Bildverarbeitung

Bildverarbeitungs-PC versus Smart Cameras

Wer hat die Nase vorn?

21.05.2015 -

Sind Smart Cameras das neue Maß der Dinge in der industriellen Bildverarbeitung? In welchen Bereichen kann auf keinen Fall auf Bildverarbeitungs-PCs verzichtet werden? Welche konkreten Anforderungen hat der Markt? Kommt es zu Verdrängungen oder haben möglicherweise manche Systeme ihre besten Zeiten schon hinter sich?


Leistungssteigerung, hohe Innovationsbereitschaft sowie neue technische Errungenschaften im der Bereich der industriellen Bildverarbeitung erweitern stetig das Feld für mögliche Anwendungen. Belege hierfür sind die stark wachsende Nachfrage und starke Bewegungen im Markt. Klassische Bildverarbeitungslösungen setzen seit jeher auf das Zusammenspiel von PC und Kamera, oftmals mit zusätzlichem Frame Grabber. Ende der neunziger Jahre begann dann die Zeit der Smart Kameras, welche PC, Frame Grabber und Kamera in einem Produkt vereinen. Viele prophezeiten damit den Anfang vom Ende der klassischen Lösungen und sahen einen neuen Trend. Doch auch 15 Jahre danach sind beide Lösungen auf dem Markt vertreten. Bleibt also alles beim Alten oder setzt noch eine Verdrängung ein? In den meisten Anwendungsfällen sind die Anforderungen der jeweiligen Applikation entscheidend und somit haben beide Ansätze ihre Berechtigung. Abbildung 1 zeigt die Lösungsansätze und ihre Abgrenzung anhand verschiedener Merkmale, sowie die Ansätze, die sich am Markt etabliert haben und wohin die Reise gehen wird.

Lösungsansatz Bildverarbeitungs-PC
Kombinationen aus Kameras, Schnittstellen bzw. Frame Grabber und speziellen, für den Bedarf der Bildverarbeitung optimierten Industrie-PCs sind die erste Lösung in dieser Betrachtung. Solche Systeme bieten hohe Rechen-Performance und Zuverlässigkeit. Das Leistungsspektrum beginnt bei kostengünstigen Atom-Prozessoren und endet bei Dual-Socket Xeons mit je 18 Kernen, zusätzlich erweiterbar um Grafikkarten, in denen Hunderte von weiteren Kernen parallel rechnen. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die problemlose Erweiterbarkeit: Mehrere Frame Grabber-Karten, Mess- und Regelkarten, sowie Ausgabeeinheiten zur Kontrolle können flexibel integriert werden. Die großen Datenmengen der Bildverarbeitung können problemlos auf lokalen Festplatten und SSDs abgespeichert werden.
Durch ihre extrem hohe Flexibilität empfehlen sich PC-basierte Lösungen auch als Entwicklungsplattform bei veränderlichen Kundenanforderungen und stark unterschiedlichen Entwicklungszielen mehrerer Projekte.

Lösungsansatz Smart Camera/Vision Sensor
Smart Cameras und Vision Sensoren sind kleine, leistungsstarke und stromsparende All-in-one Systeme mit Embedded-Prozessoren. Sie benötigen im Gegensatz zu klassischen Kamera-Frame-Grabber-IPC-Lösungen keine Kühlung, kommen aber bei Weitem nicht an die Leistung von IPC-Mehrkernprozessoren heran. Während Vision Sensoren speziell für eine Aufgabe konzipiert sind und maximal die Anpassung einzelner Parameter in einem vorgegebenen Programm erlauben, sind Smart Cameras offene programmierbare Systeme, die einem Systemintegrator fast alles ermöglichen. Die Offenheit der Systeme ist aber auch gleichzeitig deren Nachteil und oft mit einem höheren Einarbeitungs- und Programmieraufwand verbunden. Lösungsansätze, die eine grafische Programmierung nutzen, sind vergleichsweise schnell zu erstellen, doch kann der Overhead des grafischen Programmieransatzes die Rechengeschwindigkeit mindern.
Stand-alone Lösungen, bei denen die Infrastruktur so einfach wie möglich gehalten werden soll, sind für Smart Cameras besonders interessant. Im Idealfall benötigt eine Smart Kamera durch PoE nur ein Kabel für die Spannungsversorgung und Kommunikation, sowie optional ein Kabel für die I/O-Steuerung einer Lichtschranke oder eines Auswerfers. Dadurch lassen sich viele Produktionsstraßen mit weiteren Kontrollmechanismen wie OCR-Erkennung, Barcode-, Data Matrix- oder QR-Code-Teileerkennung und einfache Teileprüfung erweitern.


