Schichtdickenprüfsystem für die Batteriezellen der BMW Group
14.11.2022 - Photothermisches Messverfahren in der Automobilindustrie
Eine fehlerbehaftete Batterieproduktion kann im Extremfall zu Selbstzerstörung und Brand der Batterie führen. Daher entwickelten drei Unternehmen gemeinsam ein Inspektionssystem für die isolierende Zellbeschichtung und leisteten so einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Elektroautobatterien der BMW Group.
Batteriesysteme von Elektroautos bestehen aus Lithium-Ionen-Zellen, wie sie auch in Mobiltelefonen oder Notebooks eingebaut sind. Mehrere dieser Zellen werden zu Batteriemodulen zusammengefasst, deren Größe und Anzahl wiederum Leistung und Reichweite des Fahrzeugs bestimmen. Dabei liegen bis zu 800 Volt Spannung an – deutlich mehr als an der heimischen 230-Volt-Steckdose. Die Zellen müssen deshalb zuverlässig voneinander isoliert werden, um einen Kurzschluss und ein mögliches Abbrennen der ganzen Batterie zu verhindern. Dazu wird das Aluminiumgehäuse mit einer Beschichtung versehen, die die Oberfläche schützt und die notwendige Isolationsfunktion übernimmt. Die Beschichtungsdicke ist dabei ein sicherheitsrelevanter Parameter, den es in der Produktion sorgfältig zu überwachen gilt.
Beschichtungsdicke als sicherheitsrelevanter Faktor
„Da die Beschichtungsdicke eine funktionskritische Kenngröße ist, müssen alle Arten von Beschichtungsfehlern wie ungleichmäßiger Lackauftrag oder Lackverlauf, aber auch Beschädigungen, Kratzer, Risse oder eingeschlossene Fremdpartikel wie Staub oder Fussel zuverlässig erkannt werden”, erklärt Dr. Peter Scheibner, Leiter Projektmanagement von Sturm Maschinen- & Anlagenbau, einem der drei an der Entwicklung des Prüfsystems beteiligten Unternehmen. Dazu fährt jede Zelle direkt nach der Aushärtung auf einem Transportband in eine Messstation, die die Dicke der Beschichtung an mehreren Stellen berührungslos prüft.
Schichtdicke per photothermischem Messverfahren ermitteln
Im Inneren kommen Paintchecker-Industrial-Systeme von Optisense zum Einsatz. Die Schichtdickenprüfgeräte verwenden das photothermische Messverfahren, um die Dicke von Beschichtungen berührungslos und zerstörungsfrei zu ermitteln. Dabei werden die unterschiedlichen thermischen Eigenschaften von Beschichtung und Untergrund genutzt, um die absolute Schichtdicke zu bestimmen.
Die Oberfläche der Beschichtung wird mit einem kurzen, intensiven Lichtimpuls um einige Grad aufgewärmt und kühlt anschließend durch Ableitung der Wärme in tiefere Bereiche wieder ab. Dabei sinkt die Temperatur umso schneller, je dünner die Beschichtung ist. Der zeitliche Temperaturverlauf wird mit einem schnellen, hochempfindlichen Infrarotsensor aus der Distanz erfasst und in eine entsprechende Schichtstärke umgerechnet. Durch den punktförmigen Messfleck lassen sich dabei auch sehr kleine Bauteile präzise vermessen.
Allerdings brachten die kurzen Taktzeiten und die sehr beengten Platzverhältnisse bei diesem Projekt einige ganz besondere Herausforderungen hervor: Um die Qualität der Beschichtung insgesamt beurteilen zu können, muss an mehreren Stellen gemessen werden. Zudem lässt sich die Messzeit physikalisch bedingt nicht beliebig verkürzen. Das Anfahren mehrerer Messpunkte nacheinander dauert zu lange und bei vergleichbaren Anbietern sind die Sensoren für diese anspruchsvolle Messaufgabe schlichtweg zu groß.
Kurze Zykluszeiten erfordern Neuentwicklung des Messgeräts
Es wurde ein System benötigt, das mehrere Punkte gleichzeitig vermessen kann und dessen Sensoren klein genug sind, um sie im begrenzten Bauraum nebeneinander unterzubringen. So etwas war jedoch nicht am Markt verfügbar. „Nach intensivem Dialog zwischen der BMW Group und der Optisense-Entwicklung entstand in nur vier Monaten mit dem Paintchecker Industrial, ein photothermisches Messgerät zur berührungslosen, zerstörungsfreien Schichtdickenmessung, das mehrere Sensorköpfe gleichzeitig ansteuern kann”, freut sich Dr. Scheibner, „es eignet sich für feuchte und trockene organische Beschichtungen wie Farben, Lacke und Pulver auf Metall, Gummi und Keramik.“
Das System besteht aus einem zentralen Controller, an den sich bis zu acht Sensoren über Kabel anschließen lassen. Zur Software-seitigen Integration in die Fertigungsanlage verfügt der Paintchecker Industrial über verschiedene Schnittstellen zur übergeordneten SPS.
Auch das Platzproblem wurde elegant gelöst: Indem der Strahlengang der Optik um 90° gefaltet wurde, gelang es, den Sensorkopf soweit zu verkürzen, dass er in den verfügbaren Bauraum passt. Mit dem 150 g schweren Winkelsensor lassen sich bei 40 mm Bautiefe Schichtdicken bis 300 µm schnell, genau und reproduzierbar messen.
Die Beschichtungsanlage wurde mit den neuen Komponenten ausgestattet und lieferte sofort hervorragende Ergebnisse. Dabei unterliegt die Beschichtungsdicke als funktionskritische Qualitätskenngröße strengen Anforderungen an die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der Messung. Nach sechseinhalb Stunden Dauertest mit über 2.900 Messzyklen lag die Standardabweichung der Messung unter einem halben Mikrometer und war damit weit genauer als das, was übliche Wirbelstrom- oder Magnet-induktive Messverfahren erreichen.
Damit war dieses Projekt abgeschlossen. Der erfolgreiche Ersteinsatz der photothermischen Messtechnik in der Batteriefertigung war aber erst der Anfang einer intensiven Kooperation zwischen der BMW Group und Optisense.
Fazit und Ausblick
Zunächst wurden die Paintchecker-Industrial-Angle-Sensoren mit Diffusoren ausgestattet, um den Abstandsbereich zwischen Sensor und Bauteil, in dem eine genaue Messung möglich ist, zu vergrößern. An den nachfolgenden Produktionsanlagen sahen die Entwickler mehr Platz vor, um leistungsfähigere, flexiblere Sensoren einsetzen zu können.
Der Abstand zwischen Sensorkopf und zu messendem Bauteil ließ sich so mehr als verdoppeln und der Toleranzbereich des Messabstands wurde noch einmal vergrößert. Damit lassen sich die Batteriezellen auch dann vermessen, wenn sie nicht ganz genau in die Messstation einfahren, ohne eine Beschädigung von Sensor oder Zelle zu riskieren.
Auch der messbare Schichtdickenbereich wurde mehrfach erweitert, da einerseits größere Zellen und höhere Spannungen eine dickere Beschichtung erfordern, man aber andererseits auch zu dünne Fehlbeschichtungen quantitativ präzise erfassen möchte.