Bildverarbeitung: Das Auge für Industrie 4.0
Die VDMA-Podiumsdiskussion auf der SPS IPC Drives in voller Länge
Das autonome und mobile System Mensch und ganz besonders die Auge-Hirn-Kombination sind interessante Modelle, um einige Aspekte der industriellen Bildverarbeitung in Verbindung mit den besonderen Herausforderungen der Industrie 4.0 zu veranschaulichen. Wie weit sich diese Analogie auf die industrielle Bildverarbeitung übertragen lässt und ob die Bildverarbeitung das Zeug zu einer Schlüsseltechnologie haben könnte, diskutierte Bernhard Schroth, Chefredakteur der inspect, anlässlich einer Podiumsdiskussion auf dem Forum des VDMA während der SPS IPC Drives 2015 mit fünf hochkarätigen Experten aus der Industrie.
Die Gesprächsteilnehmer:
- Dr.-Ing. Sirous Etemadi, Projektmanager Industrie 4.0, Robert Bosch GmbH – Werk Reutlingen 2
- Dr.-Ing. Stefan Gehlen, Geschäftsführer VMT Bildverarbeitungssysteme GmbH
- Dr. Horst Heinol-Heikkinen, Geschäftsführender Gesellschafter ASENTICS GmbH & Co. KG
- Sirko Prüfer, Produktmanager für Kuka Vision, Kuka Roboter GmbH
- Holger Wirth, Vice President R&D Industrial Automation, Isra Vision AG
Das menschliche Auge ist perfekt auf die Funktionen und Bedürfnisse der Mensch-Maschine optimiert. Wie sieht es mit den Augen, also der Kamera- und Sensortechnologie, in der industriellen Bildverarbeitung gegenwärtig aus?
H. Heinol-Heikkinen: Wenn wir über das menschliche Auge reden, müssen wir sehr genau wissen, wo die Trennung zwischen dem Bild und den kognitiven Prozessen liegt. Denn zum Auge gehört auch immer eine Auswertung, also eine kognitive Fähigkeit. In der Bildverarbeitung befinden wir uns diesbezüglich noch am Anfang. Heute reden wir über große Pixelzahlen, die wir integrieren möchten. Aber es gibt noch zahlreiche andere Dinge, wie z.B. das 3D-Sehen oder spezielle Sensorik, die über Mikrolinsen versucht, die Physiognomie unseres Auges zu kopieren. In Zukunft werden wir mehr und mehr in der Lage sein, unsere eigene Bildverarbeitungstechnologie, wie Kameras, Bildverarbeitungs-Sensorik oder Frontend-Chips zu bauen. Das wird uns in den nächsten zehn Jahren im Vergleich zur Vergangenheit schneller voran bringen.
Die Kamera- und Sensortechnologie hat sich schnell weiterentwickelt und scheint einigen anderen Technologien davonzueilen. Was war oder ist der Grund für die schnelle Weiterentwicklung?
S. Etemadi: Was die Hardware angeht, wird jedem schnell klar, wie sich die Bildverarbeitung weiterentwickelt hat, wenn er sein erstes Foto-Handy aus der Schublade zieht. Mich beeindruckt ganz besonders die heutige Schnelligkeit der Bildverarbeitung. Wenn beispielsweise Dichtungen auf einem Fließband transportiert werden, diese darauf optisch geprüft und dann fünf Zentimeter weiter die fehlerhaften Ringe ausgeworfen werden. Für diese hohe Geschwindigkeit ist sicher die Weiterentwicklung der IT und der Prozessoren der Treiber.
H. Wirth: Letztendlich wird auch unsere Industrie durch die Entwicklungen des Konsumer-Marktes befeuert. Zum Beispiel im Bereich der PC- oder Kamera-Technologie. Aber auch der Bereich der embedded PCs wird zunehmend wichtiger für uns. Wir sprechen beispielsweise schon vielfach von Sensoren statt nur von Kameras, weil wir oft auch eine Beleuchtung integrieren müssen. Diese Bildverarbeitungssensoren müssen auch intelligenter werden, also in gewisser Weise schon die Auswertung erledigen. Dies wird alles durch Entwicklungen in anderen Bereichen sehr stark vorangetrieben.
