Bildverarbeitung

„Die einfache Integrierbarkeit und Flexibilität der Hard- und Software- Komponenten wird immer wichtiger“

17.03.2025 - Interview mit Ulf Schulmeyer, Product Manager Merlic bei MVTec und Dr. Stefan Meier, Ecosystem Manager für Industrial Edge bei Siemens

Ulf Schulmeyer von MVTec und Dr. Stefan Meier von Siemens erläutern im Interview, wie Bildverarbeitungs-Apps die Integration von Bildverarbeitung in die Produktionsautomatisierung erleichtern können. Dabei diskutieren sie die Herausforderungen, die durch den Fachkräftemangel entstehen, und zeigen auf, wie solche benutzerfreundlichen und flexiblen Lösungen helfen können, diese zu überwinden. Derzeit steht die App „Anomaly Detection for Visual Inspection“ von MVTec im Siemens Industrial-Edge-Ökosystem zur Verfügung. Doch das ist erst der Anfang.


inspect: Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Integration von Bildverarbeitung in die Produktionsautomatisierung?

Ulf Schulmeyer, MVTec: Wie in vielen anderen Bereichen auch, ist der anhaltende Fachkräftemangel hier ein bestimmender Faktor. Die Zahl der Bildverarbeitungsexperten nimmt nicht so schnell zu, wie die Automatisierung, das heißt die tatsächlichen Anwendungen von industrieller Bildverarbeitung in der Produktion und deren Integration. Also möchten und müssen sich immer mehr Nicht-Experten mit diesen Anwendungen auseinandersetzen. Um dies auf der Software-Seite zu erleichtern, sind vor allem einfache Bedienbarkeit und Intuitivität der Programme gefragt. Ganzheitlich betrachtet wird die einfache Integrierbarkeit und Flexibilität der Hard- und Software-Komponenten immer wichtiger.


inspect: Welche Vorteile bietet vor diesem Hintergrund das Industrial-Edge-Ökosystem von Siemens?

Dr. Stefan Meier, Siemens: Siemens Industrial Edge ist eine einfach nutzbare, IT-sichere und vor allem skalierbare Edge-Computing-Lösung für die Industrie, die im Wesentlichen aus einer sofort einsetzbaren Infrastruktur – aus Software und Hardware – sowie weiteren optionalen Applikationen besteht. Diese zentral managebare, mikroservice-basierte Architektur nutzt state-of-the-art IT-Standards, wie Docker oder MQTT, und bringt diese Technologien nah an die Fertigungs- und Automatisierungsprozesse in der Fabrik. Je nach Zielsetzung – wie etwa Maschinen oder Linien mit vorausschauender Wartung, IT-System-Konnektivität oder Qualitätsüberwachung auszustatten – sorgen dann unterschiedliche Kombinationen von Industrial Edge Apps und Devices für eine kundenindividuelle Lösung. Siemens verfolgt mit dem Industrial-Edge-Ökosystem einen offenen Ansatz, bei dem industrieerprobte Lösungen von Drittanbietern und Siemens kombiniert und nahtlos in Automatisierungssysteme integriert werden können. Im Marketplace des Ökosystems, einer Art App Store, können Anwender die passenden Software-Komponenten, zum Beispiel von MVTec, auswählen.


inspect: Welchen Vorteil haben Bildverarbeitungsanwender davon?

Schulmeyer: Bildverarbeitungsanwender profitieren in hohem Maße von der vollständigen Integrierbarkeit: Alles, was sie im Marketplace finden, funktioniert reibungslos „out-of the-box“ in Kombination miteinander. Da man sich mühelos komplette Bildverarbeitungslösungen zusammenbauen kann, sparen Kunden Aufwand und Kosten. 

