Automatisierung

Der genaueste Roboter der Welt?

Nabtesco und Keba kooperieren, um die Herstellung von Robotern mit einer Punkt- beziehungsweise Bahngenauigkeit im Hundertstel-Millimeterbereich zu ermöglichen

23.05.2022 - Noch geben Werkzeugmaschinen in Sachen Präzision den Ton an. Doch diesen Spitzenplatz könnten ihnen Roboter in manchen Anwendungsgebieten bald streitig machen. Wie? Antworten liefert die Kooperation zwischen dem Zykloid­getriebespezialisten Nabtesco und dem Experten für Robotersteuerungen Keba.

Die Zykloidgetriebe von Nabtesco gehören zu den leistungsstärksten Getrieben auf dem Markt. Insbesondere aus der Robotik ist die präzise und verdrehsteife Technik nicht mehr wegzudenken: In sechs von zehn Industrierobotern stecken Lösungen aus dem Hause Nabtesco. „In der Vergangenheit haben wir uns dabei ausschließlich auf das Getriebe konzentriert und mit großem Aufwand und teuren Fertigungsverfahren die Mechanik optimiert“, so Daniel Obladen, Head of Sales General Industries bei Nabtesco Precision Europe. „Doch das System Roboter besteht natürlich nicht nur aus dem Getriebe. Auch die anderen Komponenten wie Steuerung und Robotermechanik beziehungsweise deren Zusammenspiel tragen zur Präzision bei.“ Dabei nimmt das Steuerungssystem eine Schlüsselrolle ein, denn bei sehr hohen Genauigkeitsanforderungen müssen Abweichungen vom Idealverhalten kompensiert werden.

Blackbox Getriebe

Im Falle der Getriebe blicken Steuerungshersteller jedoch auf eine Blackbox. Mit den im Datenblatt vermerkten Informationen sind letztendlich nur Pauschalwerte zugänglich. Was empirische Daten oder gar exemplarspezifische Parameter betrifft, hüllen sich Getriebelieferanten weitestgehend in Schweigen. Das geht zulasten der Genauigkeit des Roboters. Auch die mathematischen Algorithmen der Steuerungshersteller können unter diesen Umständen nur als Näherungsformeln betrachtet werden. Nabtesco hat sich daher dazu entschlossen, mit dem Steuerungshersteller Keba zu kooperieren. Dabei geht es um die gezielte Integration von getriebespezifischen Daten und Charakteristiken in die Robotersteuerung.
„Dass Getriebeeffekte einen starken Einfluss auf die Bahngenauigkeit haben, ist kein Geheimnis“, so Harald Dumhart, Produktmanager bei Keba. „Schon lange arbeiten wir daher an Methoden, um genauigkeitsrelevante Getriebedaten in der Robotersteuerung zu berücksichtigen.“ Mit der Roboterlösung Kemotion bietet Keba ein gesamtes Steuerungssystem in Kombination mit HMI, Sicherheitstechnik, Antriebstechnik und Motoren aus einer Hand. Damit verfügt der Automatisierungsexperte über alle nötigen Daten, um die Systemkomponenten aufeinander abzustimmen. Einziger Knackpunkt bisher: das Getriebe. „Die Ermittlung von exemplarspezifischen Parametern durch Messungen am Roboter ist sehr aufwendig und damit teuer. Auch stößt man teilweise an physikalische Grenzen“, so Christoph Mittermayer, Entwicklungsingenieur Robotik bei Keba. „Originalmaterial vom Hersteller zu verwenden, ermöglicht nicht nur bisher unerreichbare Genauigkeit, sondern spart auch den Aufwand für die Parameterermittlung und reduziert somit die Gesamtkosten.“
Ziel der Kooperation zwischen Nabtesco und Keba ist es, ihren Nutzern die Herstellung von Robotern mit einer Punkt- beziehungweise Bahngenauigkeit im Hundertstel-Millimeterbereich zu ermöglichen. So können künftig hochgenaue Handling- und Bearbeitungsaufgaben roboterbasiert mit der Präzision einer Werkzeugmaschine ausgeführt werden.

Digitaler Zwilling in der Robotersteuerung

Modell- und exemplarspezifische Getriebedaten sind jedoch nicht nur für die Genauigkeit relevant, sondern auch ein wichtiger Baustein von Industrie 4.0. Eine Modellierung des Getriebeverhaltens kann auch in Bezug auf das Verhalten entlang des Life Cycles wesentliche Mehrwerte liefern. So ist Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung mithilfe von Condition Monitoring, durch eine Kombination von digitalen Getriebemodellen und entsprechenden Algorithmen in der Robotersteuerung der nächste Schritt. Schon in der Auslegung und Projektierung von Roboteranlagen können Lebensdaueraspekte mit einbezogen werden – sowohl durch optimierte Anordnung als auch durch Bahnadaption.
Im nächsten Schritt arbeiten Nabtesco und Keba an der Auswertung von Messdaten zur Laufzeit, um den Getriebezustand permanent zu überwachen und dadurch sich ankündigende Ausfälle vorzeitig zu erkennen. Reale seriennummernbezogene Getriebedaten spielen auf dem Weg zur Echtzeitüberwachung von Robotern eine zentrale Rolle, denn sie ermöglichen eine individuelle Momentaufnahme der Roboterauslastung und damit eine Betrachtung der Restlebensdauer der einzelnen Getriebe. Das Ergebnis: ausfallssichere Zykloidgetriebe, maximale Effizienz und Zuverlässigkeit sowie planbare Wartungseinsätze.

