Kriterien bei der Wahl der Automatisierungsarchitektur
20.06.2013 -
Für wenige ist es eine Philosophie-Frage, für viele eine Frage der Aufgabenstellung, welchem Automatisierungskonzept man den Vorzug gibt. In jedem Fall ist es sinnvoll, die Antriebsaufgabe in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen.
Eine dezentrale Automatisierungslösung bietet sich immer dann an, wenn die Maschine modular aufgebaut ist oder nur einfache Antriebsaufgaben erledigt werden müssen. Dazu zählen Funktionen wie Wickeln, Fördern und Positionieren, aber auch die synchronisierte Bewegung mehrerer Achsen mit Zykluszeiten im Millisekunden-Bereich. Die direkte Bewegungsführung im Regler erlaubt eng gekoppelte Regelkreise, sodass eine einfache Feldbusverbindung genügt, um mehrere Antriebe präzise zu synchronisieren.
Es gibt Antriebe, wie beispielsweise die Servo Drives 9400 von Lenze, die über genügend Ressourcen verfügen, um neben diesen Aufgaben auch die Logiksteuerung der Maschine zu übernehmen. Auf diese Weise entfällt die separate Steuerung und einfache Feldbusse genügen, um die Antriebe zu vernetzen. Verfügt der Servo-Antrieb über Features, wie integrierte I/Os oder Sicherheitsfunktionen und zusätzliche Schnittstellen (zur Anbindung an eine übergeordnete SPS oder an ein Visualisierungsgerät), lassen sich mit ihm einfachere Maschinenmodule komplett dezentral automatisieren. So lassen sich kompakte und kostengünstige Automatisierungslösungen aufbauen.
Das zentrale Konzept
Das dezentrale Steuerungskonzept stößt jedoch technisch und wirtschaftlich an seine Grenzen, wenn eine oder mehrere der folgenden Kriterien zutreffen:
- mehr als vier synchrone Achsen,
- komplexe, koordinierte Bewegungen,
- umfangreiche Logiksteuerungsaufgaben,
- viele I/Os,
- anspruchsvolle Visualisierung.
Komplexe, synchronisierte oder koordinierte Bewegungen erfordern wegen des hohen Rechenaufwands und der zentralen Datenhaltung eine zentrale Motion-Steuerung. Traditionell wurde dafür eine dedizierte, proprietäre Hardware verwendet, die mit den damit verbundenen Nachteilen behaftet war: hoher Preis, spezielle Tools, fehlende Offenheit. Seit moderne und industrietaugliche PC-basierte Controller, wie der Controller 3200 C von Lenze, verfügbar sind, gibt es Alternativen, die nicht nur technisch und preislich attraktiv sind, sondern auch auf Standards, wie Ethernet, Windows und SD-Karten, setzen.
Diese Hardware-Plattformen bieten eine so hohe Rechenleistung, dass sie komplexe Bewegungen zentral berechnen und zusätzlich die SPS-Funktionalität mit abdecken. In vielen Fällen reichen die Kapazitäten noch für die Visualisierungsanwendungen aus. Hier bietet es sich an, auf einen Panel-Controller wie den p500 von Lenze als kombiniertes Motion-, SPS- und Visualisierungsgerät zu setzen. Die Kosten für die zentrale Steuerung relativieren sich so. Die zentrale Bewegungsführung hat zudem den Vorteil, dass statt der intelligenten Servo-Antriebe vergleichsweise günstigere Geräte wie der Servo-Inverter i700 von Lenze verwendet werden können - bei vielen Achsen ein Vorteil, der mit jeder weiteren Achse an Momentum gewinnt.
Ein kritischer Punkt bei der zentralen Architektur war über Jahre die Busverbindung zwischen zentraler Motion-Steuerung und den Antrieben. Bei vielen synchronisierten Achsen waren die Bandbreite und die Zykluszeit klassischer Feldbusse schlicht nicht ausreichend für umfangreichere Installationen, schnelle Regelungen und eine enge Achskopplung. Mit der Verfügbarkeit von High-Speed-Echtzeitbussen wie Ethercat ist dieses Nadelöhr beseitigt.
