Automatisierung

Mit negativen Emissionen zur Klimaneutralität

05.03.2024 - Messtechnik für die Direct-Air-Capture-Technologien

Um das 1,5-Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, muss Kohlendioxid auch direkt großtechnisch aus der Atmosphäre entfernt werden. Zahlreiche Unternehmen weltweit arbeiten an solchen chemisch basierten Direct-Air-Capture-Technologien. Entsprechende Messtechnik sorgt für die Effizienz und Sicherheit der Prozesse – und unterstützt dabei, die Verfahren zur Erreichung ihrer Wirtschaftlichkeit möglichst zügig weiterzuentwickeln. 

Soll weltweit Klimaneutralität bis 2050 erlangt und der globale Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt seit Beginn der Industrialisierung auf 1,5 Grad begrenzt werden, sind grundlegende Maßnahmen in allen Sektoren notwendig. Das Hauptaugenmerk der von fossilem Kohlenstoff abhängigen Industrien liegt dabei auf der Dekarbonisierung durch die Vermeidung oder das Reduzieren von Emissionen mittels des Einsatzes von Erneuerbaren Energien, grünem Wasserstoff, Effizienzsteigerungen und der Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Doch laut Weltklimarat lässt sich die Erderwärmung nur entsprechend begrenzen, wenn es zu negativen Emissionen kommt, das heißt der Atmosphäre dauerhaft CO2 entzogen wird. „Ohne das Abscheiden und anschließende Speichern oder Nutzen des Gases sind die Klimaziele nicht erreichbar“, betont Oliver Seifert, Mitglied des strategischen Industrienetzwerks Energie und Kraftwerke bei Endress+Hauser. 

Kohlendioxid lässt sich auf diversen Wegen aus der Atmosphäre entfernen. Zu den naturbasierten Lösungen gehören Aufforstung, Kohlenstoffbindung durch spezielle Landbewirtschaftung im Boden oder die Pyrolyse von Biomasse zu Biokohle, die dann als Bodenverbesserer wiederum in die Erde eingebracht wird. Da hier der Landverbrauch groß ist, entwickeln etliche Unternehmen aktuell neue technische Lösungen zur Abtrennung von CO2 direkt aus der Umgebungsluft – so genannte Direct Air Capture- Verfahren (DAC). Das auf diese Weise gewonnene hochreine CO2 wird dann in geologischen Formationen eingelagert (Carbon Direct Removal) oder direkt als klimaneutraler Rohstoff zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe (SAF), von Chemikalien oder als Kohlensäure in der Getränkeindustrie genutzt (CCU – Carbon Capture and Utilization). 2022 waren laut der Internationalen Energieagentur (IEA) weltweit 18 kleinere DAC-Anlagen in Betrieb. Gerade befindet sich der DAC-Markt jedoch an der Schwelle zum großtechnischen Bereich: 2024 soll die erste Anlage mit einer Abscheidungskapazität von bis einer zu einer Million Tonne CO2 jährlich in den USA starten. 

In der Regel bestehen die bislang eingesetzten Verfahren zur direkten Luft-Abscheidung von CO2 aus zwei Hauptschritten: 
Zuerst wird die Umgebungsluft mittels Ventilatoren in Kollektoren gesaugt, in denen das CO2 von den übrigen Luft-Komponenten separiert und chemisch an ein Trägermaterial gebunden wird (Capture). Bei Solid-Air-Capture-Verfahren (S-DAC) sind das feste Amine auf Filtern, flüssigkeitsbasierte Liquid-Air-Capture-Technologien (L-DAC) nutzen dazu Amin- oder Hydroxidlösungen (Alkalilaugen). Die restliche Luft wird wieder in die Umgebung entlassen. 

Danach wird das CO2 im so genannten Regenerationsschritt durch erhebliche Energiezufuhr in Form von Wärme vom jeweiligen Sorptionsmittel getrennt, so dass dieses für einen neuen Zyklus bereitsteht und das abgeschiedene Gas nachfolgend gelagert oder weiterverwendet werden kann. 

