Bildverarbeitungsmärkte in Europa haben ihre Besonderheiten
Country Reports der EMVA offenbaren heterogene Marktstrukturen in den einzelnen Ländern
Bildverarbeitung hat in den nationalen europäischen Märkten teilweise völlig unterschiedliche Ausprägungen. Die European Machine Vision Association (EMVA) trägt dieser inhomogenen Bildverarbeitungslandschaft in Europa Rechnung und erstellt eine Serie so genannter „Country Reports“, um diese Marktcharakteristika in den einzelnen Ländern aufzuzeigen.
Die industrielle Bildverarbeitung als Querschnittstechnologie hat die unterschiedlichsten Anwendungsfelder und wird in den verschiedensten Kundenbranchen geschätzt, was die Bildverarbeitungsindustrie sehr heterogen macht. Meist wird also von der Industrie als Ganzes oder ihren Abnehmerbranchen gesprochen. Dabei werden jedoch die geographischen Besonderheiten übersehen.
Die Faktoren, welche die individuelle Marktstruktur beeinflussen sind vielfältig und umfassen etwa die Branchen und Dienstleistungen, die eine dominierende Abnehmerrolle spielen, das Organisationsniveau der Bildverarbeitungsakteure und die Intensität der Forschungsaktivitäten in einem Land. Jede Ausgabe der EMVA Country Reports beinhaltet aus diesem Grund sämtliche Bildverarbeitungsaktivitäten in dem betreffenden Land.
Ergänzt werden die umfassenden Marktbeschreibungen durch eine Liste aller identifizierten Machine Vision Player mit Sitz im jeweiligen Land. Die derzeitige Liste der Länderreports umfasst Österreich, Italien, Irland, Liechtenstein, die Schweiz und das Vereinigte Königreich.
Industrie, Produktion und Automatisierung
Grundlage einer Marktstruktur ist die gesamtwirtschaftliche Aufstellung eines Landes. Hier präsentieren sich die europäischen Märkte recht heterogen. Selbst innerhalb eines Landes herrschen teils deutliche Unterschiede. So ist etwa die italienische Wirtschaft durch ein Nord-Süd-Gefälle gekennzeichnet, wobei der Norden des Landes der vorherrschende industrielle Treiber mit einem starken Fokus auf Maschinenbau und Automatisierung ist. Insgesamt verfügt Italien über eine sehr solide OEM- und KMU-Struktur, die häufig mit der in Deutschland verglichen wird.
Im Vereinigten Königreich hingegen ist die industrielle Produktion längst nicht mehr das Rückgrat der Volkswirtschaft. Stattdessen nimmt Großbritannien eine führende Rolle in neuen Industrien wie Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), Sicherheit und Überwachung, Life Sciences und Finanzdienstleistungen ein. Die Schweizer Industrie ist stark exportorientiert und dominiert von der chemischen und pharmazeutischen Industrie, den Maschinenbau sowie der Feinmechanik.
Die Industrielandschaft Österreichs ist geprägt von einem hoch entwickelten Maschinenbau, bedeutenden Automobilzulieferern und einer Reihe von großen mittelständischen Unternehmen, die in ihrem Segment hochspezialisiert und oft "Hidden Champions" sind. Irland dagegen hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem weltweit anerkannten Kompetenzzentrum für Life Sciences in vielen Disziplinen entwickelt.
Diese Kompetenz entwickelte sich insbesondere aus einer Vielzahl von ausländischen Direktinvestitionen. In diesem Umfeld hat sich auf der irischen Insel eine beachtliche Anzahl von Unternehmen auf Automatisierungslösungen spezialisiert.
Markt- und Kundenstruktur der Bildverarbeitung
Im Vereinigten Königreich hat Bildverarbeitung eine lange Tradition. Trotz der lang andauernden De-Industrialisierung in den 1990er und 2000er Jahren existieren einige der Pionierunternehmen bis zum heutigen Tag. Dennoch wird die Versorgung des britischen Marktes aktuell von importierten Komponenten international agierender Unternehmen dominiert.
Neben Vision-Anbietern, die sich auf Lösungen zur Fabrikautomation konzentrieren, hat sich in Großbritannien eine Vielzahl von Unternehmen etabliert, die verschiedene nicht-industrielle Bereiche bedienen, von der Sportanalyse bis zu ITS-, Überwachung und Präzisionslandwirtschaft. Insgesamt hat der EMVA-Bericht einschließlich akademischer und unabhängiger Forschungsinstitute die bemerkenswerte Anzahl von 298 Akteuren in der britischen Bildverarbeitungsindustrie identifiziert.
Bezüglich der Abnehmerbranchen sticht im Vereinigten Königreich im industriellen Sektor keine Branche heraus. Bemerkenswert ist aber, dass mindestens die Hälfte des Vision-Umsatzes in Großbritannien in nichtindustriellen Segmenten generiert wird.
