Reifenakustik auf dem Prüfstand
09.12.2019 -
Reifen sind das Bindeglied zwischen Fahrzeug und Straße. Für optimale Sicherheit und Komfort ist es wichtig, ihr Schwingungsverhalten zu kennen und zu optimieren. Zunehmend an Bedeutung gewinnt heute in diesem Zusammenhang die Optimierung der Reifenakustik. Das Reifen-Fahrbahn-Geräusch ist im niedrigen Geschwindigkeitsbereich mittlerweile eine der Hauptkomponenten des Außengeräusches von Kraftfahrzeugen, da nicht nur die Antriebe von Elektrofahrzeugen, sondern auch moderne Verbrennungsmotoren immer leiser arbeiten. Eine EU-Verordnung regelt deshalb den maximalen Geräuschpegel für Reifen; der tatsächliche Wert wird ebenso wie die Effizienzklasse auf dem Reifenlabel angegeben. Da sich die dynamischen Eigenschaften eines rotierenden Reifens nur mit einer optischen Schwingungsanalyse zuverlässig ermitteln lassen, sind 3-D-Scanning-Vibrometer bei der Entwicklung akustisch optimierter Reifenmodelle ein unverzichtbares Testinstrument.
Hohe Effizienz und möglichst leiser Lauf sind bei Reifen zunächst einmal widersprüchliche Optimierungsparameter: Ein „weicher“ Reifen ist leise, hat aber einen hohen Rollwiderstand und ist damit nicht effizient. Ein „harter“ Reifen bietet gute Leichtlaufeigenschaften, ist aber auch deutlich lauter. Um Energie zu sparen, sind z.B. Elektroautos daher heute eher mit härteren Reifen unterwegs. Den Reifenherstellern und den OEMs macht die prinzipielle Widersprüchlichkeit der Parameter die Entwicklung neuer Reifenmodelle nicht einfach. Es ist keineswegs trivial, leise und gleichzeitig effiziente Reifen zu entwickeln.
Erfassen dreidimensionaler Schwingungen
Bei der Optimierung der Reifenakustik unterstützen Simulationen die Entwickler: sie erlauben es, wichtige Produkteigenschaften präzise zu gestalten und vorherzusagen. Sie können allerdings nicht alle Parameter gleichzeitig berücksichtigen und sind sehr komplex, weil Reifen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Materialien bestehen und ihr Schwingverhalten frequenzabhängig und nichtlinear ist. Die Simulationsmodelle müssen deshalb anhand real gemessener Werte überprüft werden, um sie zu verifizieren und weiter zu verbessern. Die Analyse eines Prototyps ist also unverzichtbar und der Prüfstein in der Entwicklung jedes neuen Reifenmodells. Der Reifen muss unter Betriebsbedingungen auf dem Rollenprüfstand getestet werden.
Dazu ist ein System erforderlich, das dreidimensionale Schwingungen erfassen kann, denn beim Abrollen des Reifens auf der Fahrbahn wird der Reifen durch die Rauigkeit seines Laufflächenprofils zu radialen und tangentialen Schwingungen angeregt. Dabei wird der Schall vorwiegend auf der Lauffläche in unmittelbarer Nähe der Auflagefläche abgestrahlt. Zwischen Reifen und Straßenoberfläche entsteht ein Schalltrichter (Horneffekt). Hier liegt die hauptsächliche Geräuschquelle. Für Messungen in diesem Bereich des drehenden Reifens ist jedoch die klassische Modalanalyse mit geklebten Sensoren nicht praktikabel. Entsprechende Schwingungsaufnehmer lassen sich nur an der Seitenwand des Reifens oder in seinem Inneren befestigen, nicht aber an der Lauffläche. Auch akustische Messungen mit Mikrofonen liefern nur Ergebnisse über die Abstrahlung, aber sie lassen keine Rückschlüsse darauf zu, wo und durch welche dynamischen Vorgänge der Schall entsteht.
Die 3-D-Laser-Doppler-Vibrometer
Für den Reifenprüfstand gibt es daher keine ernst zu nehmende Alternative zu 3-D-Laservibrometern. Sie arbeiten berührungslos und mithilfe der Lasermesstechnik können die Schwingungen bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Reifens mit hoher Auflösung an vielen Messpunkten präzise erfasst werden. Die gewonnen Daten werden dann mit der Simulation verglichen und das Modell kann entsprechend angepasst werden. Ohne die Messungen würde die Entwicklung zum Trial-and-Error Verfahren. Da der Bau jedes Prototyps eine neue Werkzeugform erfordert, sind eingesparte Entwicklungsschritte wirtschaftlich sehr wichtig.
Das optische Messverfahren, das die Analyse der Reifenschwingen ermöglicht, basiert auf der Laser-Doppler-Vibrometrie. Bei dieser werden aus dem von einer schwingenden Struktur zurück gestreuten Laserlicht die Schwingfrequenz und die -amplitude bestimmt. Bei einem Scanning-Vibrometer ist das Laser-Doppler-Vibrometer nun mit einer Scanner-Spiegel-Einheit und einer Videokamera in einem gemeinsamen Messkopf integriert. Während der Messung scannt der Laserstrahl die Lauffläche des Reifens und liefert so eine räumlich hoch aufgelöste Reihe von Einzelpunktmessungen. Diese sequenziell gemessenen Schwingungsdaten werden zu einem gemeinsamen flächenhaften Datenmodell zusammengesetzt und lassen sich dann entsprechend auswerten.
Dabei definiert die optische Empfindlichkeit die Leistungsfähigkeit eines Scanning-Vibrometers. Sie bestimmt, auf welchen Oberflächen gemessen werden kann, und ist verantwortlich für den Signal-Rauschpegel, den Messabstand und damit auch für die Größe der scanbaren Fläche. Das beim Reifenprüfstand eingesetzte 3-D-Scanningvibrometer PSV-500-3D Xtra kann hier in besonderer Weise punkten: Die Grundlage für seine hohe optische Empfindlichkeit liefert ein leistungsstarker, dabei aber nach wie vor augensicherer Infrarotlaser (Lasersicherheit Klasse 2). Durch seinen Einsatz erhöht sich die Menge des von der Oberfläche reflektierten Lichts, das dadurch sehr störsicher gegen Signalrauschen ist. Das Signal-Rausch-Verhältnis verbessert sich im Vergleich zu anderen Scanning-Vibrometern um das Achtfache. Resonanzfrequenzen werden im Spektrum sehr deutlich sichtbar und modale Parameter sicher bestimmbar.
Das Resultat ist eine präzise Datenanalyse und FE-Modellvalidierung der Reifen. Hinzu kommt, dass durch das bessere Signal-Rauschverhältnis die Anzahl der notwendigen Mittelungen deutlich sinkt. Da das Scanning-Vibrometer Schwinggeschwindigkeiten von 30 m/s verarbeitet, kann erstmals das Schwingverhalten der gesamten Reifenlauffläche bei Geschwindigkeiten bis 120 km/h gemessen werden.