Automatisierung

E-Mobilität in Deutschland

Wo Deutschland in punkto Elektromobilität heute steht. Ein Überblick.

28.08.2017 -

Deutschland hinkt in Sachen E-Mobilität hinterher. Und das ist uns nicht erst bewusst, seit Bundeskanzlerin Merkel ihr Ziel, bis 2020 1 Million Stromer auf deutsche Straßen zu bringen, gekippt hat. Doch es tut sich was in Deutschland. Fallende Batteriepreise, höhere Reichweite und eine steigende Anzahl an E-Fahrzeugmodellen lassen zuversichtlich ins Jahr 2025 blicken.

Elektromobile sind leise, vibrieren kaum und beschleunigen stark. Der Fahrspaß sei einfach grandios, so ihre Fahrer. Nicht zu vergessen: Die elektrisch betriebenen Fahrzeuge haben keinen Auspuff und blasen somit auch keine Schadstoffe wie CO2 oder Stickoxide in die Luft. Allein deswegen, kauft aber kaum jemand die emissionsfreien Fahrzeuge.
Bis 2016 sei der geplante Markthochlauf in Deutschland noch in Ordnung gewesen. „Aber in diesem Jahr werden wir wohl hinter der NPE-Prognose zurückbleiben, jeden Monat im Schnitt 10.000 neue Elektrofahrzeuge zuzulassen“, sagte Henning Kagermann, Chef der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE), in einem Interview mit dem Tagesspiegel Anfang Mai. Zum Vergleich: In den ersten fünf Monaten 2017 wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt 7.993 Elektrofahrzeuge (BEV) und 9.761 Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge (PHEV) neu zugelassen.
Die in Deutschland seit 2011 bestehende Verlockung auf Steuerbefreiung bei Neuzulassung reichte bisher als Kaufanreiz nicht aus. Seit 2015 gilt das Elektromobilitätsgesetz, das freie Fahrt auf Busspuren und kostenloses Parken ermöglicht. Doch Städte und Kommunen setzten es kaum um. Seit Juli 2016 gibt es als weiteren Kaufanreiz 4.000 Euro für BEV und 3.000 für Plug-in-Hybride. Bund und Industrie tragen jeweils die Hälfte der Förderung von insgesamt 600 Millionen Euro.
Doch der Run auf Elektrofahrzeuge lässt noch immer auf sich warten. Bis Ende Mai 2017 wurden bei dem für die Auszahlung zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) 20.627 Anträge gestellt, darunter 11.652 für BEV. Ist die Förderung schon jetzt gescheitert? „Noch ist es zu früh für eine Bewertung. Viele gewerblich genutzten Flotten, die den Großteil an Neufahrzeugen ausmachen, haben noch keine Anträge gestellt“, so die Pressesprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums, Beate Baron. Spätestens 2019 soll das Programm jedoch enden. Wird das für den gewünschten Markthochlauf ausreichen?
Selbst in Norwegen, dem Land mit der höchsten Marktdurchdringung – der Marktanteil liegt dort bei 29 Prozent –, sind elektrisch betriebene Fahrzeuge noch kein Selbstläufer. Den Hauptgrund für den bisherigen Erfolg sieht Petter Haugneland von der Elbil-Vereinigung, dem norwegischen Elektromobilitätsverband, im Verursacherprinzip, nach dem Autos dort besteuert werden: Je höher die CO2-Emissionen eines Fahrzeuges, desto mehr Steuer bezahlt der Besitzer – Nullemissions-Fahrzeuge sind von der Steuer befreit. Es wird aber auch die Mehrwertsteuer von 25 Prozent und die Importsteuer erlassen. Hinzu kommen Privilegien wie kostenfreie Fahrten auf Autobahnen und Fähren, reduzierte Straßensteuer sowie kostenfreies kommunales Parken. Seit rund 20 Jahren wird Elektromobilität in Norwegen gefördert, was über 100.000 BEV auf die Straßen brachte. Und noch immer gilt: „Ohne Kaufanreize sind Elektrofahrzeuge noch nicht wettbewerbsfähig“, so Haugneland.
Bis 2025 will die norwegische Regierung, einen Marktanteil von 100 Prozent an Nullemissions-Autos, zu denen auch Wasserstoff-Fahrzeuge zählen, erreichen. „Hierfür muss die Regierung die Subventionen so lang wie möglich aufrechterhalten“, ist sich Haugneland sicher. Und das nicht ohne Grund wie der Elektromobilitätsexperte von McKinsey, Nicolai Müller, bemerkt: „Die Märkte reagieren derzeit noch sehr sensibel auf Änderungen bei den Subventionen. So hat es in den Niederlanden kürzlich einen Einbruch der Nachfrage nach E-Autos gegeben, nachdem eine Förderung ausgelaufen ist.“ Seit 2010 verfolgt das Beraterhaus 15 führende Ländermärkte mit dem Markt-Electric-Vehicle-Index (EVI). Norwegen belegt Platz 1, gefolgt von den Niederlanden, Deutschland ist derzeit auf Platz 13.

