Bildverarbeitung

Optische Prüftechnik aus Oberbayern sorgt weltweit für sichere Reifen

Mit modernster Bildverarbeitung auf der Erfolgsspur

02.01.2017 -

Ein Reifenplatzer bei vollem Tempo auf der Autobahn gehört wohl zu den schlimmsten Albträumen jedes Autofahrers. Jeder kennt dazu die dramatischen Bilder aus der Formel 1. Auch das Leben von Millionen Flugpassagieren hängt tagtäglich von intakten Reifen ab. Die Reifenprüfgeräte der Carl Zeiss Optotechnik aus Neubeuern im Bayerischen Inntal sorgen dort überall mit modernster Bildverarbeitung für größtmögliche Sicherheit. Die inspect hat sich vor Ort selbst davon überzeugen können.

Wer die A8 in Richtung Salzburg kurz hinter Rosenheim bei der Ausfahrt Rohrdorf verlässt, wähnt sich auf direktem Weg ins weißblaue Bergidyll. Aber hier, nur wenige hundert Meter abseits der Autobahn, verbirgt sich an einer unscheinbaren Abzweigung der Sitz eines – im wahrsten Sinne des Wortes – „Hidden Champions“. Als Firmengründer Dr. Hans Steinbichler 1987 die Steinbichler Optotechnik GmbH mit Sitz in Neubeuern gründete, war er bereits seit einigen Jahren unter dem Namen „Labor Dr. Steinbichler“ mit einer Handvoll Mitarbeiter auf dem Gebiet der Interferometrie für die Schwingungsmessung erfolgreich unterwegs. Das junge Unternehmen befasste sich fortan mit der Entwicklung von Systemen zur 3D-Digitalisierung mittels Weißlicht-Streifenprojektion. Daneben gehörten auch schon früh zerstörungsfreie Reifenprüfgeräte zum Portfolio und tragen heute ungefähr ein Drittel zum Gesamtumsatz bei. Seit 2005 bestimmt nun Dr. Marcus Steinbichler in der zweiten Generation die Geschicke des Unternehmens. 2015 übernahm dann die Carl Zeiss Industrielle Messtechnik eine Mehrheitsbeteiligung an dem oberbayrischen Unternehmen, das seitdem unter dem Namen Carl Zeiss Optotechnik GmbH firmiert. Gleichzeitig trat Markus Eßer von der neuen Muttergesellschaft in die Geschäftsführung des Unternehmens ein, das heute knapp 200 Mitarbeiter (davon ein Viertel in der Entwicklung) am Standort Neubeuern beschäftigt und zu den weltweit führenden Anbietern von optischer Mess- und Sensortechnik zählt.

Zerstörungsfreie Reifenprüfung

Die Reifenprüfgeräte der Serie Intact basieren alle auf dem optischen Messverfahren der Shearografie (siehe Kasten). Die Systeme kommen seit dem Jahr 2000 bei der Prüfung von neuen und runderneuerten Pkw- und Lkw-Reifen, aber auch bei Flugzeug-, Motorrad- und Erdbewegungsreifen zum Einsatz. Die größten untersuchten Reifen aus dem Bergbau haben einen riesigen Durchmesser von 4300 mm. Im Automotive-Bereich hat sich die Reifenprüfung mittels Shearografie als Standard etabliert, in der Luftfahrt ist sie gesetzlich vorgeschrieben. Die Systeme stehen bei allen namhaften Reifenherstellern sowie bei einer Vielzahl von mittelständischen Runderneuerungsbetrieben. In der Formel 1 sind sie sogar exklusiv vertreten. Insgesamt sind weltweit bereits mehr als 1.000 Messköpfe installiert, darunter auch lizensierte Systeme mit Intact-Messköpfen.

Ziel ist eine hundertprozentige Sicherheit – ein Reifenversagen im Betrieb oder auch beim Aufpumpen kann fatale Folgen haben. Die Lauffläche und die Seitenwände der Reifen werden deshalb auf interne Ablösungen und Lufteinschlüsse untersucht, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Ein Erfahrungswert besagt, dass beispielsweise bei der Prüfung von runderneuerten Lkw-Reifen etwa 20% der optisch einwandfreien Gebrauchtreifen von der Shearografie als unsicher klassifiziert werden. Auch wirtschaftlich rechnet sich der Einsatz der Shearografie-Technologie: Vor allem in der Runderneuerung profitieren die Kunden von der Kosteneinsparung in Produktion und Einkauf, da schadhafte bzw. ungeeignete Karkassen nicht angekauft werden und die Kosten für deren Bearbeitung somit entfallen.

