„Für uns ist die Elektromobilität ein Riesenthema“
14.11.2022 - Interview mit Dr. Marc Wawerla, Leiter Zeiss Industrial Quality Solutions
Welche Chancen eröffnet die Elektromobilität für Zeiss und welche Bereiche profitieren davon am meisten? Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Marc Wawerla, Leiter Zeiss Industrial Quality Solutions, im Interview mit der inspect.
inspect: Die größte öffentliche Aufmerksamkeit bei Elektrofahrzeugen bekommt stets der Akku. Ist das hinsichtlich der Qualitätssicherung ebenso?
Marc Wawerla: Für uns ist Elektromobilität insgesamt ein Riesenthema. Wir haben vor ein paar Jahren angefangen, das für uns als Fokus zu definieren und innerhalb des Themas schauen wir uns den gesamten elektrischen Antriebsstrang an. Es geht los bei dem Akku, geht aber weiter in den Antriebsstrang, also Motor, Getriebeteile, Leistungselektronikkomponenten und so weiter. Aber natürlich die Batterie ist DAS große Thema, das die Fahrer der Elektroautos umtreibt, aber natürlich auch uns. Nicht zuletzt auch, weil es sicherheitsrelevantes Bauteil ist. Das betrifft übrigens auch mechanische Bauteile. Zum Beispiel die Batteriewanne, die die Batterie umgibt. Gerade wenn es zu einem Unfall kommt, muss sie die Kräfte aufnehmen und die Batterie schützen.
inspect: Inwiefern ändern sich die Anforderungen an die Messtechnik beim Umstieg vom Verbrennungs- auf den Elektroantrieb?
Wawerla: Die Verbrennertechnologie hat sich ja über 100 Jahre lang weiterentwickelt. Und die Probleme, die wir vor Jahren noch hatten mit den Autos, etwa Kolbenfresser etc., die gibt es heute praktisch nicht mehr. Und diese Analogie sehen wir auch im elektrischen Antriebsstrang. Auch dieser wird sich weiterentwickeln, und auch die Batterietechnologie muss und wird noch reifen. Das gilt für die heutige Lithium-Ionen-Technologie. Aber ebenso für Feststoffkörperbatterien, Brennstoffzellen und allem, mit was sich die Forschung in diesem Bereich beschäftigt. Hier gibt es viel Bewegung in der Forschung und Entwicklung.
Um die Frage konkret zu beantworten: Gerade bei den heutigen Batterien ändern sich die Anforderungen an die Qualitätssicherung in der Produktion dahingehend, dass zunehmend 100 Prozent der Zellen gemessen, geprüft werden müssen. Das geschieht einfach aus Sicherheitsgründen, um die Risiken für die Verbraucher zu minimieren.
Im Gegensatz dazu arbeiten die Autohersteller beim Verbrennungsmotor mit statistischer Prozesskontrolle. Das heißt, es wird jedes x-te Teil aus der Produktion geprüft. Weil die Verschleißmechanismen beispielsweise des Werkzeugs bekannt sind, lässt sich daraus vorhersagen, was mit den nächsten 100 Stück qualitativ passiert.
inspect: Heißt das, man wird perspektivisch auch bei der Elektromobilität auf die 100-Prozent-Kontrolle verzichten können?
Wawerla: Stand heute, rechnen wir nicht damit. Einfach weil die Verschleißmechanismen im elektrischen Antriebsstrang andere sind. Aber natürlich sehen wir auch, dass man die Produktionstechnologie immer besser in den Griff bekommen wird. Und vielleicht kommt man ja doch irgendwann dorthin, dass man auf statistische Prozesskontrolle setzen kann. Wer weiß.
inspect: Wo liegen die größten Herausforderungen bei Messaufgaben für E-Autos im Vergleich zum Verbrenner?
Wawerla: Ganz klar in der Taktzeit: Wenn ich 100 Prozent messen muss von der Produktion, muss ich entsprechend in der Taktzeit, etwa in unter zehn Sekunden, eine Batterie messen können. Und das ist heute eine Herausforderung in der Messtechnik, die spannend ist, und die nicht jeder erfüllen kann.
inspect: Der Elektromotor ist im Vergleich zum Verbrenner-Pendant weniger komplex. Sinkt daher beim Elektroauto der messtechnische Aufwand insgesamt?
Wawerla: Zusätzlich wird oft gesagt, dass der elektrische Antriebsstrang aus weniger Teilen bestehen würde. Stattdessen sind vor allem mehr Gleichteile verbaut als im Verbrennungsmotor, der aus vielen verschiedenen mechanischen Bauteilen unterschiedlicher Natur besteht, die gemessen werden müssen.