Nahezu alle Entwicklungsprozesse, so auch der technische Fortschritt müssen durch mindestens ein Bottleneck. Welches sehen Sie für die IBV im Zusammenhang mit der Industrie 4.0?
S. Gehlen: Zunächst glaube ich, dass wir uns alle recht schwer damit tun, zu beschreiben, was Industrie 4.0 für jeden von uns genau bedeutet. Versuchen wir das in Schlagworte zu fassen, stehen da Begriffe wie „vollständige digitale Integration“, „Losgöße 1“, „Wandlungsfähigkeit“ oder „Big Data“. Versuchen wir jeden dieser Begriffe einzeln abzubilden, kommen wir zu unterschiedlichen Teilproblemen und wir werden in jedem Teilbereich ein Bottleneck finden, durch das wir hindurch müssen. Mich treibt diesbezüglich das Thema der digitalen Integration am meisten um. Wie können wir Bildverarbeitungssysteme, die für eine spezifische Anwendung in der Fertigung eingesetzt werden, so integrieren, dass sie vom Planungsprozess über das Thema virtuelle Inbetriebnahme, Inbetriebnahmeerleichterung, Übernahmen von Daten und CAD-Daten von Objekten, dahin kommen, sich langfristig selbst zu parametrisieren? Das ist sicher noch ein langer Weg und ich denke, dass wir mit der digitalen Integration ganz sicher noch ein Bottleneck vor und haben.
S. Prüfer: Das Bottleneck, das in Verbindung mit der schnellen einfachen Inbetriebnahme zu sehen ist, ist auch bei Kuka schnell ein Thema geworden. Gerade im nicht automobilen Umfeld sind Usability und intuitive Bedienung sehr wichtige Punkte. Wir haben für uns erkannt, dass dies ein sehr wichtiges Thema ist, wenn wir Systeme in Bereichen einsetzen wollen, die mit der klassischen Automatisierungswelt nichts mehr zu tun haben.
H. Heinol-Heikkinen: Wenn ich über ein Bottleneck im Bereich der Industrie 4.0 nachdenke, sehe ich nicht zuerst die technischen Probleme. Damit musste sich die Bildverarbeitung schon in der Vergangenheit auseinandersetzen. Ich sehe das Bottleneck darin, dass wir uns über Standards einig werden müssen. Standards, die sicherstellen, dass wir die riesigen Datenmengen, die wir generieren, zur Verfügung stellen und verarbeiten können. Das bedeutet, dass wir Standards benötigen, die eine sogenannte Interoperabilität erlauben. Dort sehe ich ein Bottleneck, weil dieser Prozess Zeit und Einigung erfordert.
In wie fern befördert der Leistungsfortschritt der IBV auch die Fortentwicklung der Systeme, in die sie unmittelbar integriert wird?
S. Etemadi: Durch die Weiterentwicklung der industriellen Bildverarbeitung sind wir in der Lage, viele Prozesse zu automatisieren, die wir sonst nicht automatisiert hätten. Ich denke da an das automatische Fügen, bei dem Leiterplatten in Gehäuse eingepresst werden müssen. Hierbei kommt es besonders auf die absolut genaue Positionierung der Leiterplatte an. Bei der Automatisierung dieser Prozesse waren wir zunächst zögerlich. Jetzt haben wir durch die Fortentwicklung der industriellen Bildverarbeitung auch Möglichkeiten gefunden, die Teile, die zueinander gefügt werden müssen, zunächst zu vermessen, ihre Lage zu bestimmen, diese gegebenenfalls zu korrigieren und sie dann einzupressen.
