Bildverarbeitung

Neuheiten des EMVA 1288 Release 4

?Objektive Charakterisierung von industriellen Kameras

05.10.2020 -

Der weltweit genutzte Standard EMVA 1288 zur objektiven Charakterisierung von industriellen Kameras ist mit dem im Dezember 2016 herausgegebenen Release 3.1 auf Kameras und Bildsensoren mit linearer Kennlinie und ohne jegliche Vorverarbeitung beschränkt. Nun stehen die Arbeiten an dem neuen Release 4 kurz vor dem ­Abschluss. Dieses berücksichtigt die Weiterentwicklung der Bildsensorik. Der Artikel gibt eine Vorschau auf die ­erweiterten Möglichkeiten des neuen Release des EMVA 1288 Standards.

Die Entwicklung der Bildsensorik schreitet rasant voran. Bisher dominieren monochrome und Farbbildsensoren mit linearer Kennlinie. Nun kommen immer mehr multimodale Bildsensoren auf den Markt: Sensoren mit erweitertem Spektralbereich, insbesondere in den kurzwelligen Infrarotbereich (SWIR) hinein, multispektrale Bildsensoren mit mehr als drei Farbkanälen, Polarisationsbildsensoren und Laufzeitbildsensoren, die auch ein Tiefenbild generieren. Kameras für Fahrerassistenz­systeme und andere Anwendungen in natürlichen Umgebungen treiben die Entwicklung von Kameras mit einem erweiterten Signalumfang voran, die in der ein oder anderen Weise eine nichtlineare Kennlinie aufweisen. Und schließlich ist außer im Konsumentenbereich auch in der Industrie die Tendenz zu beobachten, dass die Datenvorverarbeitung zunehmend in der Kamera stattfindet, um eine bessere Bildqualität zu erreichen.
Der weltweit genutzte Standard EMVA 1288 zur objektiven Charakterisierung von industriellen Kameras ist mit dem im Dezember 2016 herausgegebenen Release 3.1 allerdings auf Kameras und Bildsensoren mit linearer Kennlinie und ohne jegliche Vorverarbeitung beschränkt. Das nun fast fertige Release 4 berücksichtigt dagegen die eingangs geschilderte Weiterentwicklung der Bildsensorik.

Lineare und nichtlineare Kamerakennlinie

Eine lineare Kennlinie führt zu einem einfachen Kameramodell. Die Beziehung zwischen dem Eingangssignal (während der Belichtungszeit auf ein Pixel auftreffende mittlere Anzahl von Photonen) und dem Ausgangssignal (Mittelwert und Varianz des digitalen Kamerasignals) kann durch nur drei Parameter beschrieben werden, nämlich die Varianz des Dunkelrauschens σd2, die Quantenausbeute η und die Systemverstärkung K. Diese drei Parameter lassen sich aus einer Beleuchtungsserie vom Dunkelbild bis zur Sättigung aus der Beziehung zwischen Eingangssignal und Ausgangssignal bestimmen. Dabei spielen die Kennlinie und die Photon-Transferkurve (Varianz des Ausgangssignals in Relation zum Mittelwert des Ausgangssignals) eine zentrale Rolle. Alle weiteren anwendungsbezogenen Parameter, die die Qualität des Bildsignals beschreiben, wie die absolute Empfindlichkeitsschwelle, die Sättigungskapazität, der ­Signalumfang (dynamic range) und das Signal-Rausch-Verhältnis (SNR) lassen sich daraus berechnen.
Bei einer Kamera mit einer nichtlinearen Kennlinie kann das lineare Modell nicht angewendet werden. Die Modellbildung ist schwierig, da man je nach Art der Nichtlinearität nicht ein, sondern viele mögliche Modelle berücksichtigen müsste. Durch den universellen systemtheoretischen Ansatz des EMVA-1288-Standards funktioniert die Charakterisierung einer nichtlinearen Kamera oder einer Kamera mit unbekannter Vorverarbeitung auch ohne Modell. Das Eingangssignal (Photonenzahl) ist bekannt und das Ausgangs-SNR lässt sich wie die Kennlinie direkt messen. Aus der Steigung der Kennlinie lässt sich auch das Eingangs-SNR bestimmen und daraus wie beim linearen Kameramodell die anwendungsbezogenen Qualitätsparameter. Die Photon-Transferkurve wird bei diesem erweiterten Ansatz nicht mehr benötigt.
Das Entscheidende ist, dass die gleichen Messungen durchgeführt werden. Dann kann der Anwender bei der Auswertung entscheiden, ob das lineare oder generelle Modell benutzt werden soll. Entsprechend ist der Standard in zwei Dokumente aufgeteilt. Die generelle Auswertemethode wird im Dokument „Release 4.0 General“ beschrieben, die nach dem linearen Modell im Dokument „Release 4.0 Linear“ als direkte Fortführung der Vorgängerversion Release 3.1.