Automatisierter Prüfablauf

Die Intact-Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie berührungslos und zerstörungsfrei arbeiten. Da keinerlei Präparation der Reifenoberfläche erforderlich ist, ist die Anwendung einfach, schnell und kostengünstig. Nach dem Beladen der druckdichten Prüfkammer fahren die Messköpfe zunächst in den Reifenmantel hinein und werden dank automatischer Reifengrößenerkennung exakt für die Aufnahme der Lauffläche platziert. Bei vier Messköpfen erfasst jeder dabei zwei Sektoren von jeweils 45 Grad. Danach werden die Messköpfe wiederum automatisch zur Untersuchung der obenliegenden Seitenwand von außen positioniert. Sobald die erste Seite „im Kasten“ ist, muss der Reifen für die abschließende Untersuchung der zweiten Seitenwand gewendet werden. Im automatisierten Betrieb sind für eine komplette Reifenprüfung Taktzeiten unter einer Minute erreichbar. Die Systeme zur Shearografie-Reifenprüfung können durch optionale Fördereinrichtungen optimal in die jeweilige Kundenumgebung integriert werden. Auch platzsparende Maschinen mit manueller Beladung werden angeboten.

Einen entscheidenden Anteil am Gesamtsystem hat aber auch die Software – in ihr steckt ein wesentlicher Teil des Know-Hows. Gefordert ist die Rückverfolgbarkeit und eine einfache Klassifikation der Prüfergebnisse. Neben der einfachen Benutzerführung zur Durchführung und Speicherung der Aufnahmen bietet diese auch eine automatische Identifikation von möglichen Fehlstellen anhand von signifikanten Abweichungen in den gespeicherten Shearogrammen. Die vom System erkannten Fehlstellen müssen dann anhand der Ergebnisbilder jeweils vom Bediener beurteilt werden. Das erfordert allerdings eine gewisse Erfahrung. Umfassende Schulungen in der Shearografie-Reifenprüfung sowie kompetente Service- und Supportleistungen runden deshalb das Angebot ab.

Kernkompetenz Bildverarbeitung

Das Unternehmen hat sich bereits seit den 90er Jahren eingehend mit dem Thema Bildverarbeitung beschäftigt. Und beinahe ebenso lange währt schon eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Stemmer Imaging, von wo man die eingesetzten Kameras und weitere optische und elektromechanische Komponenten bezieht. Dazu Rainer Huber, Produktmanager NDT bei Carl Zeiss Optotechnik: „Um in ihren Märkten erfolgreich zu sein, erwarten unsere Kunden zuverlässige Maschinen, die wir auf Basis unserer langjährigen Erfahrungen in diesem Bereich produzieren können. Bei den eingesetzten Komponenten ist es dabei wichtig, einen zuverlässigen Partner mit entsprechendem Know-how und dem richtigen Produkt- und Serviceangebot an der Seite zu haben. Aus diesem Grund arbeiten wir in allen Fragen der Bildverarbeitung schon seit vielen Jahren mit Stemmer Imaging zusammen.“

Wenig überraschend also, dass man sich wiederum der bewährten Zusammenarbeit mit dem Technologielieferanten aus Puchheim bei München bediente, als vor ca. einem Jahr der Startschuss für die Entwicklung einer neuen System-Generation gegeben wurde. Ausgangspunkt für die Neuentwicklung war der Wunsch nach Standardisierung. Rainer Huber: „Im Laufe der Zeit wurde bei uns eine Vielzahl unterschiedlicher Messköpfe entwickelt. Für die Zukunft wollen wir möglichst nur einen Messkopf für die verschiedenen Anwendungsfälle einsetzen.“ Eine weitere Herausforderung bestand darin, bis zu vier Messköpfe nebeneinander, jeweils um 90 Grad versetzt, in einer Messvorrichtung unterzubringen, die auch noch in den kleinsten Reifendurchmessern Platz finden soll. Je mehr Messköpfe, desto kürzer die Messzeit und desto höher der Durchsatz – so lautet die einfache Formel.