S. Gehlen: Wir verlassen heute mit in der industriellen Bildverabeitung die abgeschotteten Bereiche, in denen kontrollierte Bedingungen herrschen. Wir gehen in Anwendungen hinein, in denen wir zunehmend unkontrollierte, undefinierte Bedingungen vorfinden. Wir gehen in Bereiche der Mensch-Maschine-Kooperation hinein, in denen wir mit Umwelten interagieren müssen. Und wir beginnen Bereiche zu industrialisieren, die früher keine Rolle spielten, wie etwa die Agrartechnologie. Es gibt also einen Trend, in völlig neue Automatisierungsgebiete vorzudringen, zu dem auch die Bildverarbeitung beiträgt.
H. Heinol-Heikkinen: Ich möchte das von Herrn Etemadi gesagte unterstützen. Wir automatisieren heute Dinge, die wir in der Vergangenheit nicht zu automatisieren gewagt haben. Zum Beispiel erfordern bestimmte Fertigungsprozesse immer eine Überprüfung. In der Vergangenheit war es nötig, im Fertigungsprozess die Kette zu unterbrechen, um eine Prüfung offline im Messlabor durchzuführen. Heute messen wir mit der Bildverarbeitung in zertifizierten Prüfprozessen inline. Erst das erlaubt eine Massenproduktion in hoher Qualität, ist also ein Enabler für höherwertige Automatisierungsprozesse.
Für sich genommen bringt unser „Auge“ wenig Nutzen. Die Implementierung entfesselt die Leistung. Wo, also in welchen Anwendungsfeldern, ist die IBV zurzeit schon Industrie 4. 0 fähig?
H. Wirth: Das ist schon in vielen Anwendungsfeldern der Fall, weil die Bildverarbeitung eine sehr intelligente und leistungsfähige Technologie ist. Ein Beispiel ist die Substitution vorhandener Technologien. Wenn etwa bei der Typverifikation ein Kamerasystem die bisher verwendete Lichtschrankensysteme ersetzt, um damit leistungsfähiger zu sein. Auch der oft diskutierte „Griffs in die Kiste“ ist ein Beispiel dafür. Es gibt die Kundenmotivation, mit einem Roboter viele, auch verschiedene Teile aus einer Kiste entnehmen zu können. Hier sieht man die immer häufiger formulierte Forderung nach Variantenvielfalt, die von der Bildverarbeitung sehr gut unterstützt wird.
S. Prüfer: Ich würde die Frage etwas umstellen: In welchen Anwendungsfeldern kann die industrielle Bildverarbeitung den größten Sprung erzeugen? Wir sehen sehr viel Potential der heutigen und zukünftigen Bildverarbeitungstechniken in den Bereichen Konsumer-Elektronik, Konsumer-Goods, im Bereich Healthcare, aber auch im Logistik-Bereich. Hier die industrielle Bildverarbeitung über die aktuell verfügbaren hinaus neue Applikationen realisieren. Wichtig ist bei diesem Thema, dass die Systeme flexibel betrieben und bedient werden können. Das ist eine extrem große Herausforderung, die wir alle zu meistern haben, bei der Bildverarbeitungstechnik aber auch bei der Robotik.
Stichworte aus dem Umfeld der Industrie 4.0 lauten etwa „Losgröße 1“ oder „First time right“ und stehen für maximale Flexibilität und höchste Qualitätsstandards. Muss die Maschine also alles „sehen“ und was muss die IBV in der Linie dann leisten?
