Automatisierte Verformungsfeststellung bei Brücken
Long-Range-Distanzsensoren vermessen Verformungen von Brückenpfeilern aus Stahlbeton
Fährt man auf der Bundesstraße 50 von Mainz kommend westwärts nach Zeltingen-Rachtig wird klar, wo das Verkehrsprojekt „Hochmoselübergang“ seine planerischen Wurzeln hat. Sowohl die steilen Berg-und-Talstrecken als auch die engen Straßenführungen, wo sich die Mosel zwischen Eifel und Hunsrück in vielen Schleifen windet, erfordern von PKW- und LKW-Fahrern ein hohes Maß an Konzentration. Das „Kraftstraßenprojekt B50 neu“ soll hier Abhilfe schaffen und eine Lücke im Fernstraßennetz schließen. Denn die Fertigstellung der 25 Kilometer langen Strecke wird die belgisch/niederländischen Nordseehäfen und die belgischen Ballungsräume mit dem Rhein-Main-Gebiet verbinden. Bei Zeltingen-Rachtig wird die neue B50 dann über die 1,7 Kilometer lange und knapp 160 Metern hohe Hochmoselbrücke führen. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 2011, in diesem Jahr sollen sie abgeschlossen sein.
Digitaler Industriestandard 4.0 auch in der Bauplanung
Mit dem Bau beauftragt ist eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus den Unternehmen SEH Engineering (früher Krupp Stahlbau Hannover und Eiffel Deutschland Stahltechnologie) und Porr Deutschland. Bauherrin ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Landesbetrieb Mobilität Rheinland Pfalz (LBM). Unterstützend für die Baudokumentation ist seit 2013 die Fachrichtung Bauingenieurwesen der Hochschule Trier mit einem Praxisprojekt vor Ort. Das studentische Team um Henning Lungershausen und Michél Bender beobachtet und vermisst mit den Long-Range-Distanzsensoren DML40 und DL1000 von Sick die Verformungen der Brückenpfeiler aus Stahlbeton während der Verschubphasen des Stahlhohlkastenüberbaus.
Das eingesetzte System zur Verformungsmessung ist eine neue Entwicklung des Instituts für standardsoftware-basierte Anwendungen im Bauingenieurwesen (ISA) der Hochschule Trier. Die Kombination von Lichtlaufzeitmessung, Feinmechanik, intelligenter Steuerung und Datenverarbeitung in Echtzeit erlaubt eine automatisierte Verformungsfeststellung. Das System ist in der Lage, sowohl manuell als auch vollkommen automatisiert sein Messziel zu finden und Messungen mit maximal 1 Hertz durchzuführen. In Echtzeit kann ein Minicomputer Temperatur, Datum, Messwert und resultierende Verformung in einer Datenbank festhalten und jederzeit visualisieren.
Diesem System misst Lungershausen eine wichtige Rolle in der Zukunft der eher konservativen Baubranche bei: „Der digitale Industriestandard 4.0 findet zunehmend auch in der Bauplanung seine Anwendung. So wie vor 30 Jahren der Sprung vom Zeichenbrett zum CAD-Arbeitsplatz für viele einen Paradigmenwechsel darstellte, steht nun den Planern ein wahrscheinlich weitaus größerer Sprung bevor.“
Neues dezentrales Taktschiebeverfahren entwickelt
Beim Verschub der Balkenbrücke arbeitet man am Hochmoselübergang mit einer Neuentwicklung. Grundsätzlich wird im sogenannten Taktschiebeverfahren verschoben. Dabei montiert ein Team von Brückenbau-Fachkräften den Stahlhohlkasten, auf dem die spätere Fahrbahn verläuft, Stück für Stück aus riesigen, vorgefertigten Einzelteilen hinter dem Widerlager auf der Hunsrückseite. Sobald mehrere Teilstücke, die sogenannten Schüsse, einer bestimmten Länge fertig sind, werden sie mit Hilfe von hydraulischen Pressen über die Pfeiler geschoben. Danach werden wieder neue Schüsse angebaut. Dieser Vorgang wiederholt sich 13-mal, bis die Brücke auf der Eifelseite angekommen ist.
