„Bei der Inspektion komplexer Strukturen spielt die CT ihre Stärken voll aus“
Interview mit Dr. Karl-Michael Nigge, Chief Product Officer bei Volume Graphics
Die Computertomografie kommt in der industriellen Qualitätssicherung immer häufiger zum Einsatz. Dabei nehmen auch die Inline-Anwendungen stetig zu. Warum diese Technologie so beliebt ist und wie sich mit CT-Geräten für die Inline-Prüfung praktikable Taktzeiten erzielen lassen, verrät Dr. Karl-Michael Nigge, Chief Product Officer bei Volume Graphics, im Interview mit der inspect.
inspect: Welche Rolle spielt die Computertomografie in der industriellen Qualitätssicherung?
Dr. Karl-Michael Nigge: Die Computertomografie (CT) findet seit gut 20 Jahren Anwendung in der Industrie. Wir bei Volume Graphics haben diese Entwicklung begleitet und auch maßgeblich gestaltet. Dennoch ist die CT im Rahmen der industriellen Qualitätssicherung ein vergleichsweise junges Verfahren. Aber gleichzeitig auch eines, das sich immer weiter durchsetzt aufgrund der Vorteile, die es bietet.
Typische Anwendungsbereiche sind beispielsweise die Gießerei, der Spritzguss oder die additive Fertigung. Alle diese Fertigungsverfahren haben gemein, dass sie in der Lage sind, sehr komplexe Geometrien zu erzeugen. Das liegt in unseren Augen auch im Trend, insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Leichtbau.
inspect: Können Sie das etwas ausführen?
Nigge: Beim Leichtbau spielen einerseits die verwendeten Materialien eine Rolle. Zum anderen aber auch die verwendeten Konstruktionsprinzipien. Diese gehen ja stetig in Richtung bionischer Optimierung der Bauteilgeometrie, die das Ziel hat, möglichst wenig überschüssiges Material zu haben. Das führt dann zu diesen eher komplexen Strukturen. Und für diese sind die drei genannten Fertigungsverfahren besonders geeignet.
Dazu kommt der Trend, Baugruppen zunehmend als ein Bauteil auszuführen. Etwa in der Gießerei. So entstehen dann auch komplexere Bauteile mit Stützstrukturen, die in mehrere Richtungen gleichzeitig wirken.
Kurzum: Immer, wenn es um solche komplexen Strukturen geht, hat die CT erhebliche Vorteile gegenüber anderen Methoden der industriellen Qualitätssicherung.
inspect: Warum löst die CT Qualitätssicherungs- und Messaufgaben komplexer Teile besser als optische oder taktile Messverfahren?
Nigge: Die Vorteile bestehen zum einen darin, dass sie es überhaupt ermöglicht, komplexe Strukturen zu erfassen. Das beginnt schon damit, dass man mit CT alle Strukturen erfassen kann, egal wie komplex sie sind. Denn die CT durchstrahlt die Bauteile, erfasst also auch die inneren Strukturen.
Man kann also von außen draufschauen, aber eben auch hinein. Letzteres ist beispielsweise relevant, wenn man Materialien oder Bauteile auf innere Defekte hin untersuchen möchte – und zwar zerstörungsfrei.
Nehmen wir etwa die Porenanalyse eines Gussbauteils oder eines 3D-gedruckten Teils: Für die klassischen und immer noch benutzten Verfahren entnehme ich zunächst Teile aus der Produktion und zersäge diese dann. Auf den dadurch erzeugten Grenzflächen wird nach den jeweiligen Verfahren eine Porositätsanalyse ausgeführt. Das sind dann außerdem zweidimensionale Daten. In der CT dagegen benötige ich nur einen Scan, um dreidimensionale Daten zu haben und um das Innere des Bauteils vollständig zu untersuchen.
inspect: Welche weiteren Vorteile bietet die CT dem Anwender?
Nigge: Man kann an einem CT-Scan auch später noch Messungen durchführen, um Maße zu nehmen, an die man ursprünglich gar nicht gedacht hatte. Damit bleibt man auch im Nachhinein flexibel. Gerade in Industrien, wo es um kleinere Stückzahlen geht, kann man daher die CT-Aufnahmen aller Produkte nachhalten, um dann beispielsweise bei potenziellen Qualitätsthemen im Feld anhand des CT-Scans sagen zu können, ob tatsächlich ein Produktmangel vorliegt.
inspect: Warum spielt die Software bei diesem Verfahren eine so große Rolle?
Nigge: Die Software spielt in der CT eine größere Rolle als in anderen Messverfahren, weil sie nicht nur das Analysewerkzeug ist, sondern weil die Software hier Teil der Datengewinnung ist.