S. Gehlen: Es wird sicher Anlagen geben, die Industrie 4.0 fähig sind und ohne Bildverarbeitung arbeiten. Aber hinsichtlich der Flexibilität, wie es hier schon in Beispielen angesprochen wurde, ist die Bildverarbeitung eine bedeutende Technologie. Wir sehen, dass das, was sich für den Konsumerbereich bei den App-Entwicklungen andeutet oder schon realisiert ist, auch für unsere Branche sichtbar wird. Wir haben optische Systeme und Beleuchtungssysteme, die sich in vielen Anwendungsfeldern zunehmend zu Standardsystemen entwickeln. Und wir haben eine applikationsspezifische Software. Das macht die modernen Bildverarbeitungssysteme einzigartig: Anwendungen, die sich in der Fertigung durch neu hinzukommende Typen oder Aufgaben wandeln, lassen sich in einem späteren Prozess durch eine Softwareanpassung auf die neue Aufgabenstellung zuschneiden. Wir haben innerhalb der Bildverarbeitung sozusagen eine vordefinierte Adaptivität.
H. Heinol-Heikkinen: Genau wie das menschliche Auge, so ist die Bildverarbeitung ein einzigartiges Instrument und nicht zu ersetzen. Was bedeutet das aber für die Just-in-time-Produktion, für Losgröße 1? Auf den Menschen bezogen heißt das, ich sehe etwas zum ersten mal und frage mich, was tue ich jetzt damit? Meine kognitiven Fähigkeiten sind nicht ausgebildet, ich kann mit dem Gesehenen eventuell gar nicht umgehen. Aber das ist die Aufgabe, um die es geht.
Etwas zu sehen und mit unglaublich vielen Pixeln abbilden zu können, ist das Eine. Dann zu sagen, es ist gut oder es ist schlecht bedarf aber mehr. Und hier entsteht für die Industrie 4.0 ein ganz spannendes Thema. Nämlich die Fähigkeit zu entwickeln, mit anderen Dienstleistern zu kooperieren. Das betrifft meiner Meinung nach den Design-Prozess. In ihm steckt das Wissen. Würden wir also im Design-Prozess einen Layer definieren, der beschreibt, was bei der Losgröße 1 zu sehen und zu prüfen ist und diese Information mitschicken, dann stellen wir das erforderliche Knowhow zur Verfügung. Und erst dann ist die Bildverarbeitung in der Lage, mit diesem Knowhow, eine Entscheidung zu treffen.
Wir dürfen an dieser Stelle aber nicht verheimlichen, dass auch eine Bildverarbeitung nicht alles sieht. Sie sieht letztendlich nur das, was die Beleuchtung, was das Objektiv, was die Sicht auf das Objekt zulassen. Tatsache aber ist, dass Bildverarbeitung an dieser Stelle ein absolutes Alleinstellungsmerkmal hat. Es ist mir heute keine andere Technologie bekannt, die in vergleichbarer Größenordnung lösungsrelevante Informationen generieren kann.
S. Etemadi: Ein Aspekt von Industrie 4.0 nennt sich Cyber Physical Systems. Das bedeutet, dass die physische Realität in eine virtuelle Abbildung übertragen wird. Das geht nur, wenn ich Daten habe. Und für mich ist die industrielle Bildverarbeitung im Prinzip ein Datengenerierer und damit sehr wichtig. Dazu haben wir den Mind-Set, dass wir nicht wissen, welche Daten wir brauchen, bevor wir sie haben. Trägt man dem Rechnung, beantworte ich die Frage mit: Ja, wir müssen alles sehen.
Bei weiteren Schlagworten aus der Industrie 4.0 wie Flexibilität, Autonomie und Mobilität kommt die Robotik ins Blickfeld. Warum sollen Roboter „sehen“? Welchen Beitrag leisten Bildverarbeitung und Robotik im Team?
S. Prüfer: Ich würde die Frage sehr gern mit einem Beispiel beantworten. Stellen Sie sich ein mobiles Robotersystem vor. Das System soll eine Flache, deren Position im Raum bekannt ist, mit einer bestimmten Greiftechnik greifen und diese Flasche zu einer bestimmten Position bringen. Das System wird einwandfrei funktionieren, hat aber bezüglich der Flexibilität keinen Spielraum. Das heißt, wenn ich die Position dieser Flasche verändere, ist dieses Robotersystem nicht mehr in der Lage, diese Flasche zu greifen.