Endress+Hauser hat die Entwicklung dieser Verfahren von Anfang an begleitet: „Wir verfügen heute über ein breites Know-how in diesem Anwendungsbereich mit Tausenden von installierten Sensoren“, so Oliver Seifert.  „Genaue Messungen sind nötig, um die auf chemischen Verfahren basierenden Prozesse sicher und effizient zu machen und ihren besonderen Herausforderungen zu begegnen.“   


Die Bedeutung des Drucks: Verfügbarkeit erhöhen

Beispiel Solid-Air-Capture (S-DAC): Hier bindet sich das Kohlendioxid an festen Aminen auf Filtern im Inneren der Kollektoren. Sind diese nach rund zwei bis drei Stunden gesättigt, werden die Kollektoren von der Umgebungsluft getrennt und der Regenerationszyklus beginnt. „Der Differenzdruck steigt durch die zunehmende Sättigung der Filter, daher ist eine Überwachung dieses Prozesswertes entscheidend“, sagt Oliver Seifert. Zu diesem Zweck kann eine Differenzdruckmesszelle wie die Endress+Hauser Deltabar PMD55B verwendet werden, die den Differenzdruck (DP) direkt liefert. Diese Sensoren werden in vielen Anlagen weltweit eingesetzt. In anderen Anwendungen wird der Druck mit einer Druckmesszelle sowohl am Eingang als auch am Ausgang aller Kollektoren gemessen. Wenn der Differenzdruck einen bestimmten Wert überschreitet, startet die Desorptionsphase.  


Die Bedeutung der Temperatur: Effizienz bestimmen  

Viele Prozesse rund um Direct Air Capture beinhalten Heizen und Kühlen. „Hier ist die genaue Messung der Temperatur zur Überprüfung der Menge der weitergeleiteten Energie wichtig, um die Effizienz zu überwachen und Energiebilanzen zu erstellen“, erklärt Oliver Seifert. 

Bei S-DAC wird eine heiße Flüssigkeit auf Wasserbasis durch die Filter geleitet, um diese auf circa 100 °C zu erhitzen. Dadurch wird das CO2-Gas freigesetzt. Dieses und die Feuchtigkeit werden abgesaugt, abgekühlt und der CO2-Wasser-Trennung zugeführt. L-DAC-Verfahren arbeiten hingegen bei der Desorption mit weitaus höheren Temperaturen. Hier wird das CO2 im Kollektor zum Beispiel mit Kaliumhydroxid (KOH) aus der Luft ausgewaschen. Die so entstandene Kaliumcarbonat (K₂CO₃)-Lösung wird in einen Reaktor geleitet, in dem Pellets aus Calciumhydroxid (Ca(OH)2) mit ihr reagieren und festes, feuchtes Calciumcarbonat (CaCO₃) bilden. Im Zyklonvorwärmer wird durch Trocknung der Pellets Kalkstein (trockenes Calciumcarbonat). Dieser wird in einen Kalzinierer überführt, dort auf rund 900 °C erhitzt, wodurch Branntkalk entsteht und das eingefangene CO2 wieder freigesetzt wird. Danach wird der Branntkalk (CaO) mit Wasser zur Reaktion gebracht, wobei wiederum Cacliumhydroxid entsteht, das zurück zum Pellets-Reaktor für den neuen Zyklus gelangt. „Für die vibrierenden Umgebungen der Kalzinier-Anlagen werden typischerweise Thermometer mit iTherm-StrongSens-Technologie eingesetzt, selbst Stoß- und Schwingungsfestigkeit von >60 g können diesen nichts anhaben“, so Oliver Seifert.  

Die Bedeutung der Wasserqualität: Abschaltungen vermeiden
Das bei DAC-Prozessen genutzte Kühl- und Heizungswasser muss überwacht werden, um Probleme mit Korrosion und so kostspielige Abschaltungen der DAC-Anlagen zu vermeiden. Zu diesem Zweck werden Parameter wie pH-Wert, Leitfähigkeit und gelöster Sauerstoff (DO) überwacht. „Bei flüssigkeitsbasierten Ansätzen ist die Überwachung des pH-Werts auch ein wichtiger Parameter, um die Menge des aus der Atmosphäre ausgewaschenen CO2 zu bestimmen“, so Oliver Seifert. Memosens-2.0-Sensoren von Endress+Hauser digitalisieren den Messwert im Sensor und transferieren ihn kontaktlos zum Messumformer. Das verhindert eine Verfälschung der Messwerte durch Feuchtigkeit und Korrosion, sorgt für eine erhöhte Verfügbarkeit der Messstellen und damit störungsfreie Prozesse. Memosens-Sensoren können jetzt das Achtfache an Daten speichern und ebnen damit den Weg für vorausschauende Wartung und IIoT-Services. 


