Energie sparen durch kleinere Antriebe mit geringen Trägheitsmomenten
22.11.2013 -
Planetengetriebe weisen heute relativ hohe Wirkungsgrade auf - ebenso Synchronservomotoren. Daher macht es mehr Sinn, deren Zusammenspiel zu optimieren, als weiter an den Wirkungsgraden der einzelnen Komponenten zu schrauben. Nun ist ein Antriebshersteller dazu übergegangen, das Sonnenrad des Getriebes direkt in die Motorwelle einzupressen.
Weiter an energieeffizienten Antrieben zu entwickeln: Das sehen Experten als den Innovationstreiber der kommenden Jahre. Denn Motoren und Antriebe verbrauchen in der Industrie den Löwenanteil der Energie, rund 66 Prozent. In Deutschland sind das mehr als 150 TWh. Auf 22 TWh - etwa 15 Prozent - beziffert der ZVEI das Potenzial zur Verbrauchsreduzierung in der Antriebstechnik - allein in Deutschland. Der Industrie würde dies mehr als 2,5 Milliarden Euro Energiekosten sparen. Ob Frequenzumrichter, Bewegungsprofile, Getriebe, Mechanik oder Motoren: Die Einsparpotenziale betreffen alle antriebstechnischen Komponenten und Auslegungen. Untersuchungen zeigen, dass die Energiesparmöglichkeiten allein im mechanischen Teil des Antriebsstranges bis zu 30 Prozent betragen.
Konstruktive Maßnahmen
Hinsichtlich der Wirkungsgrade der einzelnen Komponenten sind die Verbesserungspotenziale für die Zukunft jedoch gering, da diese bereits einen hohen Reifegrad besitzen. Planetengetriebe haben pro Stufe einen Wirkungsgrad von 97 Prozent. Den größten Anteil an Verlusten haben hier Dichtungen, Lagervorspannung und Zahneingriff. Bei modernen synchronen Servomotoren liegt der Wirkungsgrad bei rund 92 Prozent, beeinflusst vor allem durch ohmsche Verluste, Ummagnetisierung und Wirbelströme. Bei den Leistungsteilen stammen die Verluste hauptsächlich aus den Schalt- und Durchlassvorgängen und liegen bei ungefähr 5 Prozent. Das größte Einsparpotenzial liegt daher im Einsatz von kleineren Antrieben mit geringen Trägheitsmomenten. Je geringer der Anteil des Motors zur Beschleunigung seiner Eigenträgheit an der Gesamtleistung ist, umso mehr gelangt von der Gesamtleistung in die Applikation und desto höher ist die Energieeffizienz der Antriebsstrecke.
Ein Beispiel, wie das Thema Energieeffizient durch konstruktive Maßnahmen angegangen werden kann, zeigt das Unternehmen Wittenstein Motion Control mit der Produktfamilie TPM+. Der Ansatzpunkt dieser Baureihe war, die Eigenträgheitsmomente zu reduzieren. Denn weniger Eigenträgheit bedeutet geringere Gesamt-Massenträgheiten im Antriebsstrang, wodurch sich zusätzlich der Kopplungsfaktor λ (Verhältnis der Fremdträgsheitsmomente zu den Eigenträgheitsmomenten) erhöht.
Bei herkömmlichen Antriebsauslegungen wird ein Kopplungsfaktor zwischen 1 und 3 (Wirkungsgrad, beziehungsweise Blindleistung im Motor, zwischen 25 und 50 Prozent) angestrebt, da hier mit geringem Aufwand ein robustes Regelverhalten erzielt wird. Der Grund hierfür ist jedoch nicht der Kopplungsfaktor, sondern der Einfluss von mechanischen Elastizitäten.
Im klassischen Aufbau werden Motor und Getriebe mittels einer Wellenkupplung verbunden. Diese Verbindung bringt einen zusätzlichen Anteil an Trägheitsmoment sowie eine Reduzierung der mechanischen Steifigkeit mit sich. Aus diesem Grund vermeidet Wittenstein dies bei der TPM+-Familie und presst das Sonnenrad des Getriebes direkt in die Motorwelle ein. Diese konstruktive Maßnahmen erlaubt Kopplungsfaktoren im Bereich λ >10.
