Edge Analytics: Prozesse lokal überwachen, Kennwerte global auswerten
03.07.2020 -
Die Erfassung von Prozess- und Maschinendaten sowie Schwingungs- und Energiedaten ist im Kontext von Industrie 4.0 eine etablierte Methode zur Prozess- und Qualitätsüberwachung. Edge Analytics ermöglicht es, relevante Kennwerte aus den erfassten Messdaten in Echtzeit prozessnah im Edge Device zu berechnen, ohne dass die Messdaten hierfür in übergeordnete (cloudbasierte) Systeme übertragen werden müssen. Durch den Vergleich mit individuell vorgebbaren Grenzwerten wird bei Prozess- und/oder Qualitätsabweichungen direkt im Edge Device in Echtzeit alarmiert.
Die größte Flexibilität bei der Analyse von Prozess- und Maschinendaten erzielt man, wenn die Daten als hochaufgelöste Rohdaten und nicht als voraggregierte Daten aufgezeichnet werden. Basierend auf den hochaufgelösten Rohdaten können Prozess- und Qualitätskennwerte (Key Performance Indicators, KPIs) flexibel für unterschiedliche Zielsetzungen und Anwendergruppen wie zum Beispiel Instandhaltung, Qualitätsmanagement, Produktion, Prozesstechnologie, Engineering, Planung/Neubau oder Anlagenbauer berechnet werden.
Ideal ist es, wenn hierzu die Daten aus ganz unterschiedlichen Quellen gemeinsam und zeitsynchron erfasst werden: angefangen von den nicht-zyklischen Betriebsdaten, Materialdaten und Produktionsdaten, die beschreibenden und informativen Charakter haben, bis hin zu zyklischen Prozessdaten, Steuerungsdaten, Sensordaten, Maschinendaten und hochzyklischen Schwingungs- und Energiedaten.
Denn nur wenn diese Daten gemeinsam aufgezeichnet werden, ist es beispielsweise bei der Analyse von Schwingungs- oder Energiedaten bekannt, in welchem Zustand sich der Prozess befand bzw. welches Produkt gerade produziert wurde. Gemeinsam aufgezeichnete Daten können miteinander in Beziehung gebracht und relevante Folgerungen und Erkenntnisse aus den Daten gezogen werden.
Nachteilig bei der Erfassung hochaufgelöster Rohdaten ist die Datenmenge. Um aus Rohdaten Informationen und Wissen extrahieren zu können, müssen effiziente Methoden zur Verfügung stehen, relevante Kennwerte aus den Daten zu berechnen. Die automatisierte Analyse und Auswertung der Daten direkt im Edge Device (Edge Analytics) ist eine vielversprechende Technologie und Methode, bei der die Messdaten prozessnah direkt dort verarbeitet werden, wo sie entstehen. Die Messdaten müssen zur Auswertung nicht erst in übergeordnete Systeme wie zum Beispiel Cloud-Systeme, Message Broker oder Datenbanken übertragen werden. Dies ist aufgrund der Datenmenge, der verfügbaren Bandbreite und den Wechselwirkungen zwischen OT- und IT-Netzwerk im Allgemeinen auch nicht möglich.
Vorteile von Edge Analytics
Im Edge Device stehen die physikalischen Sensor- und Steuerungsdaten als Rohdaten zur Verfügung und bilden die Grundlage für die weiteren Berechnungen: Die Messdaten werden hochfrequent erfasst und Messwertüber- oder -unterschreitungen, Qualitätsdefekte und Prozessanomalien werden vor der Erfassung der Daten nicht „weggemittelt“, sondern bilden die Basis für unverfälschte Kennwerte.
