Automatisierung

Die Mission der Polar 5: Echtzeitdatenerfassung mit CompactRIO in Arktis und Antarktis

13.10.2011 -

Die Polar 5, ein zweimotoriges Flugzeug, bricht immer wieder für mehrwöchige Messkampagnen in unbewohnte Polarregionen auf. Seine Mission: Daten sammeln, um Klimasystem und Glaziologie am Polarkreis zu erforschen. Dazu müssen die Datenerfassungssysteme zuverlässig funktionieren - auch bei eisigen Temperaturen. Das nachfolgend beschriebene Projekt wurde von der Firma Werum Software & Systems in Zusammenarbeit mit der Firma S.E.A. Datentechnik für die Stiftung Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung realisiert.

Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven ist eine der wichtigsten Organisationen, die die Zusammenhänge des globalen Klimas und der Ökosysteme untersucht. Forschungsschwerpunkte sind die eisigen Regionen der Arktis und Antarktis. Hierzu unterhält das Institut drei Forschungsschiffe sowie das Polarforschungsflugzeug Polar 5. Das zweimotorige Flugzeug vom Typ Basler BT-67 führt in den unbewohnten Gebieten der Polarregion komplexe wissenschaftliche Messungen durch. Diese mehrwöchigen Einsätze stellen hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit von Mensch und Material. Minustemperaturen von dauerhaften -40 °C sind völlig normal. Aber auch die mechanische Belastung durch starke Vibrationen während des Fluges und Schläge bei der Landung sind eine Herausforderung für die Systeme. Messungen können nicht einfach wiederholt werden, deshalb ist eine sichere Erfassung der wissenschaftlichen Daten unabdingbar. Mit der Modernisierung des Forschungsflugzeugs Polar 5 tauschte das Institut daher auch die Datenerfassungssysteme aus.

Datenerfassung
Wissenschaftliche Instrumente und Sensoren an unterschiedlichen Stellen im Flugzeug untergebracht. Um Kabelwege zu verkürzen und damit auch Signalverfälschungen zu vermeiden, werden Sensordaten durch sogenannte Frontend-Module direkt vor Ort erfasst, digitalisiert und per Netzwerk zu einem zentralen Datenserver gesendet, der die Daten auf Halbleiterfestplatten speichert.
Das Herzstück der Frontends sind CompactRIO Systeme (cRIO) der Firma National Instruments, die mit ihrem schnellen FPGA-Baustein und der Echtzeit-Umgebung VxWorks viele messtechnische Datenerfassungsaufgaben erfüllen. Eines der Frontend-Systeme (ADA-N-Box) sitzt direkt in der Nase des Flugzeugs und erfasst die Signale der Basismeteorologie wie Luftdruck und Feuchte. Andere Frontend-Module sind entweder im Flugzeugboden oder innerhalb der Kabine in speziell schockisolierten 19"-Flugracks untergebracht.
Die Erfassung der Sensorsignale in Form von Spannungen, Strömen und Temperaturen erfolgt mit individuellen Signalkonditionierungsmodulen. Flugzeugbezogene Informationen wie z. B. Höhe, Neigung und Position werden über Busschnittstellen direkt über das ARINC 429-Protokoll an die cRIO-Frontends übermittelt. Einer der Gründe für die Auswahl der CompactRIO Systeme war neben der robusten Industrieausführung der weite Betriebstemperaturbereich von -40 °C bis +70 °C, aber auch die Modularisierung durch die separaten Signalkonditionierungs- und Messmodule.

Umbau der Controller
Aufgrund der besonderen Anforderungen an Platz, Gewicht und Zeitsynchronisierung musste eine Reihe von technischen Problemen gelöst werden. Zum Beispiel ist im Bereich der Flugzeugnase durch die mechanisch vorgegebenen Befestigungspunkte nur ein reduzierter Einbauraum vorhanden. Um die Flugzulassung zu erhalten, musste darauf geachtet werden, dass keine mechanischen Umbauten am Flugzeug notwendig wurden. Aus diesem Grund wurden die CompactRIO Systeme in speziell gefertigte gekapselte hochfeste Aluminiumgehäuse eingebaut, was einen Umbau der CompactRIO Controller erforderte.
Die Frontend-Subsysteme im Bereich der Flugzeugnase wurden über vorhandene Lichtwellenleiter angebunden, da so keinerlei Änderungen an der Flugzeugelektrik vorgenommen werden mussten. Miniatur LWL-Medienwandler direkt im Frontend-Modul sorgen hierbei für die Signal-Umsetzung.