Bewährte Systempartnerschaft

Es war also eine erhebliche Neukonstruktion notwendig, gleichzeitig war aber auch Kontinuität gefordert: Bei Zeiss Optotechnik setzt man seit Jahren Kameras mit einem bestimmten CCD-Sensortyp ein (siehe Kasten), auf den der gesamte optische Aufbau und auch die Auswertung perfekt abgestimmt sind. All das sollte auch weiterhin reibungslos funktionieren. Da beim serienmäßigen Gehäuse der präferierten Kamera die Kabelzuführung im geforderten Innendurchmesser der kleinsten Reifen nicht unterzubringen war, musste die Mechanik an die vorgegebene Störkontur angepasst werden. Auch hierbei konnte Stemmer Imaging mit seiner spezifischen Expertise helfen: Die Service-Abteilung entwickelte in enger Zusammenarbeit mit der Mechanik-Konstruktion bei Carl Zeiss Optotechnik eine Gehäusevariante, bei der die Kabelanschlüsse in einem Winkel von 90 Grad zur Bildebene angeordnet sind – im Unterschied zur linearen Anordnung beim Seriengehäuse. Alle Kameras werden nun vor Auslieferung in Puchheim entsprechend umgerüstet (siehe Bild) und ermöglichen so die Verkleinerung der gesamten Messvorrichtung auf eine Größe, mit der nun auch Reifen mit 12 Zoll Durchmesser noch geprüft werden können.

Auch die eingesetzten Optiken mussten für den wartungsfreien industriellen Einsatz angepasst werden. Die Möglichkeit bei Standardoptiken die Voreinstellungen von Fokus und Blende zu verändern führte zu einer Variation in den Messergebnissen. Durch die Blenden-Voreinstellung und die Versiegelung aller Schrauben, welche die Abteilung Hardwareentwicklung von Stemmer Imaging an jeder einzelnen Optik vornimmt, konnte das Problem sicher gelöst werden. Eine weitere Engineering-Dienstleistung bestand in der Auswahl und im Langzeittest von robotertauglichen CAT5e Ethernet-Kabeln mit gewinkeltem Stecker. Diese wurden vor dem Einsatz in der Maschine einem Langzeit-Belastungstest an einem Intact-Messkopf unterzogen. Dieser Test wurde bei Stemmer Imaging unter Aufsicht der hauseigenen Kabelfertigung durchgeführt und protokolliert. So ist sichergestellt, dass die Kabel den Belastungen in der Maschine auch dauerhaft standhalten und es zu keinerlei Übertragungsproblemen kommt. Für die Serienfertigung wird jedes Kabel nun vor Auslieferung geprüft und mit einem entsprechenden Testprotokoll verschickt.

Dank der tatkräftigen Unterstützung und reibungslosen Zusammenarbeit vergingen zwischen der ersten Anforderung und der Inbetriebnahme des ersten Prototyps nur wenige Monate. Laut Marketingleiter Peter Stiefenhöfer von Stemmer Imaging ist dieser Service typisch für den Mehrwert, den sein Haus dem Kunden bietet: „Unsere strategische Aufstellung wird häufig noch nicht richtig erkannt: Wir sind ja schon lange weit mehr als nur ein Vertriebshaus, sondern verstehen uns auch als Hersteller für bestimmte Komponenten und als Servicedienstleister, was unseren Kunden enorm bei der Realisierung ihrer Aufgaben hilft.“

In Entwicklung und Produktion bewähren sich die Reifenprüfsysteme aus Neubeuern tagtäglich im weltweiten Einsatz. Sie tragen maßgeblich dazu bei, die Qualität von Reifen zu verbessern und auf hohem Niveau zu sichern und zeichnen sich durch hohe Zuverlässigkeit aus. Hans Weigert, Vertriebsleiter bei Carl Zeiss Optotechnik und „Steinbichler-Urgestein“, bemerkt deshalb abschließend scherzhaft: „Unser einziges Problem mit den Intact-Geräten ist, dass sie praktisch nie kaputtgehen...“.

