EMVA-Umfrage: Umsatzrückgang von 17 Prozent für 2020 erwartet
Auswirkungen der Corona-Krise auf die Bildverarbeitungsindustrie
Im April und Juni 2020 führte die EMVA eine zweiteilige Umfrage zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Bildverarbeitungsindustrie durch. Im Durchschnitt rechnen die Umfrageteilnehmer damit, dass der Gesamtumsatz der Bildverarbeitungsindustrie im Jahr 2020 um 17 Prozent zurückgeht. Außerdem erwartet die Mehrheit der Befragten eine U-förmige wirtschaftliche Entwicklung während und nach der Krise.
Zum Zeitpunkt der Befragung hatte die Covid-19-Pandemie noch nicht alle Teile der Welt gleichermaßen schwerwiegend erreicht. Die Bildverarbeitungsbranche sorgte sich allerdings bereits um die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Auf die Frage, welche gesamtwirtschaftliche Entwicklung die Corona-Situation nehmen wird, erwarteten fast 44 Prozent der Teilnehmer eine U-Kurve mit einem starken wirtschaftlichen Rückgang, einer anhaltenden Rezessionsphase und einer erst am Ende einsetzenden starken Erholung. 24 Prozent glaubten an eine W-Rezession mit einem doppelten Einbruch, zunächst begünstigt durch Aufholinvestitionen nach dem Lockdown, jedoch dann gefolgt von einer wirtschaftlichen Verlangsamung aufgrund fehlender Auftragseingänge während der Lockdown-Periode sowie der Sorge um eine zweite Infektionswelle. 17 Prozent erwarteten einen starken Rückgang ohne Anzeichen einer schnellen Erholung (L-Kurve) und lediglich etwa 15 Prozent glaubten an eine starke und schnelle Erholung nach der scharfen Rezession (V-Kurve) (Abb. 1).
Corona-Krise verstärkt Abwärtstrend
Dieses mangelnde Vertrauen in eine schnelle und rasche wirtschaftliche Erholung bestätigen die im zweiten Teil der Umfrage gesammelten Meinungen. Auch eine weitere , davon unabhängige EMVA-Umfrage, der kontinuierliche EMVA Quarterly Machine Vision Sales Report, kommt zu dieser Einschätzung. Diese vierteljährlich durchgeführte Abfrage ergab, dass die Bildverarbeitungsindustrie bereits vor Covid-19 im vierten Quartal 2019 und im ersten Quartal 2020 schrumpfte. Die befragten Unternehmen rechnen mit deutlich stärkeren wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Pandemie im zweiten Halbjahr 2020.
Die Teilnehmer der jüngsten Corona-Umfrage teilten diese Meinung. Allerdings wurde aus Sicht der Komponentenhersteller und Distributoren auch festgestellt, dass direkt nach dem Höhepunkt der Pandemie im April viele Kunden aus Furcht vor Lager- beziehungsweise Lieferengpässen deutlich mehr als die benötige Menge oder gar doppelt so viel bestellten. Die Mehrheit der teilnehmenden Unternehmen geht jedoch davon aus, dass das Vorkrisen-Niveau nicht vor Ende des Jahres 2020 oder sogar erst ein Jahr nach dem Höhepunkt der Krise in diesem Frühjahr erreicht wird (Abb. 2). Auf die Frage nach ihren persönlichen Geschäftserwartungen gaben 56 Prozent der Unternehmen an, dass Covid-19 zu einem Umsatzrückgang geführt hat (Abb. 3).
Mehrheit erwartet Nachfragerückgang im zweiten Halbjahr
Die Mehrheit der angesprochenen Unternehmen zeigten sich für die zweite Hälfte des Jahres 2020 zurückhaltend und erwarteten für diesen Zeitraum einen Nachfragerückgang. Skeptisch sind auch diejenigen, die generell starke Verkäufe in den asiatisch-pazifischen Raum verzeichnen, da viele in dieser Region produzierte Konsumgüter aufgrund der anhaltenden Kaufzurückhaltung möglicherweise keine Käufer auf den westlichen Märkten finden. Im Durchschnitt erwarten die Umfrageteilnehmer, dass die Bildverarbeitungsindustrie im Jahr 2020 um 17 Prozent schrumpfen wird.
Obwohl Länder wie Italien, Spanien, Großbritannien und Frankreich von Covid-19 viel härter betroffen waren als andere europäische Nachbarn, ergab die Befragung keine einheitlichen Aussagen, dass der Rückgang der Bildverarbeitungsumsätze direkt mit der Intensität der Betroffenheit eines bestimmten Landes korreliert. Eine mögliche Erklärung dafür ist der Umzug ins Home-Office vieler Mitarbeiter, wodurch ein Teil der Geschäftstätigkeit erhalten geblieben ist.