Ähnlich wie im Vereinigten Königreich ist auch der italienische Bildverarbeitungsmarkt weitgehend abhängig vom Import von Komponenten, da im Vergleich zur Marktgröße nur wenige Hersteller von Bildverarbeitungskomponenten in Italien ihren Sitz haben. Insgesamt wurden zusammen mit dem akademischen Bereich dennoch gut 200 Akteure in der italienischen Vision-Industrie identifiziert. Der starke Maschinenbausektor in Italien macht dies zu einer dominierenden Kundenbranche für Anbieter von Bildverarbeitung.
Blickt man nach Irland, so fällt vor allem der Name eines Herstellers ins Auge: Cognex produziert auf der Insel und bedient von dort aus die europäischen Märkte. Industrielle Kunden von Bildverarbeitungstechnologie in Irland sind praktisch ausschließlich internationale Konzerne, die dort Arzneimittel, Lebensmittel oder andere Produkte herstellen.
Die Bildverarbeitungsindustrie in Österreich ist dagegen eher intransparent, fragmentiert und schwer fassbar. Ein Grund könnte das Fehlen jeglicher Art von Bildverarbeitungs-Lobby im Land sein. Integratoren verlassen sich überwiegend auf Komponenten, die von ausländischen Distributoren ins Land gebracht werden. Daneben sind diejenigen Kunden von Bildverarbeitung dominant im Markt, die ganz klare Vorstellungen von ihren Bedürfnissen entwickelt und als Konsequenz interne Vision-Abteilungen aufgebaut haben. Dazu zählen etwa Voestalpine und Swarovski.
Im Unterschied zum Nachbarland Österreich ist die Schweiz auf internationaler Ebene mit einer Reihe von Herstellern von Bildverarbeitungskomponenten vertreten. Insgesamt konnten in der Schweizer Bildverarbeitungsbranche gut 80 Akteure identifiziert werden. Davon produzieren mehr als 20 Unternehmen Vision-Komponenten wie Optik, Beleuchtung, Vision-Sensoren und Kameras.
Das Ökosystem der Bildverarbeitung
Alle Faktoren, die der Bildverarbeitungsindustrie in einem Land helfen zu prosperieren bilden zusammen das Ökosystem in einer geographischen Region. Ein Kernelement ist dabei der Organisationsgrad unter den Akteuren in Vision-Verbänden oder Cluster-Organisationen; und dieser Grad variiert stark zwischen den Märkten. Während Österreich keinen nationalen Bildverarbeitungsverband besitzt und in Italien mehrere Versuche zur Gründung eines solchen in der Vergangenheit gescheitert sind, sind etwa die britischen Bildverarbeiter in ihrer nationalen Vereinigung UKIVA recht gut organisiert.
In Italien helfen sich die Vision-Unternehmen, indem sie Automatisierungs-Verbänden beitreten, während in der Schweiz in den Branchenverbänden swissT.net und SWISSMEM jeweils Machine-Vision-Untergruppen existieren.
Im akademischen Bereich ist der Organisationsgrad in den europäischen Märkten tendenziell höher. Eine bemerkenswerte Beobachtung ist, dass die akademische Forschung in den untersuchten europäischen Ländern eine klare Fokussierung auf die nicht-industrielle "Computer-Vision" hat und in weit geringerem Maße "klassische" industrielle Anwendungen adressiert. Computer-Vision-Labore sind jedoch in vielen technischen Forschungseinrichtungen zu finden.
Die Interdependenz zwischen akademischer Vision-Forschung und Industrie ist ein weiterer Bereich, in dem starke Unterschiede in Europa auftreten. Im Vereinigten Königreich ist diese Interdependenz nicht sehr hoch und die Eröffnung des Manufacturing Technology Centers (MTC) in Coventry Ende 2011 hatte das Ziel, die Kluft zwischen Wissenschaft und Industrie zu überbrücken. Das National Research Council (CNR) in Italien und das Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien haben ähnliche Missionen.
In Irland handelt es sich bei der Irish Pattern Recognition and Classification Society (IPRCS) um eine gesamtirische Körperschaft, die in erster Linie akademisch geführt wird, sich aber in jüngerer Zeit für Industrieunternehmen geöffnet hat.
Ausblick
Die europaweiten Bildverarbeitungsmärkte sind weit von einer homogenen Struktur entfernt. Daher lohnt sich ein tieferer Blick in die Struktur der einzelnen geographischen Märkte. In ihrem Bestreben, die Bildverarbeitungslandschaft in Europa abzubilden, setzt die European Machine Vision Association die Serie der EMVA-Länderberichte fort. Die Ausgabe 2017 ist derzeit in Vorbereitung und wird voraussichtlich bis zum Ende des ersten Halbjahres veröffentlicht werden. Dieser neue Country Report wird die durchaus speziellen Merkmale eines weiteren großen europäischen Bildverarbeitungsmarktes herausarbeiten: Frankreich.
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