Im Überblick: Die verschiedenen Modelle
Servoaktuatoren sind mechatronische Einheiten aus Motor und Getriebe, die Antriebsaufgaben umso effizienter lösen, je besser sie auf die jeweilige Applikation abgestimmt wurden. Daher bietet die Baureihe TPM+ eine Leistungsabstufung: Sie reicht vom flinken TPM+ Dynamic über den drehmomentstarken TPM+ Power bis zum verdrehsteifen TPM+ High Torque.
Mit dem TPM+ Dynamics, dem ersten Produkt der Servoaktuatoren-Baureihe, wurden bis heute bereits mehr als 40.000 Antriebsaufgaben realisiert, unter anderem Applikationen in der Robotik und in Verpackungsmaschinen. Auch der TPM+ Power ist eine Antriebseinheit, bei der Motor und Getriebe durch das oben erwähnte, konstruktive Prinzip eng miteinander verbaut sind. Dadurch wird weniger Einbauraum benötigt: Der Baulängenvorteil liegt laut Hersteller bei circa 50 Prozent im Vergleich zu marktüblichen Motor-Getriebe-Kombinationen. Der Servoaktuator ist sowohl einstufig für lineare Applikationen, als auch zweistufig für rotative Antriebsaufgaben verfügbar. Die Abstufung der Übersetzungen ist fein und erlaubt eine Auslegung des Antriebs hinsichtlich Energieeffizienz und Dynamik. Für die Laufruhe am Abtrieb sorgt die Schrägverzahnung im Getriebe. Der Einfluss der Zahneingriffsfrequenzen wurde reduziert - was ebenfalls seinen Beitrag zu leiseren System beiträgt. Die Leistungsdichte der Permanentmagnet-erregten Synchronmotoren wurde durch den Einsatz von Seltenerden-Magnetmaterial, der höheren Polzahl und einem hohen Füllfaktor in den Nuten erreicht. Gleichzeitig wurden die Wirbelstromverluste reduziert. Haupteinsatzgebiete des TPM+ Power sind unter anderem hochdynamische lineare Anwendungen wie Ritzel-Zahnstangen-Systeme oder Spindeln sowie rotative Applikationen mit hohen Massen und Störkräften, die ein Mehr an Drehmoment benötigen beziehungsweise eine höhere Regelgüte erfordern.
Die in vier Baugrößen und einem Übersetzungsspektrum von 22 bis 220 verfügbare Baureihe TPM+ High Torque zeichnet sich durch eine hohe Verdrehsteifigkeit aus. Diese liegt mit 180 Prozent über den sonst üblichen Werten bei Standardgetrieben. Zudem wird das maximale Beschleunigungsmoment im Vergleich zum TPM+ Dynamic um bis zu 90 Prozent übertroffen. Verantwortlich für die Leistungszunahme ist der vierte Planet in der Abtriebsstufe des Getriebes: Durch die zusätzlichen Zahneingriffe konnten die Entwickler diese Werte steigern. Ausgehend von ihrer Leistungsdichte erlauben diese Servoaktuatoren eine Dynamik-optimale Auslegung - ein Vorteil beim Handling schwerer Lasten sowie in automatisierten Bearbeitungszentren. Welche Baugröße, Übersetzung und Abtriebsdrehzahl auch hinsichtlich der Energiebilanz am effizientesten ist, lässt sich für alle TPM+-Servoaktuatoren mit Hilfe der Auslegungssoftware Cymex3 berechnen.
Energie-Assistent: Zuständig für die Kosten
Die in das Auslegungstool Cymex3 integrierte Funktion „Energie-Assistent" ermöglicht es, den Energiebedarf von Antriebsalternativen dynamisch zu berechnen, Downsizing-Potenziale zu erkennen und den gesamten Antriebsstrang effizient auszulegen - bis hin zur Wirtschaftlichkeitskalkulation einer möglichen Netzrückspeisung. Beispielberechnungen zeigen, dass ein Großteil der Energie, die zum Beschleunigen und Bremsen der Antriebsträgheit aufgewendet wird, nicht komplett als Abwärme-Energieverlust beim Bremsen verheizt werden muss, sondern zu einem großen Teil rückgespeist werden kann. Mit Cymex3 lassen sich die Energiekosten mit und ohne Rückspeisung bewerten und so die jährliche Energieersparnis in Euro beziffern.
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