Automatisierung

„Die Simulation über einen digitalen Zwilling wird sich durchsetzen“

Digitaler Zwilling von ToF-Kameras soll virtuelle Simulationen ermöglichen und Zertifizierungsprozesse verkürzen

08.02.2022 - Die Zertifizierung von neuen Technologien ist mit erheblichen Testaufwand verbunden – vor allem, wenn es um sicherheits­relevante Anwendungsgebiete geht. Ein digitaler Zwilling der ToF-3D-Kameras von Tofmotion soll virtuelle Simulationen ­ermöglichen, die zu einer schnelleren Validierung beitragen und die time2market der Industrial-Safety-Lösungen des Unternehmens deutlich verkürzen. Wie das konkret funktioniert, erfahren Sie im Interview mit Robert Hranitzky, CTO bei Tofmotion.

Bild: tofmotion
Robert Hranitzky, CTO bei Tofmotion

 

Würden Sie Ihr Unternehmen zu Beginn kurz vorstellen?

Robert Hranitzky: Tofmotion bietet ToF-3D-Kameras, die wir weltweit erstmals mit einer Safety-­Zertifizierung auf den Markt gebracht haben. Unsere Lösungen erfassen Situationen und Räume ganzheitlich und in Echtzeit und können so Maschinen gleichsam „Augen geben“. Räumliche Wahrnehmung ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine fortschrittliche Mensch-Roboter-Kollaboration.

Welche Einsatzszenarien ergeben sich hier?

Robert Hranitzky: Die Lösung Spotguard überwacht mithilfe einer speziellen Software einen individuell definierbaren Raum, zum Beispiel einen Schutzbereich rund um einen Roboter. ­Zudem arbeiten wir an der Software Moveguard zum sicheren Einsatz von automatischen Transportfahrzeugen und mobilen Robotern. Sie reagiert dynamisch auf Hindernisse und vermeidet so Unfälle.

Warum arbeiten Sie an Simulationen?

Robert Hranitzky: In all unseren Produkten geht es grundlegend um Safety. Unsere Lösungen können zum Beispiel vermeiden, dass Roboter bei ihrer Arbeit Menschen gefährden oder Fahrzeuge unkontrolliert in Gegenstände fahren. In der mobilen Robotik gibt es unzählige Szenarien, die wir bei der Entwicklung unserer Produkte berücksichtigen müssen. Nehmen Sie zum Beispiel die AGVs: Sie fahren vollautomatisiert in Lagern. Vollbeladen sind sie schwer und erreichen vergleichsweise hohe Geschwindigkeiten. Damit von dieser Wucht keine Gefahr ausgeht, müssen vielfältige Situationen durchgespielt werden: schmale Einfahrten oder die Begegnung mit einem anderen Fahrzeug zum Beispiel. Auch die Interaktion mit Menschen gehört dazu. Was, wenn der Boden nass und rutschig ist und unvorhergesehene Hindernisse im Weg stehen? All diese Szenarien müssen wir bei der Entwicklung unserer Sensorik in Kombination mit den Umweltbedingungen beachten, um dieser Komplexität gerecht zu werden. Das bedeutet: testen, testen, testen. Für die Zulassung eines voll automatisierten Fahrzeuges sind 200 Millionen Testkilometer gefordert . Das ist aufwändig, teuer und gefährlich, solange die Lösungen noch nicht zertifiziert sind.

Und hier kommen Simulationen ins Spiel?

Robert Hranitzky: Richtig. Wenn wir die Tests zumindest teilweise über Simulationen abwickeln könnten, wäre das eine große Erleichterung und eine qualitative Verbesserung: Denn in normalen Testumgebungen schafft man es nicht, alle kritischen Szenarien durchzuspielen. Hier fehlt im Übrigen auch der Zufall, der sich aber über Simulationen abbilden lässt, zum Beispiel, dass ein AGV ganze Regale umfährt. Nicht zuletzt lassen sich Unfallszenarien simulieren, ohne dabei Menschen in Gefahr zu bringen. Zudem lassen sich Simulationen ohne viel Aufwand wiederholen. Auch die Gesetzgeber eröffnen hier Möglichkeiten. So regelt die Norm IEC TS 62998-1:2019, dass man klassische Tests durch Simulationen ergänzen bzw. ersetzen kann. Diese Möglichkeit wollen wir nutzen.

Wo setzt man beim Thema Simulation an?

Robert Hranitzky: Zunächst muss man die Umgebung darstellen, in der die jeweilige Simulation stattfinden soll, also zum Beispiel eine Logistikhalle. Dies geschieht über eine zuvor aufgenommene 3D-Punktewolke, die man in den digitalen Zwilling einspielt. Somit liegt ein dreidimen­sionales Abbild der Realität vor, auf dessen Basis man die Simulation laufen lassen kann. Das AGV verhält sich dann so, als wäre es mit einer echten Kamera verbunden. Man könnte aber auch ein CAD-Modell der Umgebung einspielen.

Wo stehen Sie aktuell in der Entwicklung?

Robert Hranitzky: Wir arbeiten seit zwei Jahren daran, einen digitalen Zwilling unserer Kamera zu erstellen. Das ist sozusagen ein virtuelles Softwaremodell, das im Computer läuft, sich aber physikalisch und algorithmisch wie unsere 3D-ToF-Produkte verhält. Das hat zuvor noch nie jemand so detailgetreu getan, bei diesem Sensortyp sind wir absolute Frontrunner. Dazu muss man wissen, dass unsere Kameras über Laserdioden IR-Licht aussenden und damit das Umfeld wie ein optisches Radargerät abtasten und erfassen. Deshalb geht es grundsätzlich um eine Simulation der Mehrwege-Lichtausbreitung. Bei diesem physikalisch sehr komplexen Vorgang kohärieren viele Faktoren wie Laserlicht und Intensität, Optik und Brechung, Objekte und deren Remission, etc. Daher werden derzeit noch große Rechenkapazitäten benötigt.

Könnten Sie sich vorstellen, die Simulation auch anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen?

Robert Hranitzky: Unser primäres Ziel ist es, unsere Safety-Lösungen schneller zu zertifizieren und somit die time2market unserer Produkte zu verkürzen. Wir können uns aber durchaus vorstellen, die Simulationsdaten des digitalen Zwillings in einem zweiten Schritt Herstellern von AGVs zur Verfügung zu stellen, damit sich auch deren Testaufwand reduziert. Wir sind überzeugt, dass die Simulation über einen digitalen Zwilling das Vorgehen ist, dass sich in Zukunft bei Zertifizierungen durchsetzen wird. Diese Vision verfolgen wir durchaus mit dem Ziel, unsere Kunden und Partner davon profitieren zu lassen. (agry)

Kontakt

Tofmotion GmbH

Am Europlatz 2, Building G
1120 Wien
Österreich

+43 664 6154650

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