Daher ist die Qualitätssicherung beim Elektroantrieb zwar einerseits leichter wegen der vielen Gleichteile. Andererseits müssen diese aber alle in sehr kurzer Taktzeit zu 100 Prozent gemessen werden. Insofern ändert sich die Messtechnik hier natürlich gewaltig. Aber der Qualitätssicherungsaufwand wird nicht geringer.
inspect: Profitiert Zeiss durch sein umfassendes Messtechnikportfolio vom Umstieg auf die E-Mobilität?
Wawerla: Was uns tatsächlich entgegenkommt, ist, dass man für den elektrischen Antriebsstrang wirklich alle Technologien braucht. Also von der taktilen Messtechnik, zum Beispiel für Batteriewannen, den Motor und Getriebeteile; über die optische Messtechnik, auch zum Beispiel für sogenannte Hair Pins oder die Wicklung im Elektromotor; bis hin zur Batteriemesstechnik, die dann vor allem Röntgenmesstechnik nutzt. Außerdem gehören auch Elektronenmikroskope dazu, um zum Beispiel das Elektrolyt der Batterien zu analysieren. Wir sind der Anbieter, der die komplette Strecke anbieten kann.
inspect: Dadurch erhöht sich das Umsatzpotenzial in der Automobilindustrie?
Wawerla: Davon gehen wir aus.
inspect: Auf der Control haben Sie angekündigt, das CT-Geschäft zu stärken. Auf welche Anwendungsbereiche zielen Sie damit insbesondere?
Wawerla: Ich glaube, man sieht, dass weltweit extrem investiert wird in Batterieproduktionskapazitäten. Wir rechnen damit, dass der Anstieg an Batterieproduktionskapazität im Bereich 20 bis 30 Prozent pro Jahr liegt. Und entsprechend möchten wir natürlich davon profitieren. Im letzten Jahr haben wir eine Wachstumsrate von 50 Prozent gehabt in diesem Bereich. Dieses Wachstum wird sich auf Dauer nicht durchhalten lassen. Aber wir rechnen durchaus mit zweistelligen Zuwachsraten in diesem Bereich.
inspect: Wie verteilen sich die Wachstumsraten auf die verschiedenen Technologien?
Wawerla: Das bleibt ein bisschen abzuwarten. Es wäre verwegen, hier eine Voraussage zu machen. Die Batterie und damit die CT-Technologie sehe ich hier allerdings in einer günstigen Ausgangslage. Hierbei geht es nicht nur um Inline-, sondern auch Atline-Lösungen. Dabei wachsen Laborgeräte übrigens genauso mit wie Produktionslösungen.
inspect: Wo sind die lokalen Schwerpunkte beim Geschäft mit der Elektromobilität?
Wawerla: Für uns sind die drei klassischen, drei großen Märkte, Amerika, vor allem USA, Europa und Asien, vor allem China, wichtig. In Asien ist das neben China vor allem Korea. Aber, und das muss man schon sagen, wenn man auf den globalen Batteriemarkt schaut, stehen Dreiviertel der installierten Erzeugungskapazität für Batterien in China.
Derzeit gibt es natürlich viele Investitionen in ganz Europa. Daher wird sich das Verhältnis sicher ein wenig verschieben. Aber in den nächsten Jahren rechnen wir damit, dass China ein wichtiger Markt in der Batteriefertigung bleiben wird.
inspect: Welche Neuheiten dürfen die Leserinnen und Leser von Zeiss hinsichtlich der Elektromobilität als nächstes erwarten?
Wawerla: Wir arbeiten natürlich kontinuierlich an Innovationen. Wir investieren dieses Jahr so viel in diesen Bereich, wie noch nie. Und wir werden nächstes Jahr unsere Forschungs- und Entwicklungsausgaben noch zusätzlich steigern. Das heißt, unsere Kunden können sich sicher freuen auf weitere Innovationen, die den Markt erreichen. Mehr kann ich dazu im Moment noch nicht sagen.
inspect: Machine Learning/KI: Wie steht Zeiss dazu und wo sehen Sie da Ihre Stärken?
Wawerla: Aus unserer Sicht wird Software zunehmend wichtiger in der Qualitätssicherung. Weil sie die automatisierte Auswertung ermöglicht und die Auswertung an sich vereinfacht.
Für uns ist KI eben ein wichtiges Werkzeug, um die Automatisierung für unsere Kunden voranzutreiben. Wobei automatische Defekterkennung ein großes Stichwort darunter ist, natürlich.
Autor
David Löh, Chefredakteur der inspect