Lösungsansätze unter verschiedenen Aspekten 

Das Design
Der Aufbau eines Bildverarbeitungs-PCs und der einer Kamera unterscheiden sich grundlegend. Auf der einen Seite handelt es sich bei der Smart Camera um ein integriertes System mit einer vorgebebenen Hardware-Konfiguration. Der Vorteil liegt hierbei im Zusammenspiel der aufeinander abgestimmten Komponenten. Es ermöglicht zumeist in eine kompakte Baugröße, geringe Leistungsaufnahme und einfache Integration. Jedoch weisen Smart Cameras eine durch die Hardware gegebene obere Leistungs- und Funktionsgrenze auf. Steht mehr Rechenleistung oder mehr Flexibilität bei der Zusammensetzung der Komponenten im Fokus, spielen die IPCs ihre Stärke aus und bieten einen umfangreichen Baukasten: Es kann Zwischen unterschiedlichen I/O-Einsteckkarten, Frame Grabbern, GPUs, internen USVs, RAID-Datenspeichern, Netzteilen, etc. gewählt werden und später auch noch nachgerüstet werden. Redundante Komponenten für einen ausfallsicheren Betrieb sind ebenfalls möglich.

Mehrkameraanwendungen
Nicht nur in der Überwachung sind Mehrkameralösungen ein Thema, auch in der Robotik oder in der Qualitätsprüfung werden viele Kameras eingesetzt, um Objekte in einem großen Raum oder von mehreren Seiten zu erfassen. Klassisch werden hier digitale Kameras in Verbindung mit IPCs eingesetzt. Die Camcube IPCs von Pyramid sind für einen solchen Mehrkamera-Einsatz ideal geeignet und können passend zur Applikation mit der jeweils erforderlichen Anzahl von Schnittstellen ausgestattet werden. So arbeiten zahlreiche Mehrkameraapplikationen mit mvBlueFOX3 USB 3.0 Kameras von Matrix Vision erfolgreich in Verbindung mit „CamCube"-Systemen.
Technisch ist es auch möglich, Smart Cameras als verteilte Intelligenz einzusetzen. Doch je nach Skalierung, können die steigenden Kosten einer solchen Lösung zu einem Ausschlusskriterium werden. Eine kostengünstigere IPC-Lösung wäre dann vorzuziehen. Aber auch hier gilt, dass es auf die jeweilige Anwendung ankommt, welche Lösung letztendlich sinnvoll ist.

Systemgeschwindigkeit
Bei Smart Cameras ist der Bildsensor direkt an den Prozessor angebunden. Durch den kurzen Übertragungsweg werden die Bildinformationen mit der größtmöglicher Geschwindigkeit übermittelt. Bei einfachen Auswertungen reicht die geringe Rechenleistung des Prozessors aus, um das Bild auszuwerten und über die digitalen Ausgänge das Ergebnis zeitnah anzuzeigen. Bei einem Aufbau mit Bildverarbeitungs-PC ist oftmals die Datenübertragung von der Kamera zum PC der geschwindigkeitsbestimmenden Faktor. Für schnelle Übertragungen stehen eine Reihe von geeigneten Schnittstellen zur Verfügung: Von Dual-GigE (200 MB/s) über USB 3.0 (netto 450 MB/s) und Camera Link (bis zu 680 MB/s bei 8 Taps) bis CoaXPress (625 MB/s, im Parallelbetrieb 4x). Der PC spielt bei der Verarbeitung der Bilddaten seine Stärken aus, da seine Rechenleistung an die Auswertung und die gewünschte Zykluszeit angepasst werden kann. Allerdings kommt die hohe Rechenleistung nur dann voll zum Tragen, wenn die Algorithmen und Bildverarbeitungsbibliotheken ein paralleles Rechnen entsprechend unterstützen.
Nicht jede Anwendung benötigt sofort ein komplettes Prüfergebnis, um Auswerfer oder Fehlermarkierungssysteme zu steuern. In der Oberflächeninspektion von Bahnwaren beispielsweise reicht häufig das Erkennen eines Fehlers aus. Die Fehlerklassifikation kann zeitlich nachgeschaltet erfolgen. Sofern das Bildverarbeitungssystem einen genauen Zeitstempel erstellt oder sich die Position eines Inkrementalgebers merken kann, lässt sich die Fehlerposition rekonstruieren. Der Sensor, seine Triggerung und gegebenenfalls die Vorverarbeitung sind echtzeitfähig.