Die Bedeutung des Füllstandes: Vorräte verwalten

„Der Füllstand spielt bei der Verwaltung des erzeugten CO2 eine Rolle, das in der Regel in flüssiger Form gelagert wird. Hinzu kommt die Bestandsüberwachung der in den L-DAC-Verfahren verwendeten Lösungen“, erklärt Oliver Seifert. Vibronik-Grenzschalter wie Liquiphant bieten eine zuverlässige Überfüllsicherung, für kontinuierliche Füllstände werden sowohl Differenzdrucksensoren als auch Radarmesstechnik verwendet.  
Die Bedeutung des Durchflusses: Erfassung der CO2-Menge 
„Die aus der Atmosphäre gewonnene CO2-Menge ist der wichtigste Leistungsindikator von Direct-Air-Capture-Anlagen“, so Oliver Seifert.  Für deren Erfassung gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten: Liegt das CO2 vor der Abtrennung von Wasser als feuchtes Gas vor, werden Wirbelstrommessgeräte eingesetzt. Der Prowirl F 200 etwa verfügt über eine Druck- und Temperaturkompensation, um Massendurchfluss und Normvolumendurchfluss (z.B. in Nm3) zu erzeugen. Liegt das CO2 als trockenes Gas vor, werden häufig thermische Massedurchflussmessgeräte wie t-mass 300/500 verwendet. Diese liefern direkt Massen- und Normvolumendurchflüsse. Für die Messung von flüssigem oder überkritischem CO2 ist Coriolis die beste Technologie welche den Massendurchfluss respektive die Dichte mit sehr guter Genauigkeit misst. „Die Dichte ist ein besonders nützlicher Parameter, da sie es ermöglicht, die Qualität des erzeugten CO2 zu bestimmen. Die Verschleppung von unerwünschten Komponenten wie Wasser kann so leicht erkannt werden“, erklärt Oliver Seifert. 


Zukunftsfeld mit aktuell fehlender Wirtschaftlichkeit 

Investoren und Nationen sehen Direct Air Capture als Zukunftsfeld im Kampf gegen den Klimawandel. Seit 2020 haben Regierungen fast vier Milliarden US-Dollar an Fördermitteln für DAC bereitgestellt; eines der führenden DAC-Startups hat jüngst eine halbe Milliarde Euro in einer Finanzierungsrunde eingesammelt. Bis zur Wirtschaftlichkeit der Technologie gibt es allerdings noch viele Herausforderungen zu lösen: Noch liegt der Preis pro abgeschiedener Tonne CO2 laut Aussagen der führenden DAC-Unternehmen je nach Verfahren bei 125 bis 800 US-Dollar. „Das rührt daher, dass die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre mit 0,04 Volumenprozent weitaus niedriger ist als in Punktquellen wie im Strom von Rauchgasen. Dadurch ist das Abscheiden entsprechend aufwendiger und energieintensiver“, erklärt Oliver Seifert. Schätzungen zufolge benötigen DAC-Technologien 1.400 bis 2.500 kWh an erneuerbarer Energie, um eine Tonne CO2 aus der Atmosphäre zu gewinnen. Bis 2050 wollen die Unternehmen den Tonnen-Preis auf 41 bis 82 Dollar senken. Geschehen soll das durch den großskaligen Aufbau der Verfahren, durch Energieoptimierungen und weitere Prozessverbesserungen. „Auch hier bilden hochpräzise Messungen die Basis: Sie helfen, die Prozesse besser zu verstehen und so die Wirkungsgrade der Anlagen zu erhöhen“, sagt Oliver Seifert.
 
Autorin
Christine Böhringer, schreibt als freie Journalistin für Endress+Hauser

Kontakt

Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co. KG

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79576 Weil am Rhein
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