Jetzt gebe ich dem Roboter mit einem Bildverarbeitungssystem, das entsprechend trainiert ist, die Möglichkeit, diese Flasche auch in ihrer veränderten Position zu erkennen. In diesem Moment habe ich die Flexibilität erhöht. Wenn ich jetzt aber sage, räume bitte von einem Tisch alle gerade darauf befindlichen Flaschen eines Herstellers ab, wird die vorhandene Flexibilität dafür noch immer nicht ausreichen. Neben der Fähigkeit der visuellen Wahrnehmung käme die Notwendigkeit hinzu, möglichst viele Daten über entsprechend viele Flaschen von unterschiedlichen Herstellern in das System hineinzupacken, um ihm so die höchst mögliche Flexibilität zu geben. Und ihm dann sagen zu können, bitte hole mir die Flasche eines bestimmten Herstellers und räume sie ab. Und das idealerweise auch noch ohne eigenes Spezialwissen zu haben, wie ich dem System diese Aufgabe beibringen kann.
Wird der „sehende“ Roboter im Zuge der Industrie 4.0 Konkurrent oder Kollege sein und welche Rolle spielt die IBV bei der Interaktion zwischen Mensch und Maschine?
H. Wirth: Das Thema einer Verdrängung des Menschen durch den Roboter gab es in der Robotik schon immer. Doch wir haben gelernt, dass der Roboter den Menschen nicht ersetzt. Die Arbeitsplätze gehen an eine andere Stelle. Und so wird es auch bei dieser Revolution vonstatten gehen. Die Kooperation mit dem Roboter ist in der Tat eine sehr interessante Sache, weil viele Standardaufgaben vom Roboter übernommen werden können. Insbesondere dann, wenn er die Fähigkeit zur Wahrnehmung hat.
Alle kooperierenden Robotermodelle verfügen über Sensorik. Es muss nicht immer die Bildverarbeitung sein, denn es gibt auch andere Sensoren. Man verleiht den Robotern beispielsweise einen Tastsinn, dass er in den Fingern spürt, wenn er ein Objekt gegriffen hat. Oder eine Kraft-Momenten-Steuerung, um Fügeprozesse besser zu gewährleisten.
S. Etemadi: Eine der Säulen von Industrie 4.0 bei Bosch ist es, unsere Mitarbeiter mit Industrie 4.0 zu unterstützen. Da spielt auch die Roboter-Mensch-Kooperation eine wichtige Rolle. Bosch hat zum Beispiel einen Roboter entwickelt, der mit einer Sensorhaut ausgestattet ist und stoppt, wenn er in der Nähe eines Mitarbeiters kommt. Grundsätzlich befinden wir uns noch in den Anfängen der Mensch-Roboter-Kooperation. Bezogen auf das Beispiel mit der Flasche, wollen wir unsere Mitarbeiter in der Mensch-Roboter-Kooperation unterstützen, indem wir ihnen beispielsweise die Flasche bzw. das Produkt reichen. Und zwar so, dass wir den Mitarbeiter nicht verletzen. Wir scannen oder sehen welche Größe der Mensch hat, welchen Arm er reicht oder wohin die Flasche bzw. das Produkt gebracht werden muss. Für solche Sicherheitskonzepte aber auch für Ergonomiekonzepte in der Mensch-Roboter-Kooperation ist die industrielle Bildverarbeitung aus meiner Sicht sehr wichtig.
S. Prüfer: Auch für Kuka wird der Mensch in der Fabrik der Zukunft immer im Mittelpunkt stehen. Und wir betrachten besonders den sehenden Roboter als Unterstützer und als Assistenzsystem, um den Werker zu entlasten. Gerade bei monotonen und kräftezehrenden Arbeiten oder bei nicht ergonomischen Arbeiten.