Edge Analytics vereint also viele Vorteile: Messdaten werden prozessnah direkt an der Edge verarbeitet, ohne dass eine große Bandbreite zum Datentransfer in übergeordnete Systeme notwendig ist, Ergebnisse stehen im Edge Device in Echtzeit zur Verfügung und können damit zur Prozess- und Produktüberwachung verwendet werden. Alarme können in Echtzeit ausgelöst werden, so dass erkannte Prozess- und Qualitätsabweichungen sofort an übergeordnete Kontrollinstanzen, Leitrechner, Steuerungen (PLCs) oder HMI-Systeme gemeldet werden und zu Korrekturen in der Produktion führen. Darüber hinaus können die berechneten Kennwerte optional in übergeordnete Datenbank- oder Cloud-Systeme und Message Broker (z.B. Apache Kafka) ausgegeben werden, wo sie ubiquitär zur Verfügung stehen. Diese Daten können dann in Dashboards visualisiert und mithilfe sogenannter Business-Intelligence-Tools (BI-Tools) das Langzeitverhalten zentral ausgewertet werden.
Drei Beispiele für Edge Analytics
Beispiel 1: Grenzwertüberwachung basierend auf Kennwerten
Im Edge Device IbaDAQ können zur Bildung statistischer Kennwerte komplexe Bedingungen basierend auf den Rohdaten konfiguriert werden.
So können zum Beispiel in einem Walzwerk die Walzkräfte nur dann betrachtet werden, wenn sich tatsächlich Material im Walzspalt befindet (Digitalsignal), die Bandgeschwindigkeit (Analogsignal) einen gewissen Wert erreicht hat und eine gewisse Zeit Δt nach dem Walzbeginn verstrichen ist (Einschwingverhalten beim Anstich).
Die so berechneten statistischen Kennwerte können dann auf Grenzwertverletzung überwacht werden. Durch die Konnektivität zu Leitrechnern können die zur Überwachung notwendigen Grenzwerte individuell und somit produkt- oder kundenabhängige vorgegeben werden.
Beispiel 2: Online-Schwingungsüberwachung
Zur Schwingungsanalyse und -überwachung sind hochfrequente Messdaten notwendig. So werden Schwingungssensoren im Iba-Modularsystem mit IbaDAQ als Kopfstation üblicherweise mit 40 kHz aufgezeichnet. Die Sensoren werden im Edge Device synchron und kontinuierlich erfasst und die aktuellen Frequenzanalysen in Echtzeit durchgeführt. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich vom klassischen Condition Monitoring, welches auf Langzeittrends ausgelegt ist und bei dem die Schwingungssensoren oft nur in Abstanden von Stunden oder Tagen kurzzeitig ausgewertet werden.
Die zu überwachenden Frequenzbänder können frei definiert werden, sowohl statisch als auch dynamisch in Abhängigkeit von anderen Messgrößen. Als Ergebnis der Analyse werden für jedes Frequenzband die Parameter Peak, RMS (quadratischer Mittelwert) und Peak-Frequenz berechnet. Basierend auf diesen Parametern und weiteren Prozessparametern können frei konfigurierbare Kennwerte berechnet werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, für Kennwerte oder einzelne Bandparameter jeweils zwei Grenzwerte (Warnung, Alarm) zu definieren. Neben den Werten aus der Frequenzdomäne werden weitere Werte in der Zeitdomäne des Signals ermittelt, wie Minimum, Maximum, Mittelwert, RMS oder Crest-Faktor. Unterschiedliche Methoden der Mittelwertbildung stehen ebenso zur Auswahl wie die Möglichkeit des Detrending, um eine langsame Drift des Messwertes zu kompensieren.
Da im Edge Device sowohl die Schwingungsmessdaten als auch andere relevante Maschinen-, Prozess-, Material- und Qualitätsdaten zentral erfasst und in Beziehung gesetzt werden, lassen sich im Edge Device negative Trends sowie signifikante Zusammenhänge frühzeitig erkennen. Kritische Zustände oder Grenzwertverletzungen werden umgehend signalisiert, was maßgeblich zum Schutz von Mensch und Maschine sowie der Einhaltung der Produktqualität und der Prozessstabilität beitragt.