Ein weiterer Trend in der Bildverarbeitung sind 3D-Anwendungen. 3D-Kameras erzeugen umfangreiche Datenmengen, die erfasst und verarbeitet werden müssen. Der Betrieb der 3D-Kamera darf aber das Host-System nicht zu sehr belasten, damit die eigentliche Bildverarbeitung noch ausgeführt werden kann. IPCs bieten die hierzu benötigte Rechenleistung und die passenden Komponenten. Wie dann das perfekte Zusammenspiel zwischen IPC und 3D-Kamera aussehen muss, zeigt die neue 3D-Wahrnehmungskamera von Matrix Vision in Verbindung mit dem IPC „Camcube": Durch die Auslagerung der 3D-Aufnahme in die GPU einer separaten Grafikkarte steht der Bildverarbeitung bis zu 95% der CPU-Leistung zur Verfügung.
Smart Cameras mit 2,5D- und 3D-Informationen sind lediglich mit speziellen Verfahren wie Laser-Triangulation sowie Time-Of-Flight verfügbar. Deutlich höher auflösende smarte 3D Stereo-Kameras werden aufgrund des hohen Rechenbedarfs wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen, bevor sie auf dem Markt verfügbar werden.

Applikationsabhängige Kosten
Passt die Smart Camera zur Anwendung und handelt es sich hierbei um eine Stand-Alone-Lösung, beziehungsweise um eine Lösung mit wenigen Kameras, hat die Smart Camera bei den Anschaffungskosten die Nase vorn. Bei Mehrkameralösungen ist ab einer bestimmten Anzahl von Kameras der IPC sinnvoller, da der Anschaffungspreis des IPCs durch die günstigen digitalen Kameras schnell egalisiert wird. Im laufenden Betrieb bleibt die Smart Kamera im Dauerbetrieb bei einem Verbrauch von unter 5 W.
Smart Cameras eignen sich insbesondere für einfache und standardisierte Prüfungen wie das Lesen von Labels und Codes. Auch die Vollständigkeitsprüfung von montierten Teilen und deren Ausrichtung auf Förderbändern oder an Rütteltöpfen sind eine starke Domäne dieser Kameratyps.
Bildverarbeitungs-PCs kommen stets in Verbindung mit hochauflösenden Kameras (>5 MPix) zum Einsatz, die zur Oberflächeninspektion und bei der Erfassung großer Bildfelder erforderlich sind. Auch wenn es um maximalen Durchsatz geht, wie etwa in der Logistik und bei Massenprodukten, sind sie die erste Wahl. Selbst bei umfangreichen Inspektionen, in denen viele hundert Parameter erfasst und geprüft werden, wie es z.B. bei Solarzellen üblich ist, schränkt der Inspektionsprozess die Taktraten der PC-basierten Maschinen nicht ein.