Es sind bereits Stimmen hörbar, die sich besorgt über den z. B. gegenüber den USA vergleichsweise schleppenden Verlauf der vierten Industriellen Revolution äußern. Was kann die IBV dazu beitragen, dass „4.0“ nicht als 2040 interpretiert werden muss?
H. Heinol-Heikkinen: Wir sind als Firma auch in den USA tätig und bezüglich der Aussage zum Entwicklungsverlauf in den USA glaube ich, dass da schon einmal Dinge verwechselt werden. Vielleicht wird da etwas mit dem Thema IoT (Internet of Things) verwechselt. Das sind Armbänder die Vitalfaktoren online messen werden, es ist die Rede von Waschmaschine, von Kühlschränken und ähnlichen Dingen. Da könnte ich zustimmen. Das ist aber ein ganz anderer Bereich. Das ist nicht die Fertigungsautomatisierung, die, glaube ich, ein typisch deutsches Thema ist. Wie auch die Bildverarbeitung. Was das angeht, sehe ich nicht, dass der Zug bei uns zu langsam fährt, ganz im Gegenteil. Insbesondere die Riege der Bildverarbeiter ist unglaublich motiviert und engagiert.
S. Gehlen: In Europa neigen wir dazu, erst einmal zu denken und dann zu handeln. Insofern bin ich bezüglich der Entwicklung nicht besorgt. Sicher ist es so, dass die mit IoT befassten Internet-Unternehmen, etwa im Silicon Valley, einen Wissensvorsprüng haben und das die Entwicklung dort eine andere Dynamik hat. Wir sollten das aber für unsere Industrie nicht überbewerten. Wir sind eine junge Technologie, wir sind agil, wir sind schnell und wir positionieren uns auch gut. Aber wir denken natürlich auch zunehmend über Kommunikations-Standards nach. Hier liegen auch Chancen, dass wir mit ein wenig Nachdenken und Standardisieren die Offenheit und die Kommunikationsfähigkeit zwischen Systemen deutlich verbessern und da ist auch die Bildverarbeitung dabei, sich zu positionieren.
Wo können Entwicklungen in der IBV der Industrien 4.0 in Zukunft auf die Sprünge helfen?
H. Wirth: Hier sehe ich einige Herausforderungen, wie etwa die Planung der Systeme. Da könnten wir schon viel früher in den Implementierungsprozess einsteigen. Also die Bildverarbeitung nicht erst dann implementieren, wenn die Linie schon steht, sondern die Systeme bereits in der Planungsphase konfektionieren und voreinrichten. Oder unsere Systeme darauf einstellen, dass sie durch ein CAD-Modell trainiert werden und nicht durch ein Musterteil, was ja heute noch weitgehend der Fall ist. Ich sehe aber auch noch einige Hürden, denn heutzutage ist es gar nicht so einfach, an ein CAD-Modell von einem Teil heranzukommen. Hier muss auch noch die Infrastruktur geschaffen werden, um dies dem System zugänglich zu machen.
S. Prüfer: Die Robotik ist ganz sicher eines dieser Felder. Wenn ich in die Automobilindustrie schaue und mir einen Karosserierohbau anschaue, so hat er eine gewisse Flexibilität. Wir wissen aber, dass die Automobilindustrie in Richtung höherer Modellvielfalt und Individualisierung geht. Und da wird es einfach notwendig sein, dass durch mehr vernetzte Sensorik auch diese höhere Flexibilität erzeugt wird.
Was spricht dafür, dass die IBV eine Schlüsseltechnologie für die Industrie 4.0 sein könnte?
S. Etemadi: Für die Industrie 4.0 benötigen wir Schlüsseltechnologien, die zur Vernetzung beitragen. Bei der Industrie 4.0 haben wir eine vernetzte virtuelle Abbildung. Wir benötigen hier nicht nur flexible Maschinen sondern „kreative“ Maschinen. Kreativ im Gegensatz zu flexibel, weil das System auf sich verändernde Umstände, die es nicht kennt, reagieren muss. Die optische Bildverarbeitung ist ein sehr flexibler Datengenerierer, denn sie kann aus den unterschiedlichsten Dingen Daten generieren. Damit ist sie für mich eine Schlüsseltechnologie, um die Umwelt und die Umgebung wahrzunehmen und darauf basierend mit intelligenten Algorithmen reagieren zu können.