Um die Problematik der großen horizontalen Lasteinleitung an den Pfeilerköpfen zu umgehen, entwickelte das Unternehmen Eiffel Deutschland Stahltechnologie unter dem patentierten Namen BVS 2011 ein dezentrales Taktschiebeverfahren. Dabei werden die benötigten Kräfte zum Verschub der Brücke an jedem Auflagerpunkt über stationäre Hydraulikpressen anteilig eingeleitet. Folglich heben sich die einwirkenden Kräfte aus Verschub und Reibung theoretisch auf. Um die Reibungskräfte möglichst gering zu halten, sind die Gleitlager der Verschubbalken-Konstruktionen mit Gleitfolien aus Teflonplatten bestückt. Eine Verformung der Brückenpfeiler ist somit im Idealfall eigentlich auszuschließen.
Für große Reichweiten perfekt
„Die Long-Range-Distanzsensoren von Sick sind auf sehr große Reichweiten ausgelegt. Das Pulslaufzeitverfahren ermöglicht Messbereiche von bis zu 1.500 Metern auf einen Reflektor. Für unsere Aufgabenstellung war dieses Gerät deshalb ideal“, erläutert Bender. Die Abstandssensoren verfügen über eine einstellbare Auflösung zwischen 0.001 und 100 mm und entsprechen der Laser-IR-Klasse 1. Dabei wird je nach Messdistanz eine Genauigkeit bis zu -10 mm bei Einzelmessungen und 6 mm bei Wiederholungsmessungen erreicht.
Zusammen mit dem weiteren Equipment des Messsystems sind die Sensoren in einer Halle am Widerlager auf der Hunsrückseite installiert. Das Hochschul-Team visiert mit den Lasern die Reflektoren (Folien oder Glastripel) an, die an den jeweiligen Pfeilern knapp unterhalb der Verschubeinheit angebracht sind. Vor dem eigentlichen Messvorgang muss der Referenzwert bestimmt werden. Um die Nullstellung des Messsystems zu ermitteln, wird jeder Pfeiler über einen längeren Zeitraum und (im Idealfall) bei wechselnden Temperaturverhältnissen erfasst. Ob der Verschub im kalten Winter oder im heißen Sommer stattfindet, ist dabei für die Sensoren unerheblich, denn ihr Metallgehäuse erlaubt Temperaturschwankung von -10 °C bis +55 °C.
Zunächst wird die Verschubeinheit in Position gebracht und die Hydraulikpresse auf Kontakt gefahren. Sind alle Einheiten bereit, starten die Mitarbeiter auf das Kommando von Bauleiter Michael Arz synchron die Verschubpressen und der Überbau setzt sich in Bewegung. Über Funk wird zum Messteam Kontakt gehalten, die Studierenden am Messaufbau kontrollieren in Echtzeit die Messwerte. Treten Abweichungen auf, wird Bauleiter Arz sofort informiert.
Messergebnisse bestätigen Theoriedes Kräftegleichgewichts
Bei ersten Auswertungen der Messergebnisse der Sensoren DML40 und DL1000 bestätigten sich bereits die Berechnungen der Bauingenieure, dass sich die einwirkenden Kräfte bei diesem, an der Hochmoselbrücke praktizierten, dezentralen Verschubverfahren während eines Verschubvorgangs nahezu aufheben. Die maximale Krafteinwirkung auf den Pfeiler herrscht, bedingt durch die Asynchronität des Systems, jeweils beim Start oder Ende eines Verschublagers auf das System. Das System pendelt sich kurz nach dem Start eines Verschubvorgangs bis auf minimale Abweichungsgrade ein.
Während eines Verschubs, der mehrere Tage dauert, herrscht an der Hochmoselbrücke bei allen Beteiligten absolute Konzentration und Hochspannung. Denn das Verfahren läuft nicht automatisiert, große Erfahrung und umfassendes Know-how aller Mitarbeiter bestimmen die Arbeitsweise auf der Baustelle. Kontinuierliches Monitoring und die Überwachung der Abläufe durch intelligente Messtechnik sind daher hoch willkommen und stellen einen reibungslosen Bauablauf sicher. Professor Bender zieht für das Projekt ein durchweg positives Fazit: „Durch die guten Zusammenarbeit mit Sick und unserem Auftraggeber SEH Engineering konnten wir ein innovatives Messsystem entwickeln, das sich zurzeit bei der Hochmoselbrücke bewährt und auch für künftige Bauprojekte großes Einsatzpotential zeigt. Gleichzeitig leistet das interdisziplinäre Projekt einen wertvollen Beitrag zur praxisnahen Ausbildung unserer Studierenden“.