Meier: Darüber hinaus bietet das App- und Device-Management von Industrial Edge produzierenden Unternehmen sowie Maschinenbauern den Vorteil, alle Software-Konfigurationen und -Updates mit wenigen Klicks auf alle im Einsatz befindlichen Geräte ausrollen zu können. Rollout und Wartung der maßgeschneiderten Lösung werden dadurch so effizient wie möglich. Auch in Sachen IT-Sicherheit ist der Anwender immer auf dem neuesten Stand.


inspect: Können Sie die Zusammenarbeit zwischen Siemens und MVTec erläutern und wie diese zur Entwicklung der App Anomaly Detection for Visual Inspection geführt hat?

Schulmeyer: Aus zahlreichen Kunden­gesprächen von Siemens und MVTec über die Herausforderungen in der Bildverarbeitung wurde vor allem deutlich, dass die Anwendungsfälle und Anforderungen der Kunden äußerst vielfältig sind. Dies erfordert flexible und anpassungsfähige Lösungen. Hinzu kommt die immer wichtiger werdende niedrige Einstiegshürde bei Bildverarbeitungs-Software. Sie muss zwar leistungsfähig, aber dennoch nutzerfreundlich und einfach zu bedienen sein. Genau diese Anforderungen erfüllt MVTec Merlic schon seit Jahren.
So haben wir uns entschlossen, die modernsten Funktionalitäten von Merlic, eben die KI-gestützte Anomalieerkennung, in die erste Machine-Vision-App im Industrial-Edge-Ökosystem zu gießen: Die App „Anomaly Detection for Visual Inspection“ war geboren. Für das notwendige Training werden hier nur wenige, in der Regel leicht zu beschaffende Gut-Bilder benötigt. Zudem entfällt das aufwändige Labeling. Und, die App ist ideal für Anwendungsfälle geeignet, bei denen man die Ausprägungen möglicher Defekte aufgrund ihrer hohen Variabilität nicht prognostizieren kann. Solch eine Anwendung wäre ohne KI schlicht nicht realisierbar. Das war aber nur der erste Schritt, unser Minimal Viable Product im Ökosystem sozusagen. 


inspect: Für welche Anwendungen ist diese App gedacht? Sind die Funktionen mit der Halcon-Funktion „Anomaly Detection“ vergleichbar?

Schulmeyer: Ja, wer die „Global Context Anomaly Detection“ aus Halcon kennt, dem wird die Ähnlichkeit in der App nicht ganz verborgen bleiben. Sie adressiert alle Anwendungen rund um die Anomalieerkennung. Das sind vor allem Inspektionen, zum Beispiel zur Defekterkennung. 


inspect: Für welche Anwendungen wird die App bisher tatsächlich verwendet?

Schulmeyer: Die Technologie wird insbesondere bei der Halbleiterfertigung und bei der Herstellung von Fast Moving Consumer Goods (FMCG) im Bereich Food & Beverages und Pharmaceutical eingesetzt.


inspect: Auf welche Nutzergruppe(n) zielt die Lösung?

Schulmeyer: Die App zielt auf Nutzer, die ihre Anwendungen innerhalb der Siemens-Welt erstellen wollen und dafür auch – zum Beispiel in der Qualitätskontrolle – mittels Bildverarbeitung Oberflächen auf Defekte automatisiert, präzise und robust inspizieren möchten. Da die App sehr intuitiv gestaltet ist und keine Programmierkenntnisse erfordert, richtet sie sich auch an Einsteiger beziehungsweise Nicht-Experten in der Bildverarbeitung.


inspect: Auf den Messen SPS 2023 und 2024 wurde die Zusammenarbeit von MVTec und Siemens der Öffentlichkeit vorgestellt, inklusive der Anomaly Detection App in Aktion. Was sind die nächsten Schritte in der Zusammenarbeit?