Beispiel 3: Messung der Elektroenergiequalität (EEQ)
Das Edge Device IbaPQU-S ist die Kopfstation des iba-Modularsystems zur Überwachung der Netzqualität und realisiert alle dafür relevanten Messaufgaben. Das System misst netzsynchron Rohwerte wie Strom und Spannung und berechnet intern daraus die Frequenz und weitere in der Norm EN 50160 geforderte Kennwerte.
Die Berechnung dieser Kennwerte erfolgt nach den Vorgaben der Norm IEC 61000-4-30, Klasse A, der höchsten Qualitätsklasse. Damit erfüllt IbaPQU-S die Anforderungen für vertragsrelevante Messungen und kann zu Abrechnungszwecken eingesetzt werden. Zudem werden Messungen der Oberschwingungen nach der Norm IEC 61000-4-7 ausgeführt, das Flickermessverfahren erfüllt die Norm IEC 61000-4-15. In der Norm ist beispielsweise für die Erfassung des Effektivwerts ein Zeitintervall von 10 Minuten vorgeschrieben. Will man jedoch das Verhalten der Anlage nach einer Veränderung genauer beobachten oder Störungen analysieren, lassen sich mit IbaPQU-S auch schnellere Messungen durchführen.
Die für die Norm EN 50160 berechneten Kennwerte basieren auf der Messung der Spannung. Zusätzlich ist IbaPQU-S in der Lage, alle Kennwerte anhand der Strommesswerte zu berechnen, was beispielsweise für Kompensationsanlagen interessant ist. IbaPQU-S ist in die komplette Anlagen- und Prozessüberwachung integriert. Durch die breite Konnektivität von IbaDAQ können die Messwerte aus verschiedenen Quellen erfasst und zeitsynchron abgetastet werden. Durch die synchrone Messung der EEQ-Parameter einerseits und der Prozessgrößen andererseits können Anlagenbetreiber beispielsweise nachweisen, ob und inwiefern ihre Anlage das Stromnetz negativ beeinflusst hat. Die Ursachen für durch den Prozess ausgelöste Netzschwankungen lassen sich somit jederzeit analysieren.
Die im Edge Device berechneten Kennwerte lassen sich nach individuell vorgegeben Grenzwerten oder den Grenzwerten der Norm überwachen. Abweichungen führen sofort zur Alarmierung. Optional ist auch hier die Übertragung der Kennwerte in übergeordnete Systeme zur späteren Analyse des Langzeitverhaltens oder zur Korrelation der Energiedaten mit Produktionsparametern möglich.
Fazit
Mit dem Iba-System steht ein System zur Verfügung, das mit seiner Architektur und den verschiedenen Applikationen die vorgestellte Methode der Erfassung hochaufgelöster Rohdaten und des Edge Analytics unterstützt.
Basierend auf der strukturierten Datenerfassung mit zentraler Zeitstempelung mit IbaPDA und der hier verfügbaren umfassenden Prozesskonnektivität können die Rohdaten direkt im Edge Device IbaDAQ verarbeitet werden. IbaPDA bietet einen mächtigen Ausdruckseditor zur Verknüpfung von Signalen und der Berechnung von statistischen Kennwerten. Zur Online-Schwingungsanalyse steht in IbaPDA das Add-On IbaInSpectra zur Verfügung. Die Messung der Elektroenergiequalität kann mit der CPU IbaPQU-S prozessnah durchgeführt.
Vom Edge Device IbaDAQ ist eine Alarmierung über verschiedene Ausgabeschnittstellen möglich, so dass IbaDAQ leicht in die Prozess- oder Qualitätsüberwachung in Maschinen oder Anlagen integriert werden kann.
Mit IbaDaVIS steht ein webbasiertes Analyse-Tool zur Verfügung, mit dem individuelle Dashboards mit unterschiedlichen Grafikelementen zur Analyse des Langzeitverhaltens der überwachten Prozesse und der Produktqualität erstellt werden können. Interaktive und flexible Filtermöglichkeiten erlauben es, die im Edge Device berechneten Kennwerte nach beliebigen Fragestellungen zu analysieren.
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