„Hauptaufgabe der KI-Anbieter ist jetzt, die Komplexität für den Anwender zu reduzieren“
11.11.2022 - Interview mit Kai Hartmann, Product Innovation Manager bei IDS
Obwohl das Interesse an künstlicher Intelligenz in der Bildverarbeitung hoch ist, gibt es relativ wenige Anwendungen. Kai Hartmann, Product Innovation Manager bei IDS, erklärt im Interview die Gründe dafür. Dabei erläutert er auch, wie sich KI-Interessierte an die Technologie heranarbeiten können. Zugleich stellt er klar: KI eignet sich nicht für alle Bildverarbeitungsanwendungen.
Künstliche Intelligenz ist gerade DAS Hype-Thema. Doch trotz des Potenzials, zahlreiche Anwendungen massiv zu verbessern, ist die Anzahl der Produktiveinsätze derzeit noch überschaubar. Was denken Sie, in welchem Entwicklungsstadium befindet sich KI derzeit?
Kai Hartmann: Bei der intelligenten Bildverarbeitung stehen wir zweifellos noch in der Wachstumsphase. Wie bei jeder neuen Technologie gibt es am Anfang einige Hürden und Fragen, die geklärt werden müssen. Zunächst musste beispielsweise Grundlagenarbeit in Sachen Algorithmen und Rechenleistung geschaffen werden. Das ist mittlerweile gelöst, sodass Kunden sehr kompakte und leistungsfähige Embedded-Vision-Systeme mit KI erwerben können.
Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, Vertrauen und Verständnis im Markt aufzubauen. Im Vergleich zur klassischen, regelbasierten Bildverarbeitung ist die Funktionsweise von KI-Vision schwieriger zu erklären. Hier helfen Early Adopter und Fast Follower, deren Anwendungen konkret zeigen, was wie möglich ist und die dieses Wissen in die Breite tragen. Aus meiner Sicht ist das Thema „Erwartungshaltung“ außerdem aktuell ein ganz wichtiges. Denn auch wenn KI viele neue Möglichkeiten in der Bildverarbeitung eröffnet, ist die Technologie nicht allmächtig.
Wo sehen Sie derzeit die wesentlichen Stellschrauben, um Anwendern die Integration von künstlicher Intelligenz zu vereinfachen?
Hartmann: Anbieter müssen die Anwender zunächst einmal an der Basis abholen und genau erklären, bei welchen Aufgabenstellungen KI helfen kann. Das Thema an sich ist aktuell noch immer stark forschungsgetrieben – und deshalb sehr komplex. Mit unseren Tools reduzieren wir diese Komplexität und nehmen so den Anwender und seine Anforderungen in den Blick. Dazu zählt das KI-Vision-System IDS NXT, das den gesamten Anwendungs-Workflow vom Training neuronaler Netze bis zu deren Ausführung und Auswertung abbildet, aber auch Angebote wie unser Online-Marktplatz Visionpier, auf dem Kunden gezielt nach passenden Lösungen von erfahrenen, spezialisierten Anbietern suchen und diese einkaufen können.
Ist es für den Anwender in der Qualitätssicherung wirklich so einfach?
Hartmann: Wenn wir uns auf geeignete Anwendungsfälle beziehen, etwa Zustands- oder Qualitätskontrollen, kann der Zugang zu und Anwendung von KI-Vision mit den richtigen Werkzeugen tatsächlich sehr einfach gemacht werden. Grundsätzlich hängt das aber sehr stark von der Erwartungshaltung und der jeweiligen Problemstellung ab. Es gibt eine regelrechte Informationsflut zum Thema künstliche Intelligenz. Da kann schnell der Eindruck entstehen, dass KI die Lösung aller Probleme sei und sie die klassische Bildverarbeitung ablöse. Dem ist natürlich nicht so. Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben – ein Qualitätsingenieur hat ein enormes Expertenwissen zu seiner Anwendung und weiß genau, auf welche Merkmale und Situationen er zu achten hat. Das kann er für bestimmte qualitative Aufgaben – etwa Objekte oder Anomalien zu erkennen – an eine KI weitergeben, die ihn dann bei seinen Aufgaben unterstützt. Gleichzeitig verbessert sich so auch kollaboratives Arbeiten, da sein Fachwissen über die KI auch anderen Mitarbeitenden zugänglich und für sie nutzbar wird. Wichtig sind hier einfach zu bedienende Werkzeuge, mit denen er ohne großen Programmieraufwand die richtigen Ergebnisse erzielt.
Wo sehen Sie nach heutigem Stand die wichtigsten Anwendungsbereiche der existierenden KI-basierten Systeme?