Schulmeyer: In Kürze wird MVTec Merlic vollumfänglich auf Siemens Industrial Edge verfügbar sein. Damit steht dann ein kompletter Werkzeugkasten zur Verfügung, um eigene Bildverarbeitungsanwendungen in einer No-Code-Entwicklungsumgebung zu realisieren – eben klassische regelbasierte Verfahren und moderne Deep Learning-Technologien. Insbesondere deren Kombination liefert auch bei zeitkritischen Anwendungen robuste Ergebnisse.
Diesen weiteren Schritt verdanken wir der motivierten und sehr guten Zusammenarbeit mit Siemens. Denn wir gehen gemeinsam auf die einzelnen Unternehmen zu und beraten Sie aus unterschiedlichen Perspektiven, um genau auszuloten, welche Anwendungsfälle sie haben und wie wir sie dabei gewinnbringend unterstützen können. MVTec bringt fast 30 Jahre Bildverarbeitungsexpertise mit und ergänzt damit das Portfolio von Siemens ideal. 


inspect: Die Integration von Merlic in das Industrial-Edge-Ökosystem von Siemens bedeutet nicht nur eine weitere MVTec App, sondern eine neue Stufe, weil nahtlos beliebige, mit Merlic erstellte Apps, auf Siemens Edge ausgeliefert werden können. Wie kam es zu diesem Schritt?

Schulmeyer: Es ist für uns eine logische Folge aus der Entwicklung der ersten App. Merlic kann so viel mehr als „nur“ Anomaly Detection, auch wenn dies eines der Features mit den meisten Anwendungsfällen ist. Die lösungsorientierte Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit von ­Merlic, ohne die Notwendigkeit zu programmieren, passen vom Konzept her sehr gut zum Siemens-Industrial-Edge-Ökosystem. Wir adressieren dieselbe Zielgruppe. Da ist es nur konsequent, dieser auch den kompletten Werkzeugkasten namens Merlic zur Verfügung zu stellen.


inspect: Wie funktioniert das Lizenzmodell im Industrial-Edge-Ökosystem? Wird jeder Merlic-App-Nutzer MVTec-Kunde, oder läuft das über Siemens?

Schulmeyer: Der Kauf der App findet über den Siemens Marketplace statt. Daraus entsteht eine Geschäftsbeziehung zu MVTec und der Kunde profitiert von allen Serviceleistungen, die MVTec anbietet – so zum Beispiel kostenlose Anwendungs-Evaluationen, Machbarkeitsstudien, Trainings, Consulting und natürlich Support durch unsere Applikationsingenieure.

Meier: Der gesamte Beschaffungsprozess wird komfortabel über den Marketplace abgewickelt, unabhängig davon, ob die einzelnen Angebote von Siemens oder einem anderen Anbieter stammen, wie in diesem Fall MVTec.


inspect: Wie komplex ist der Bestellprozess?

Meier: Die Transaktionen im Marketplace laufen genauso ab wie in den B2C-App-Stores, die wir von unseren Smartphones kennen. Im B2B-Bereich für Industriekunden, in dem wir uns hier bewegen, kommen zusätzliche Anforderungen hinzu, die die Customer Journey komplexer machen, zum Beispiel:
Die Interaktionen zwischen Käufern und Verkäufern müssen allen relevanten Vorschriften entsprechen, zum Beispiel der Exportkontrolle. Daher müssen Marketplace-Kunden bestimmte rechtliche und geschäftliche Informationen angeben, die überprüft werden.

Im Einkaufsprozess von Industrieunternehmen gibt es verschiedene Rollen: Die Person, die das Produkt auf dem Industrial Edge Marketplace kauft, ist nicht dieselbe Person, die das Produkt später verwendet, zum Beispiel in der IT-Abteilung oder in der Fabrik. Im Marketplace versuchen wir, die User Journey für alle am Prozess beteiligten Rollen so einfach wie möglich zu gestalten.

Das Industrial-Edge-Ökosystem Portfolio ist ein komplexes Angebot mit mehreren Architekturebenen, die auch im Marketplace abgebildet werden müssen. Je nach gewählter Lösungsarchitektur müssen einem Käufer Nutzungslizenzen für die einzelnen Software-Komponenten zugeordnet werden.
Es ist also durchaus eine Herausforderung, die richtige Balance zwischen einer benutzerfreundlichen und einfachen Prozesserfahrung und den Anforderungen im industriellen Umfeld zu finden. Mit dem Industrial-Edge-Ökosystem und seinem Marketplace arbeiten wir kontinuierlich daran.

Kontakt

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