Ladeinfrastruktur muss sichtbar sein

Damit sich die Situation in Deutschland ändert, fördert die Bundesregierung auch den Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Schnelllade- und Normalladestationen. Von Februar 2017 bis 2020 stehen dafür 300 Millionen Euro bereit. Der erste Förderaufruf war innerhalb kurzer Zeit mit über 1.000 Anträgen überzeichnet. 111 davon hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) bewilligt, der nächste Aufruf soll bald folgen. Haben hier etwa potenzielle Infrastrukturanbieter auf eine Förderung spekuliert? „Aus rein wirtschaftlicher Perspektive war der Aufbau der Ladeinfrastruktur in den vergangenen Jahren für Unternehmen wegen der mangelnden Nachfrage nach E-Autos und unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen bei öffentlichen Ladesäulen kaum attraktiv“, erklärt Müller.
Der Blick in unser Nachbarland Niederlande zeigt ein anderes Bild. Seit 2009 wird dort die Ladeinfrastruktur massiv auf- und ausgebaut und Erfahrungen damit gesammelt. Fragen bezüglich Instandhaltung, Aufstellung im öffentlichen Raum, Technik und Sicherheit wurden geklärt und die Nutzerfreundlichkeit verbessert. Bislang soll es dort etwa 12.000 öffentliche, 15.000 semi-öffentliche und 72.000 private Ladesäulen geben. Auch hat sich gezeigt, dass Schnellladesäulen schon heute in schwarze Zahlen kommen können. Fastned, das Schnellladeunternehmen mit europäischen Ambitionen, meldete Anfang April 2017, dass die ersten Schnellladestationen den Break-even geschafft hätten. Jetzt expandiert das Unternehmen nach Deutschland – Verträge für die ersten 14 Standorte seien gesichert.

Informationsdefizit in Sachen E-Mobilität

Es bewegt sich was: In den kommenden Jahren wird die Ladeinfrastruktur auch in Deutschland sichtbarer. Bis 2020 wollen die deutschen Automobilhersteller 100 Elektrofahrzeug-Modelle, darunter welche mit Reichweiten bis 500 km, auf dem Markt haben – und auch in der Aufklärung der emissionsfreien Mobilität tut sich was. „Es gibt ein großes Informationsdefizit nicht nur bei Privatkonsumenten, sondern auch bei vielen Flottenbetreibern kleiner und mittlerer Unternehmen, die keine Fuhrparkmanager für lange Recherchen haben“, sagt Michael Tschakert, Mitglied der Geschäftsleitung von PP:Agenda. Die Kommunikationsagentur, eine der führenden im Bereich Elektromobilität, will gemeinsam mit der unabhängigen Management- und Technologieberatung BearingPoint die Elektromobilität der Bevölkerung näherbringen. Das größte Potenzial für den Markthochlauf elektrisch angetriebener Autos sehen die Berater ebenfalls bei Firmen- und Flottenfahrzeugen. Kritik richtet Tschakert an die Kommunikation der Automobilindustrie, sie sei noch nicht an die Elektromobilität angepasst. „Hierin sehe ich einen elementaren Fehler und fehlenden Wille der OEMs“, bekräftigt der Kommunikationsexperte, der seit drei Jahren begeistert ein Elektroauto fährt.

Schlüsselelement Batterie

Die größten Hemmnisse für den Markthochlauf sind noch immer die Reichweite und der zu hohe Preis für Elektrofahrzeuge. Das Schlüsselelement an dieser Stelle ist die Batterie, konkret die Traktionsbatterie, mit einem Wertschöpfungsanteil von 30 bis 40 Prozent. Fallen deren Preise wird sich die Situation am Markt schnell verändern ist sich Bloomberg New Energy Finance sicher: In den 2020er-Jahren könnten Elektrofahrzeuge in vielen Ländern wirtschaftlicher sein als Benzin- und Dieselfahrzeuge, hieß es 2016. Den Analysten zufolge sind die Preise für Lithium-Ionen-Batterien seit 2010 um rund 65 Prozent zurückgegangen und lagen 2016 bei zirka 350 Dollar pro kWh.
Und es besteht noch Potenzial für weiter fallende Preise: „In naher Zukunft sind keine großartigen Kostensprünge durch Materialverbesserungen zu erwarten, aber durch Skaleneffekte in der Produktion könnten schon innerhalb des nächsten Jahres 200 Dollar pro kWh auf Batteriepack-Ebene unterschritten werden“, so Gunther Reinhart, Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der TU München. Das Institut stellt seit 2014 sowohl prismatische Hardcase-Zellen als auch Pouchzellen auf einer hochflexiblen Produktionsstrecke im Technikums-Maßstab her. „Mittlerweile arbeiten wir auch an der vierten Generation Lithium-Ionen-Zellen, deren Elektrolyt nicht mehr flüssig ist, sondern als Polymer- oder Keramikschicht zwischen den Elektroden liegt, was die Sicherheit und Reichweite weiter steigern wird“, sagt Reinhart und ergänzt: „Diese ersten Li-Festkörperzellen könnten in zirka fünf Jahren in die industrielle Praxis kommen.“

Ziele für 2025

Bisher dominieren asiatische Zellhersteller den Markt. Der NPE empfiehlt jedoch 2021 mit einer Produktion in Deutschland zu starten und diese bis 2025 stufenweise zu einer Zellfabrik von 13 GWh pro Jahr auszubauen – ausreichend für rund 325.000 BEV. Zum Vergleich Ziele deutscher Autobauer: Bis 2025 will VW eine Million Elektroautos pro Jahr verkaufen und somit die weltweite Volumenführerschaft erlangen. Die BMW-Group erwartet für 2025 global einen Verkaufsanteil elektrifizierter Fahrzeuge zwischen 15 und 25 Prozent – Ziel für 2017 sind 100.000 verkaufte E-Autos. Daimler setzt 2017 auf den Verkaufsstart drei weiterer Elektroversionen der Smart-Reihe. Elektromobilität in Deutschland wird kommen, darin sind sich Experten einig, wenn auch später als gewünscht. Die Grundlagen dafür werden in den kommenden Jahren geschaffen.

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