Eine andere Frage war, wie lange das jeweilige Unternehmen eine Lock-Down-Zeit wie im März und April 2020 überleben könnte. Hier gaben über 80 Prozent der Unternehmen an, die Situation sechs Monate oder länger bewältigen zu können ehe letztendlich die Insolvenz drohen würde. Dies kann so interpretiert werden, dass viele Unternehmen der Bildverarbeitungsindustrie wirtschaftlich robust aufgestellt sind.
Anwenderindustrien: Covid-19-Gewinner und -Verlierer
Die Automobilindustrie wird von den Umfrageteilnehmern als am stärksten betroffene Anwenderindustrie identifiziert. Jedoch gehört zu einer näheren Betrachtung auch die Tatsache, dass die Stilllegung von Automobilproduktionslinien etwa den Systemintegratoren Möglichkeiten bot, Arbeiten an Anlagen, bei denen im normalen Betrieb nur kleine Slots für den Stillstand der Linie zur Verfügung stehen, zeitlich vorzuziehen. Dadurch erhielten die Integratoren während der ersten Stillstandsperiode unerwartete Aufträge. Ebenfalls stark betroffene Branchen sind der Maschinenbau und der Bereich Sport und Unterhaltung. Darüber hinaus wurden Teile der Glasindustrie durch geschlossene Restaurants und Bars und einer dadurch bedingten geringeren Nachfrage nach Glasflaschen beeinträchtigt.
Kundenbranchen, von denen die Umfrageteilnehmer erwarten, dass sie von der Corona-Pandemie keine Auswirkungen spüren oder sogar profitieren werden, sind die Sektoren Medizinprodukte, Gesundheitswesen und Biowissenschaften, gefolgt von der Pharma- und Kosmetikindustrie und der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Gerade im letztgenannten Sektor gaben mehrere Teilnehmer an, dass der Umsatz aufgrund der höheren Nachfrage nach automatisierter Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sogar gestiegen ist. Auch für die Logistikbranche werden Corona-bedingt höhere Umsätze erwartet.
Sind die Lieferketten in Gefahr?
Eine weitere Herausforderung in der gegenwärtigen Situation ist die Stabilität der Lieferketten, welche durch geschlossene Grenzen und einem reduzierten Luftverkehr möglicherweise beeinträchtigt wird. Zum Zeitpunkt der Befragung zwischen April und Juni 2020 antworteten 56 Prozent, dass ihre Lieferketten noch nicht in Gefahr seien. Weitere 31 Prozent gaben jedoch an, dass sie hier absehbar Schwierigkeiten haben würden, und 12 Prozent sagten, dass die Coronakrise die Lieferung von Komponenten bereits stark beeinträchtigt habe (Abb. 4).
Auch in den begleitenden Interviews wurden Unterbrechungen in der Lieferkette bestätigt. Unternehmen in Frankreich berichteten etwa, dass ein großer Logistikanbieter das Abholen und Zustellen von Paketen fast den gesamten April hindurch ohne Ankündigung eingestellt habe. Aufgrund der Verlängerung der Arbeitsunterbrechung in China wegen des chinesischen Neujahrsfestes bis in den März hinein wurde über Lieferengpässe und -verzögerungen vor allem bei allgemeinen elektronischen Komponenten und Industrie-PCs aus der Region berichtet. Darüber hinaus stiegen die Versandkosten aus Asien aufgrund des Mangels an Transportraum in China, Korea und Singapur. Sollte die Nachfrage wieder ansteigen, wird mit langen Vorlaufzeiten gerechnet, da die verringerten Produktionskapazitäten den plötzlichen Nachfrageanstieg möglicherweise nicht auffangen können. Insgesamt könnten diese Erfahrungen dazu führen, dass Unternehmen ihre Lieferantenstruktur überdenken und durch den Aufbau von Alternativen in verschiedenen Ländern weiter diversifizieren.
Homeoffice hat sich bewährt
Ein bemerkenswertes Ergebnis aus den geführten Interviews war die fast einhellige Meinung bezüglich der Effizienz beim Arbeiten im Homeoffice. Die Befragten gaben an, dass die Mehrheit der Mitarbeiter nach einer kurzen Übergangszeit von zuhause aus voll arbeitsfähig war.