Die KI-basierten Systeme sind insbesondere in den Bereichen stark, in denen die klassische BV an ihre Grenzen stößt, etwa wenn die zu erkennenden Objekte stark variieren oder nicht alle Abweichungen bekannt sind. Das betrifft beispielsweise Aufgaben, die jemand in der Qualitätssicherung bisher manuell kontrollieren musste. Ist das richtige Teil montiert und auch richtig herum?
Wenn Bildverarbeitung unterstützen soll, ist in diesem Fall ein neuronales Netz sehr viel schneller trainiert, als ein Algorithmus programmiert. Das betrifft nicht nur die Fertigung, sondern auch Bereiche wie die Agrar- und Lebensmittelindustrie. Wenn Produkte ähnlich, aber dennoch anders aussehen, ist das dann noch ok oder liegt ein Fehler vor? Hier lässt sich eine KI entsprechend trainieren, sodass solche Aufgaben mit Unterstützung von intelligenter Bildverarbeitung sinnvoll gelöst werden können.
Haben Sie einen Ratschlag für einen Anwender, der sich den Einsatz von KI in seiner Firma vorstellen kann, aber selbst noch keine wesentliche Erfahrung damit hat? Wie könnte er die Sache angehen, ohne gleich hohe Kosten zu produzieren?
Ich würde ihm vorschlagen, zunächst einen erfahrenen Partner zu finden, der bereits KI-Projekte realisiert hat. Das kann entweder ein Anbieter beziehungsweise Partnerunternehmen sein oder aber ein Kunde, Lieferant oder eine Hochschule. Gerade Anfänger profitieren von einem Sparringspartner, der weiß, in welchen Bereichen KI stark ist, was damit erreichbar ist, und welche Werkzeuge benötigt werden. Dann geht es darum, gemeinsam die richtige Aufgabe für das Pilotprojekt zu finden. Als Faustregel gilt beispielsweise, dass sich KI bei qualitativen Entscheidungen sehr gut eignet, bei quantitativen dagegen eher regelbasierte Bildverarbeitung zum Einsatz kommen sollte. Und ich würde in diesem Fall empfehlen, klein anzufangen und zunächst eine einfache Aufgabe zu automatisieren.
Aktuell haben wir zum Beispiel ein Projekt begleitet, bei dem es um die Prüfung von Sicherungsringen auf einer Welle ging. Diese Aufgabe ließ sich aus frontaler Ansicht mit klassischer Bildverarbeitung nicht lösen und ist für Menschen sehr ermüdend. Als Testlauf wurde unsere KI zunächst mit wenigen Bilddaten trainiert und prototypisch getestet – und hat bereits da erstaunlich gute Ergebnisse geliefert. Wir kamen also sehr schnell zu einem Proof of Concept. In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, inwieweit die Entscheidungen der KI optimiert werden müssen und dann das neuronale Netz dementsprechend nachzutrainieren. Mit diesem interativen Vorgehen lässt sich das Projekt bis zur fertigen Anwendung Schritt für Schritt immer weiter verbessern. Und ganz wichtig: Erfolge und Erkenntnisse sollte man intern teilen. Das motiviert andere Mitarbeitende und so entstehen sicher viele Ideen für weitere Anwendungsmöglichkeiten.
Was bekamen die Besucherinnen und Besucher der Vision von IDS in Sachen KI zu sehen?
Hartmann: Auf der Messe haben wir gezeigt, was auf dem Embedded-Vision-KI-System IDS NXT künftig mit Anomaliedetektion möglich sein wird, und darüber hinaus den Prototypen einer noch schnelleren und leistungsfähigeren intelligenten Kamera. Unser Messemotto war in diesem Jahr „Moving Forward“, und genau darum geht es ja auch beim Thema künstliche Intelligenz. Wir haben uns deshalb sehr über den regen Zulauf an Besucherinnen und Besuchern gefreut, die neugierig waren und erfahren wollten, wie sie unser System anwenden können. Dazu lohnt sich übrigens auch ein Blick in die Aufzeichnungen des Vortragsprogramms der Messe Stuttgart. Denn wir haben zu KI und den Möglichkeiten unseres Systems auch einen Vortrag bei den Industrial Vision Days gehalten.
Wir hatten aber auch viele spannende Neu- und Weiterentwicklungen aus unserer Ueye-Kamerawelt im Gepäck. Von neuen Modellen mit ultra-schneller 10GigE Schnittstelle und TFL-Mount bis hin zu unserer dann kleinsten Platinenkamera gab es bei uns sehr viel zu entdecken.