Ausblick IPC
Bei den IPCs gibt es aktuell zwei Trends zu verzeichnen. Zum einen lassen sich durch kleinere Bauweisen in Verbindung mit passenden Prozessoren lüfterlose Embedded Boxen mit den aktuellen Kameraschnittstellen GigE, PoE und USB 3.0 realisieren. Zum anderen werden IPCs kontinuierlich mit den modernsten und leistungsstärksten Hardware-Technologien ausgestattet, um die für hochauflösende 2D-Kamerachips und 3D-Kameras benötigte Rechenleistung bereitzustellen. Wurde jahrelang der Bedarf an Rechenleistung durch eine wachsende Anzahl von Kernen gedeckt, kommen in aktuellen Entwicklungen vermehrt Dual-Socket und GPU-Lösungen zum Einsatz.
Auf der Komponentenebene sind besonders folgende Neuheiten spannend und erwähnenswert: Neue DDR4 Arbeitsspeicher mit bis zu 2133 MHz erhöhen das Tempo im Vergleich zu DDR3-Speichern um ein Drittel und zeichnen sich durch höhere Zuverlässigkeit und reduzierten Strombedarf aus (20% weniger als DDR3). Bei den Festplatten werden herkömmliche HDDs zunehmend durch SSDs abgelöst, die auf bewegliche Komponenten verzichten. SSDs sind leiser, verbrauchen weniger Strom als HDDs und erzeugen damit weniger Abwärme. Durch den Entfall mechanischer Komponenten sind sie deutlich zuverlässiger als die HDDs, gerade auch bei Vibrationen. Als PCI-Express Varianten reichen sie bis an 3 GByte/s heran . Auch hinsichtlich der Schnittstellen-Technologien kann der IPC aktuelle Entwicklungen abdecken. Egal ob mit USB 3.1 oder Thunderbolt, IPCs können nachträglich durch Einbaukarten erweitert werden. Last, but not least geht auch bei den Prozessoren die Entwicklung weiter. Multi-Core und höhere Datentransferraten (PCI Express 3.0 mit bis zu 15,3 GByte/s) sind hier die Stichwörter, sowie High-End-Prozessoren der sechsten Generation mit Skylake-Architektur sind bereits für das zweite Halbjahr 2015 angekündigt.

Ausblick Smart Camera
Auch bei den Smart Cameras werden kontinuierlich mehr Leistung und mehr Schnittstellen integriert, bei gleichzeitig abnehmender Baugröße. Lange Zeit wurde die Hardware mit einem eigenem, teilweise sogar proprietärem Betriebssystem angeboten. Heute dominieren Pakete aus Hardware und Softwarebibliotheken den Markt, um den Zeitaufwand für die Implementierung zu reduzieren und den Nutzerkreis über die Programmierer hinaus zu erweitern. Matrix Vision verfolgt hier ein neues Konzept: Bei der neuen Smart Camera steht die Software im Mittelpunkt und passend dazu wurde die Hardware entwickelt. Die intuitiv bedienbare Software übernimmt die Kommunikation mit der Hardware, sodass ein direkter Zugriff auf das Linux-Betriebssystem nicht mehr nötig ist. Des weiteren analysiert sie das aufgenommene Bild und zeigt, welche Elemente erkannt wurden. Durch diese Hilfestellung mittels Teach-In Wizards kann der Anwender den Lösungsweg seiner Bildverarbeitungsaufgabe schnell zusammenstellen oder die Optik und Beleuchtung anpassen, bis schließlich die für die Aufgabenstellung wichtigen Elemente erkannt werden. Trotz dieser komfortablen Bedienung ist die Software kein geschlossenes System, sondern kann im Gegensatz zu konfigurierbaren Lösungen mit eigenen Funktionen erweitert werden.


Fazit
Sowohl die Hersteller von IPCs als auch die Kamerahersteller sind innovationsfreudig und bestens gerüstet für die Zukunft. Und auch Kombinationen von Kameras mit einer Vorverarbeitung und einem Bildverarbeitungs-PC dürften zukünftig interessant werden. Mit solchen Lösungen können relevante Objekte von der Kamera grob lokalisiert und selektiv der betreffende Bildausschnitt zur detaillierten Auswertung an den PC weitergeleitet werden.
Da in der industriellen Bildverarbeitung die spannenden und vielfältigen Aufgaben nie ausgehen, werden auch in Zukunft beide Lösungen koexistieren. Denn jede neue Anwendung stellt eine Herausforderung dar, deren individuelle Anforderungen es zu analysieren und zu bewerten gilt. Ob dann der Einsatz eines IPCs, einer Smart Camera oder einer intelligenten Kombination aus beiden Systemen sinnvoller erscheint, zeigt dann das Ergebnis dieser Analyse und Bewertung. 

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