistungsfähiges Diagnosesystem
Die Lösung mit PSS-Sicherheitsteuerungen beinhaltet auch noch ein leistungsfähiges Diagnosesystem, welches die Verfügbarkeit des Teleskopes weiter steigert. Insbesondere in den Sommermonaten, wo der Messbetrieb sehr intensiv durchgeführt wird, ist eine schnelle Fehler-Diagnose und -Behebung extrem wichtig, um den Erfolg der Messreihen zu gewährleisten.
Alle relevanten Betriebs- und Fehlermeldungen, die aus den abgenommenen Softwarebausteinen, dem Betriebssystem oder auch aus dem Fehlerstack der PSS-Steuerungen kommen, werden via Ethernet auf die Bildschirme der Industrie-PCs in der Anlagensteuerung übertragen. Die Visualisierung erfolgt dort über einen OPC-Server - eine standardisierte Software-Schnittstelle, die es Anwendungen unterschiedlichster Hersteller ermöglicht, Daten auszutauschen - mit Erstfehlermeldung, Zeitstempel und Protokollierung der Meldungshistorie. (gro)

 

Kontakt

Pilz GmbH & Co. KG

Felix Wankel Str. 2
73760 Ostfildern
Deutschland

+49 711 3409 0
+49 711 3409 133

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