Die Software ist sehr stark an der Erfassung der Daten beteiligt. Im Vergleich dazu: In der klassischen dimensionellen Messtechnik habe ich eine taktile Messmaschine, die das Objekt abtastet. Dann habe ich die Punkte auf der Oberfläche, aus der die Analysesoftware die Maße berechnet sowie Form- und Lagetoleranzen auswertet. Die Trennung von Hard- und Software ist also relativ klar.
Bei der CT greift die Software schon vorher ein. Denn, wenn ich den Scan habe, dann habe ich die Oberflächen noch nicht. Die zu vermessenden Oberflächen werden von der Software mit Methoden der Bildverarbeitung berechnet. In diesem Sinne trägt die Software zur Datenerfassung bei.
Ein Vorteil dieses Verfahrens ist, dass ein CT-Scan für viele unterschiedliche Inspektions- und Messaufgaben verwendet werden kann, in gewissen Grenzen auch für solche, die man vorher gar nicht geplant hatte.
inspect: Wie lässt sich die CT in automatisierte Produktionslinien einbinden?
Nigge: Mess- und Prüfverfahren aus dem Labor an die Produktionslinie zu verlagern, ist derzeit ein Trend. Das spart Zeit und ermöglicht es, größere Anteile der Produktion zu erfassen.
Zeit spielt bei der Inline-Kontrolle immer eine wesentliche Rolle: Scandauer, Rekonstruktions- und Analysedauer. Die Frage ist daher häufig, wie gut die Daten mindestens sein müssen, um die jeweilige Aufgabe zu erfüllen. Je mehr Zeit zur Verfügung steht, desto genauer kann die Messung sein und umgekehrt.
Für uns bedeutet das, dass wir ständig an der Performance der Software arbeiten, weil das ziemlich direkt an die Taktzeiten gekoppelt ist, die ich erzielen kann, was dann über die möglichen Anwendungsfälle entscheidet.
Wir haben aber auch intelligente Verfahren, um eine eigentlich zu kurze Taktzeit auszugleichen. So können beispielsweise mehrere kleine Teile auf einmal in den Scanner gepackt werden. Das senkt die Scanzeit pro Bauteil erheblich. Für diesen Fall haben wir vor etwa zwei Jahren ein Verfahren auf den Markt gebracht, das es ermöglicht, nur die relevanten Bereiche eines Scans zu rekonstruieren, also nur die Teile, aber nicht die Luft dazwischen.
inspect: Welchen Anforderungen müssen moderne Verfahren der Qualitätssicherung und Messtechnik heute genügen?
Nigge: Zu den Anforderungen gehört, dass die Daten frühzeitig vorhanden sein müssen. Zum Vergleich: Bei zerstörenden Verfahren dauert es eine ganze Weile, bis die Messdaten vorliegen, weil ja zunächst das Bauteil beispielsweise aufgesägt werden muss und man erst dann mit dem Messen beginnen kann. Bei der CT aber ist es eine Frage von Minuten nachdem das Teil in die Prüfung kommt, bis die Ergebnisse vorliegen.
Wichtig ist auch die flexible Anpassbarkeit an Veränderungen in der Produktionslinie. Also etwa, wenn sich die Maße eines Bauteils aufgrund eines Modellwechsels leicht ändern. Dann ändert sich auch der Inspektionsplan.
Eine andere Art von Flexibilität ist gefordert, wenn ein Bauteil viele Varianten hat. Auch hiermit muss die Software zurechtkommen.
inspect: Welche Trends sehen Sie diesbezüglich?
Nigge: Wenn man über Trends spricht, kommt man zwangsläufig auf Industrie 4.0 zu sprechen. Wichtig ist hier, dass man sich klar macht, was damit eigentlich gemeint ist. Und gemeint ist im Zusammenhang der Qualitätssicherung, dass sich industrielle Systeme selbst organisieren. Sie stellen also eine Feedback-Schleife zwischen Ergebnisdaten und Einstellungen des Prozesses her.
Die Maschine bzw. Anlage stellt sich also selbst so ein, dass sie dauerhaft hohe Qualität produziert.
inspect: Welche Rolle spielt die Industrie 4.0 in der CT?
Nigge: Hier zeigt sich, dass die CT ein zukunftsfähiges Verfahren ist. Denn die automatische Qualitätssicherung hängt von einer großen Datenbasis ab, etwa im Zusammenhang mit maschinellem Lernen. Und die CT liefert eben sehr aussagekräftige Daten. Zudem stellt sie eine dreidimensionale Analyse bereit, und dies nicht nur von den äußeren Maßen, sondern auch von den inneren Strukturen. Sie ermöglicht also eine allumfassende Analyse eines Bauteils.
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