Wie Getriebemerkmale die Genauigkeit beeinflussen

Um die einzelnen Roboterkomponenten sowie deren komplexes Zusammenspiel besser zu verstehen, wurde zum gegenseitigen Erfahrungs- und Wissensaustausch ein interdisziplinäres Team gebildet. Zusammenhänge verschiedener Optimierungsparameter wurden aufgeschlüsselt und es wird unter anderem gemeinsam eruiert, welche getriebespezifischen Merkmale den größten Einfluss auf die Genauigkeit haben. Nabtesco ist für die Bereitstellung und Aufbereitung der Getriebedaten sowie die theoretischen Modelle verantwortlich. Keba entwickelt die passenden Kompensationsalgorithmen und unterstützt bei der Inbetriebnahme und den Genauigkeitstests.
Im ersten Schritt geht es darum, die Getriebedaten in die Steuerungssoftware zu integrieren. Parallel werden an einem 6-Achs-Roboter Genauigkeitsmessungen durchgeführt und im Anschluss die dominierenden Effekte analysiert sowie Kompensationsmethoden geplant. Als dritter Schritt wird der Nutzen der ausgewählten Strategien am Roboter validiert. „Es geht hier auch um Know-how-Aufbau zu Fragen wie: Welche Eigenschaften sind ausreichend genau und stabil? Nach welchen Zeiten müssen veränderliche Eigenschaften neu identifiziert werden? Welche Einflüsse auf die Stabilität der Eigenschaften sind von Bedeutung? All diese Fragen und deren Antworten müssen nach und nach in der Steuerung verpackt werden“, so Christoph Mittermayer.

Software statt Sensorik

Im Vergleich zu intelligenter Sensorik bietet die softwarebasierte Lösung zahlreiche Vorteile, unter anderem Kostenreduktion, verringerte Systemkomplexität und bessere Datenqualität. So herrscht auch bei Robotersystemen längst ein enormer Preisdruck. „Zusätzliche Sensorik wird nur dort akzeptiert, wo das Genauigkeitsziel nicht anders erreicht wird oder das Produkt die Mehrkosten rechtfertigen kann“, macht Harald Dumhart deutlich. Zudem bedeutet zusätzliche Sensorik auch eine erhöhte Systemkomplexität – angefangen von der Konzeption und Inbetriebnahme über die Programmierung bis hin zur Zuverlässigkeit des Robotersystems. Ein weiterer Punkt: Nicht alle Daten lassen sich mittels externer Sensoren erfassen. Das trifft beispielsweise auf die Steifigkeit zu – und die Erfahrungswerte aus der Entwicklung. „Bevor ein Getriebe auf den Markt kommt, führen wir umfangreiche Tests durch. Wir wissen genau, wie sich das Getriebe verhält, wann es verschleißt oder welchen Einfluss Temperatur und Schmierstoff haben. All diese Parameter fließen in die Keba-Steuerung mit ein“, erklärt Daniel Obladen. Geplant sind zwei Abstufungen: ein Nabtesco-Add-on mit generalisierten Daten eines bestimmten Getriebemodells sowie ein zusätzliches Upgrade für eine noch höhere Genauigkeit mit den spezifischen Daten der im Endeffekt verbauten Getriebe.

„Genauester Roboter der Welt“

Pionierkunde ist Autonox Robotics, ein Hersteller von Robotermechaniken. Das baden-württembergische Unternehmen konzentriert sich auf die pure Mechanik – ohne Motor, Steuerung und Software. Diese Kinematiken werden mit den passenden Adaptern für die gewünschten Servomotoren ausgeliefert und lassen sich mit allen gängigen Steuerungen betreiben. Das ermöglicht ein durchgängiges Steuerungskonzept von der einzelnen Automatisierungskomponente bis zum Roboter. Für das Vorhaben „Genauester Roboter der Welt“ wurde ein 6-Achs-Roboter der neuen Articc-Baureihe ausgewählt. Die Keotion-Steuerung mit dem Nabtesco-Upgrade arbeitet aber genauso gut mit anderen Robotertypen und -herstellern zusammen. Aktuell lässt sich mit einem Nabtesco-Add-on für die Robotersteuerung die Robotergenauigkeit um den Faktor 9 steigern.
Derzeit befindet sich das Projekt in der Testphase. Erste Versuche und Genauigkeitsmessungen wurden gestartet. Jetzt gilt es, die Kompensationsmethoden im Hinblick auf eine Serienfertigung zu planen und den Nutzen sowie die Validität der Daten zu beurteilen. „Das Thema Genauigkeit hat seit jeher einen speziellen Stellenwert für uns“, so Harald Dumhart. „Durch die Partnerschaft mit Nabtesco konnten wir unsere Modelle verbessern und haben zudem Zugriff auf fertige, maschinenlesbare Getriebe-Datensätze, die direkt von der Keba-Steuerung verarbeitet werden können.“ Daniel Obladen fügt hinzu: „Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist Hybridisierung, also die Kombination unterschiedlicher Technologien. Durch die Verschmelzung von Know-how sowie die Verknüpfung der Getriebe mit digitalen Dienstleitungen schaffen wir eine einzigartige Lösung, die in der Robotik ihresgleichen sucht.“

Autor
Jennifer Hagmeyer,
Expert Marketing

Kontakt

Nabtesco Precision Europe GmbH

Tiefenbroicher Weg 15
40472 Düsseldorf

+49 211 17 37 90

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