Randbedingungen berücksichtigen
Neben den schnell einschätzbaren Faktoren, wie Komponentenkosten, erreichbare Zykluszeiten und Bandbreiten sollte bei der Entscheidung für eine Drive-based oder Controller-based Automation auch berücksichtigt werden, welche Folgen die Wahl für das Engineering, die Inbetriebnahme und Instandhaltung sowie die Erweiterung der Maschine hat. Ein Vorteil der zentralen Architektur ist, dass die gesamte Software in einem Gerät gebündelt und damit zentral gewartet und verwaltet wird. Die bei einer dezentral automatisierten Maschine mit autarken Modulen aufwändige Partitionierung der Software entfällt. Jede Erweiterung der Maschine bringt es zudem unweigerlich mit sich, dass auch die zentrale Software angefasst werden muss. Anders bei der dezentralen Variante: Es muss nur die Software des Moduls modifiziert werden, das verändert wird. Zudem können die autarken Maschinenmodule separat in Betrieb genommen und getestet werden.
Bei einer zentralen Architektur ist es dagegen möglich - wenn, wie bei Lenze, alle Komponenten aufeinander abgestimmt sind -, die Parameter und Daten der Feldgeräte in einer zentralen Datenbank abzulegen und von dort, zum Beispiel im Rahmen der Inbetriebnahme oder nach einem Gerätetausch eines Antriebsreglers oder I/O-Moduls, aufzuspielen.
Zusammenspiel beider Architekturen
In Abwägung der geschilderten Vor- und Nachteile werden die beiden Architekturen in immer mehr Maschinen miteinander verbunden. Wie so etwas aussehen kann, sei am Beispiel Easy Machine gezeigt, einem Messe-Objekt von Lenze. Die Maschine besteht im Wesentlichen aus zwei Modulen: Ein dezentral automatisiertes Modul (Drive-based Automation) fördert ein Band, das in der Praxis Verpackungsfolie sein könnte, zur zweiten Einheit, die den Verpackungsprozess repräsentiert. Diese Einheit arbeitet mit einer zentralen Steuerung (Controller-based Automation). Dort durchläuft eine Kugel, stellvertretend für das zu verpackende Produkt, diverse Verpackungsschritte. Abschließend legt ein Portal die Kugel in ein Magazin ab.
In der Drive-based Materialzuführeinheit übernehmen Servo-Antriebe vom Typ Servo Drives 9400 die Bewegungsführung. Die Koordinierung der Betriebsarten übernimmt ein Bedienpanel EL 2800, das dazu mit einer Soft-SPS PLC V2.3 ausgestattet wurde. Auf dem Gerät läuft auch eine mit VisiWinNet Smart erstellte Visualisierungsanwendung, die auf Daten der PLC zugreift. Über CAN sind eine I/O-Station sowie fünf Servo Drives 9400 angeschlossen, wovon einer als drehzahlgesteuerter Antrieb eine Wicklerfunktion simuliert. Die vier verbleibenden Antriebe sind als Positionsantriebe eingerichtet. Wird eine Lichtschranke unterbrochen, reduzieren die Antriebe die Bahn- und Positioniergeschwindigkeit auf ein sicheres Niveau (SLS). Zusätzlich wertet die integrierte Sicherheitstechnik die Notaus-Schalter der Maschine aus und schaltet die Motoren im Notfall sicher ab (STO).
Für die zentrale Bewegungsführung der Verpackungseinheit haben die Lenze-Ingenieure den Controller 3231 C mit direkt angereihten I/O-Modulen in Verbindung mit einer Soft-Motion/PLC gewählt. Ein 12-Zoll-Monitor-Panel MP 2000 ist als HMI für den Verpackungsteil der Easy Machine via DVI mit dem Controller verbunden. Die mit WinNet Smart erstellte Visualisierungsanwendung wird ebenfalls vom Controller ausgeführt. Über die integrierte Ethercat-Schnittstelle des Controller 3231 C sind vier Doppelachsumrichter der Familie Servo-Inverter i700 angeschlossen.