Auch das lineare Modell wurde erheblich erweitert

Wie schon eingangs angedeutet, wurde auch das lineare Modell erheblich ausgebaut. Die wichtigsten Neuerungen sind:

  • Erweiterter Wellenlängenbereich vom UV bis in den SWIR-Bereich.
  • Rohdaten beliebiger Bildaufnahme­modalitäten können nach dem Standard charakterisiert werden. Damit wurde nur eine schon gängige Praxis explizit in den Standard aufgenommen.
  • Am Beispiel der Polarisationsbild­sensoren wird gezeigt, wie die vielfältigen und universellen Analysetools des EMVA-1288-Standards auf aus mehreren Kanälen berechnete abgeleiteten Größen angewendet werden können, hier den Polarisationsgrad und den Polarisationswinkel.
  • Moderne CMOS-Sensoren erfordern eine erweiterte Charakterisierung der Inhomogenitäten. Im Gegensatz zu CCD-Bildsensoren können CMOS-Bildsensoren charakteristische spalten- oder zeilenorientierte Inhomogenitäts­muster aufweisen. Daher werden die Inhomogenitäten nun in Spalten-, Zeilen-, und Pixelvariationen zerlegt.
  • Optional können nun auch Kameras mit Optiken oder mit einer Beleuchtung, wie diese durch die Position der Austrittspupille der Optik gegeben ist, nach Standard vermessen werden. Damit ist der Standard nun auch auf Bildsensoren mit zum Rand hin verschobenen Mikrolinsen adäquat anwendbar.
  • Ein besser geeignetes Maß als das in der Release 3.1 für die Linearität der Kennlinie wird eingeführt.
  • Die wichtigste Grafik, die doppelt-­logarithmische Darstellung des Signal-Rausch-Verhältnisses als Funktion der Bestrahlung, wird erweitert. Neben der Modellkurve für das totale SNR, das sowohl zeitliches Rauschen als auch die räumliche Variation durch die Inhomogenitäten berücksichtigt, werden jetzt zusätzlich Messpunkte für alle Intensitätsstufen dargestellt.

Fazit

Mit dem neuen Release 4.0 erweitert sich das Spektrum der Bildsensoren und Kameras erheblich, die nach dem EMVA-1288-Standard vermessen werden können. Damit berücksichtigt der Standard die rasante Weiterentwicklung der Technik. Neben monochromen und Farbbildsensoren kann er auch für UV-empfindliche und SWIR-Kameras, multispektrale, Polarisations- und bildverstärkende Kameras, wie EM-CCDs, multilineare oder andere Kameras mit erweitertem Signal­umfang (HDR) und Kameras mit Optiken benutzt werden. Ebenso kann der Standard auf Kameras mit Vorverarbeitung wie Rauschunterdrückung oder Bildverschärfung angewendet werden. Lediglich für (Noch)-Exoten wie neuromorphe beziehungsweise event-basierte Kameras ist das Release 4.0 noch nicht geeignet. Vorarbeiten, auch solche Kameras in Zukunft charakterisieren zu können, haben aber schon begonnen.
Trotz dieser Vielfalt der Systeme bleibt es bei einem gut überschaubaren Satz an praxisorientierten Qualitätsparametern. Der Release-Kandidat wird im Spätsommer 2020 publiziert und die neue Version des Standards tritt dann nach drei Monaten in Kraft, falls keine Einwände gegen die neue Version eingereicht werden.

Umfangreiches Schulungsprogramm für EMVA 1288 Release 4

Mit der neuen Version des Standards hat die EMVA ein umfangreiches Schulungsprogramm vorbereitet. Das zwei- oder dreitägige Online-Schulungsprogramm für das neue Release 4.0 wird Anfang November 2020 beginnen und dann regelmäßig durchgeführt werden. Die Schulungstermine werden in Kürze publiziert werden. Mit den neuen Schulungen wird auch die Zertifzierung auf Expertenebene fortgeführt. Diese ist für alle gedacht, die sich die nötigen Kenntnisse aneignen wollen, um selbst EMVA-1288-Messungen durchzuführen und die Messergebnisse im Detail zu verstehen, sei es in der Entwicklung neuer Kameras, in der Qualitätskontrolle, oder zum Verständnis des Verhaltens einer Kamera für eine spezifische Anwendung. Die Zertifizierungsprüfungen sind ebenfalls online ­möglich.

Kontakt

EMVA European Machine Vision Association

Gran Via de Carles III, 84 (3rd floor)
08028 Barcelona
Spanien

+34 93 220 7201
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