 

Reifenprüfung mittels Shearographie

Die Shearografie-Technologie ist ein interferometrisches Prüfverfahren, mit dem Beschädigungen oder Defekte an belasteten Bauteilen erkannt werden können. Dieses Messverfahren macht sogar Verformungen mit einer Größe von wenigen Mikrometern sichtbar. Somit kann eine relativ geringe Bauteilbelastung schon zu eindeutigen Messergebnissen führen, was besonders für die zerstörungsfreie Prüfung zwingend vorgeschrieben ist. Das Prüfobjekt wird mit Laserlicht beleuchtet und durch eine CCD-Kamera mit einer so genannten Shearing-Optik betrachtet. Diese Optik projiziert das Objektbild zweifach auf den Kamerachip; somit wird jeder Objektpunkt doppelt auf dem CCD-Chip dargestellt, wodurch ein Interferogramm entsteht. Wenn sich das Prüfobjekt aufgrund einer Belastung verformt, verändert sich das vom Bauteil reflektierte Laserlicht. Durch die Überlagerung eines Bildes in unbelastetem Objektzustand mit einer Aufnahme, die unter Belastung aufgenommen wurde, kann die Veränderung eines Bildpunktes erfasst werden.

Im Falle der Reifenprüfung wird die Belastung durch eine Variierung des Umgebungsdrucks erzeugt. Zwischen der ersten und zweiten Aufnahme wird der Druck um ca. 50 mbar abgesenkt. Die im Reifen ggf. eingeschlossenen Luftblasen dehnen sich in Folge des Unterdrucks aus und die Oberfläche des Reifens wird an den Fehlstellen geringfügig verformt. Durch einen Vergleich und die Auswertung der Ergebnisbilder lassen sich Rückschlüsse auf Art und Größe des Defekts ziehen. Bei Carl Zeiss Optotechnik befasst man sich bereits seit ca. 1990 mit der Shearographie-Technologie. Das Unternehmen hält mehrere einschlägige Patente, u.a. eines zur direkten Phasenmessung mit nur einem Bild (Shearografie mit räumlichem Phasenshift). Neben der Reifenprüfung kommt die Shearografie auch bei der zerstörungsfreien Prüfung von Verbundwerkstoffen zum Einsatz.

Prüfablauf (von oben): 1. Aufnahme (unbelastet)

2. Aufnahme (belastet)

Ergebnisbild (Seitenwandfehler)

 

 

Die Kamera

Bei der in den Intact-Systemen eingesetzten Kamera handelt es sich um eine Manta G145B-30fps Monochrom-Kamera von Allied Vision. Das ist eine Highspeed-Version der früher verwendeten Prosilica GC1380 mit einer Bildrate von jetzt bis zu 30 Bildern pro Sekunde. In der Kamera arbeitet ein CCD-Sensor vom Typ Sony ICX285 mit einer Auflösung von 1388 x 1038 Pixel. Dieser ist besonders für Infrarot-Anwendungen ausgelegt. Die von Carl Zeiss Optotechnik für die Shearographie-Messung entwickelte Optik ist speziell auf diesen Sensortyp abgestimmt. Aus dem absehbaren Upgrade auf einen CMOS-Sensor – wegen der Abkündigung des CCD-Sensors bis zum Jahr 2020 durch Sony – erwartet man keine größeren Probleme. Da der Hersteller eine mechanisch identische CMOS-Kamera anbietet, ist eine einfache Austauschbarkeit der Komponenten gewährleistet.

Die eingesetzte Manta-Kamera von Allied Vision – links im Seriengehäuse,
rechts modifiziert für Carl Zeiss Optotechnik

Umrüstung der Kamera bei Stemmer Imaging

 

 

VIDEO: Passt's? - Reifeninspektion bei Zeiss mit Bildverarbeitung

Wie verkleinert man eine Bildverarbeitungskamera, um sie in ein 360°-System zur Reifeninspektion einzupassen? Und wie funktioniert die Inspektion des Reifens? Sehen Sie all das in diesem Video von Stemmer Imaging.

 

Kontakt

Stemmer Imaging AG

Gutenbergstr. 9-13
82178 Puchheim
Deutschland

+49 89 80902 0
+49 89 80902 116

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