Zeitbasis
Eines der cRIO Frontend-Module (ADA-C), die innerhalb der Kabine montiert sind, dient als zentrale Zeitbasis für alle angeschlossenen Mess- und Anzeigesysteme. Hierzu werden Signale von fünf GPS-Empfängern gleichzeitig erfasst, wobei einer der GPS-Empfänger als Referenzzeitbasis verwendet wird. Die GPS-Zeittelegramme und Synchronimpulse werden durch ein besonderes CompactRIO Modul, das SEA cRIO GXXX 3G, weiterverarbeitet. Dieses Modul besitzt zwar einen eigenen GPS-Empfänger und verarbeitet normalerweise dessen Signale, jedoch wurde ein zusätzlicher Eingang vorgesehen, um auch die Signale externer GPS-Empfänger verarbeiten zu können. Dies war notwendig, um die hohe Orts- und Zeitauflösung der bereits im Flugzeug eingebauten GPS-Empfänger der Firma Novatel verarbeiten zu können. Die Zeittelegramme sowie die GPS-Synchronsignale (PPS) werden so verarbeitet, dass zur Synchronisierung externer wissenschaftlicher Geräte auch Synchronimpulse in verschiedenen Frequenzen (1 Hz, 10 Hz, 10 MHz) für externe Triggerung zur Verfügung gestellt werden können.

Datenverarbeitung
Die Sensorsignale werden in den Frontendmodulen komplett digitalisiert, mit Zeitstempel versehen und an den zentralen Datenserver übermittelt. Die Firma Werum aus Lüneburg liefert die Serversoftware zur Verarbeitung und Aufzeichnung der Daten auf den eingebauten Halbleiterfestplatten. Gleichzeitig werden die Realtime-Daten auch an angeschlossene Visualisierungs-Clients übermittelt, um bereits während des Fluges die korrekte Signalerfassung zu überwachen.
Die gesamte Software der Datenerfassungs-Frontends und der Anzeigesysteme wurde mit der Programmiersprache Labview von National Instruments entwickelt - Labview-RT zur Programmierung der Realtime-Controller für die externe Kommunikation sowie Labview-FPGA zur Programmierung der FPGA-Bausteine.
Die Applikation innerhalb der Frontend-Module ist auf verschiedene Tasks aufgeteilt. Dabei ist jeder Task für eine Schnittstellenart zuständig. Innerhalb des FPGAs werden alle zeitkritischen Tasks ausgeführt. Die Erfassung der Daten erfolgt mit Sampleraten von 1 Hz bis 2 kHz. Die Daten der einzelnen AD-Wandler oder der seriellen Schnittstellen werden direkt über den FPGA entgegengenommen und dort mit einem Mikrosekunden-Zeitstempel versehen. Der FPGA-Baustein arbeitet mit einer Taktrate von bis zu 200 MHz und gibt die erfassten Rohdaten über eingebaute DMA-FiFo-Funktionen an die einzelnen Prozesse innerhalb des Echtzeitbetriebssystems weiter. Die erfassten Rohdaten werden dann mit TCP/IP-Datentelegrammen mit einer Rate von 10 Hz an den Datenserver übertragen. Zur Einstellung und Initialisierung von wissenschaftlichen Geräten und Sensoren steht gleichzeitig noch eine Kommandoschnittstelle für die Rückrichtung zur Verfügung. Pro Sekunde werden so 400 kBit Rohdaten erfasst und aufgezeichnet.

Webinterface
Zur schnellen Überprüfung der Sensorsignale am Boden oder bei der Instrumentierung der Systeme in der Heimat Bremerhaven wird die Webserverfunktionalität verwendet. Dies bedeutet, dass jeder Frontend einen eigenen Webserver enthält, der über Bedienpanels den aktuellen Status der Systeme darstellt. Während das Frontend-Modul die Messdaten an den zentralen Server weiterleitet, kann gleichzeitig über die Netzwerkschnittstelle mit einem Webbrowser direkt auf das System zugegriffen werden, um die einlaufenden Daten und deren Qualität zu überprüfen. Dies ist möglich, da es für alle Funktionen eigene Prozesse im Echtzeitsystem gibt.

Zusammenfassung
Die CompactRIO-Plattform hat sich als hervorragendes Werkzeug der Messtechnik bewährt. Für den vorgesehenen Einsatz im Flugzeug konnte nicht nur die geforderte Leistung übertroffen werden, es wurde auch erhebliches Gewicht gegenüber der bisherigen Lösung eingespart. Die FPGA-Technologie ermöglichte es, analoge und digitale Sensordaten zeitgenau und absolut deterministisch zu erfassen. Aufgrund der modularen Architektur von Hardware, Software und Kommunikation ist es zukünftig möglich, nahezu beliebige Sensor-Signale zu erfassen oder auch weitere Frontend-Systeme hinzuzufügen. Es ist bereits geplant, für zukünftige Anwendungen, Sensordaten von bis zu 8 GBit/s zu erfassen und zu verarbeiten.

Kontakt

Werum Software & Systems AG

Wulf-Werum-Str. 3
21337 Lüneburg
Deutschland

+49 4131 8900 0
+49 4131 8900 20

S.E.A. Datentechnik GmbH

Mülheimer Straße 7
53840 Troisdorf

+49 2241 12737 0
+49 2241 12737 14

Stiftung Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft

Am Handelshafen 12
27570 Bremerhaven

+49 471 4831 0
+49 471 4831 1149

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