H. Wirth: Was wir unter Bildverarbeitung verstehen ist für mich Perception, also die Wahrnehmung der Umgebung. Zur Bildverarbeitung gehören auch Sensoren, die mehr liefern als nur ein Bild. Heutzutage bekommen Sie auf dem Markt auch Time-of-flight-Kameras, die zusätzlich zum Bild noch Abstände liefern. Sie generieren 3D-Punktewolken, die für die Wahrnehmung der Umgebung hervorragende Werkzeuge bieten. Im Bereich der Bildverarbeitung verwenden wir jetzt mehr Sensoren und integrierte Systeme, die tatsächlich ein dreidimensionales Abbild der Umgebung und der Objekte liefern. Und damit natürlich ganz andere Applikationen ermöglichen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Der „Griff in die Kiste“ ist eines der prominentesten Beispiele, an dem man das erkennen kann. Aber auch ein führerloses Transportfahrzeug in der Logistik benötigt Sensoren, die ihm den Weg zeigen und ihm navigieren helfen, und das System absichern. Auch hier kommen die Technologien aus der industriellen Bildverarbeitung zum Tragen.
H. Heinol-Heikkinen: Beim Stichwort Schlüsseltechnologie habe ich folgendes Bild vor Augen: Ich stehe vor einer Tür, auf der steht „Die Zukunft der industriellen Automatisierungstechnik“. Darunter ist ein Schloss und mit dem Schlüssel „Bildverarbeitung“ schließe ich die Tür auf.
Auf der Flughöhe des Bildverarbeiters sage ich mir dann, richtig, das ist genau was wir tun. Aber wenn ich aus einer anderen Flughöhe auf das Ganze sehe, ist die Bildverarbeitung nur eine der Technologien, die wir benötigen. Bildverarbeitung ist sicherlich sehr wichtig, aber ich möchte zu bedenken geben, dass sie eigentlich keine Technologie ist, sondern eher ein Pool, eine Ansammlung von verschiedenen Technologien. Dazu gehören z.B. die CCD- und CMOS-Technologie oder die Time-of-flight-Technologie, also alle die Sensortechnologien, die wir verwenden, um damit optische Informationen zu erfassen. Man darf aber in diesem erweiterten Sinne die Bildverarbeitung durchaus eine Schlüsseltechnologie nennen. Es ist aber nicht die eine Technologie, um die Tür zur Zukunft der Automatisierungstechnologie aufzuschließen.
S. Gehlen: Wir haben mit dem Stichwort „Auge“ begonnen und was wir alles mit unserem Auge erkennen, ist einfach fantastisch. Wir haben mit der Bildverarbeitung einen sehr schönen Bezug dazu. Wenn Sie ein Problem beschreiben wollen, dann geben Sie einem Experten ein Bild und er kann es interpretieren. Es gibt keine andere Sensor-Technologie bei der Sie diese Vergleichbarkeit zwischen Mensch und Sensorik haben. Das macht mich optimistisch, dass die Bildverarbeitung dieser Schlüssel sein wird.
S. Prüfer: Der Mensch ist intuitiv und visuell gesteuert. Und im Bereich der Robotik wollen wir sehr viele Tätigkeiten des täglichen Lebens, sei es in Produktionsstätten oder auch zuhause, durch entsprechende Assistenzsysteme erleichtern. Und da ist es so, dass diese durchgängigen Prozesse einer solchen Automatisierung einfach das Feature „Sehen“ benötigen. Sehen, ähnlich wie es der Mensch tut. Daher ist die Bildverarbeitung für mich ganz klar eine Schlüsseltechnologie.