Darüber hinaus gaben die meisten Interviewpartner an, dass die übliche Reisetätigkeit zu Lieferanten und Kunden erfolgreich zeit- und kostensparend durch Videokonferenz-Tools ersetzt werden konnte. Die Mitarbeiter profitierten auch von einer Verringerung des täglichen Berufspendelns zwischen Wohnung und Büro, da es entweder nicht möglich oder aufgrund des Homeoffice nicht mehr notwendig war. Dies führt zur allgemeinen Empfindung, dass auch nach der Lockerung der derzeitigen Beschränkungen wohl ein Teil dieser neuen digitalen Besprechungsinstrumente erhalten bleiben wird und sich das Volumen von Geschäftsreisen im Vergleich zur Situation vor der Krise reduzieren wird. So fasste einer unserer Befragten diese neue Arbeitserfahrung zusammen: „Die Menschen gewöhnen sich an die Arbeit ohne Geschäftsreisen und die Unternehmen werden sehen, wie viel Geld während des Lockdowns dadurch eingespart wurde, was zur Beibehaltung von Videokonferenzen anstelle von Reisen beitragen wird.“ Natürlich ersetzen diese neuen Gewohnheiten nicht vollständig persönliche Besuche bei einem Kunden, dem von einem Spezialisten vor Ort vermittelten Fachwissen oder auch die kulturellen Gewohnheiten von persönlichen Treffen und Einladungen zum Abendessen als Teil des für ganz Europa typischen Respekts vor dem Kunden.
Präsenzveranstaltungen wie Messen und Kongresse fehlen
Deutlich negativere Auswirkungen des sozialen Lockdowns werden in der Absage von Fachmessen und Kongressen gesehen. „Keine Messe bedeutet keine neuen Kontakte“ und „Virtuelle Messen sind eine Sache, aber man muss das Produkt live erleben“ zusammen mit „Wir sind Menschen und wollen persönlich interagieren“ waren Aussagen, die die Befürchtung zusammenfassen, dass ohne aktive Neugeschäftsentwicklung auf den sonst üblichen Messeständen der Mangel an neuen Anfragen zum Umsatzrückgang im zweiten Halbjahr beitragen könnte. Jedoch vermissten nicht alle Interviewpartner die physischen Fachmessen. Einige Unternehmen profitierten von einer bereits vor der Pandemie eingeleiteten Kundeninteraktion über das Internet sowie Tools zur Suchmaschinenoptimierung.
Chancen für die Bildverarbeitung
„Ein Ereignis wie dieses erzwingt Veränderung“, „Wir betrachten die Krise als Chance“ sind nur zwei Aussagen dahingehend, wie sich Covid-19 auf die Unternehmen der Bildverarbeitungsindustrie auswirken könnte. Ein Interviewpartner bezeichnete die aktuelle Situation als „Seeding Period“ in der F&E. Gemeint ist, dass aufgrund der Lockdown-Zeit die tägliche Arbeit fast ruhte, was Gelegenheit bot, die Ressourcen des Unternehmens auf F&E-Projekte zu konzentrieren und in Innovation zu investieren.
Vor diesem Hintergrund werden die größten Chancen in der Beschleunigung der Produktionsflexibilität durch Robotik sowie Prozess- und Fabrikautomation gesehen, wobei die industrielle Bildverarbeitung als Auge der Industrie 4.0 eine Schlüsselrolle bei der Digitalisierung von Fabriken spielt. Um von diesen Chancen zu profitieren wurde aber auch klargestellt, dass sich die Bildverarbeitungsindustrie als Enabler einer höheren Rentabilität deutlich präsentieren muss.
Diese Meinungen spiegeln sich in den Antworten auf die Frage wider, ob die Bildverarbeitungsindustrie letztendlich von den Auswirkungen von Covid-19 etwa durch beschleunigte Automatisierung und Digitalisierung profitieren kann. 68 Prozent der Befragten bejahten dies.
Ein weiterer Nebeneffekt der Lockdown-Phase und der geschlossenen Landesgrenzen könnte auch eine Rückverlagerung von Produktion analog zur Reshoring-Bewegung in den USA vor einigen Jahren sein. Dies gilt zum Beispiel für die Pharmaindustrie in Frankreich und Deutschland, von der zunehmend gefordert wird, Produktionskapazitäten aus Asien in ihre Heimatländer zu verlagern. Das würde eine Chance auch für die Bildverarbeitungsindustrie bedeuten, da die Qualitätskontrolle ein Schlüsselelement bei der Herstellung von Arzneimitteln ist.
Unabhängig davon, wo sich ein Unternehmen in der Wertschöpfungskette der industriellen Bildverarbeitung befindet, ist der Ratschlag eines Interviewpartners wahrscheinlich für alle Unternehmen anwendbar: „Die Corona-Krise muss für alle Unternehmen zum Anlass genommen werden, ihr Geschäftsmodell und ihre Effizienz auf den Prüfstand zu stellen.“
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