Exakter Blick auf und in das Bauteil
Computertomografie erweitert die Möglichkeiten der 3D-Messtechnik
Auch in der Möbelindustrie sind die Qualitätsanforderungen erheblich gestiegen, weshalb einer der weltweit bedeutendsten Zulieferer der Branche, das Unternehmen Hettich, für die Erstmusterprüfung und die Werkzeugkorrektur modernste Computertomografie einsetzt.
Hettich liefert Beschläge, Auszugsführungen, Scharniere, Schubkästen und vieles mehr, was in Möbeln und „Weißer Ware" eingebaut ist. Ob einfache Systeme oder Highend-Elemente - das vielfältige Produktspektrum unterliegt hohen Qualitätsanforderungen. Diese werden unter anderem durch das Kompetenzcenter Messtechnik unterstützt, das am Stammsitz des weltweit tätigen Familienunternehmens in der Gemeinde Kirchlengern, Region Ostwestfalen-Lippe, angesiedelt ist. Thomas Wäschebach, Leiter dieser Abteilung, weist auf einen wichtigen Grund für die geforderte Qualität hin: „Die Komfortansprüche an Möbel sind enorm gestiegen. Man sieht das an der zunehmenden Elektrifizierung von Möbelstücken, an geforderter Leichtbauweise bei gleichzeitig hoher Belastbarkeit und Geräuschminimierung bei der Bedienung. Diese Eigenschaften können nur gewährleistet werden, wenn jedes Bauteil exakt den Vorgaben entspricht."
Um das sicherzustellen, setzt Hettich auf hochqualifizierte Mitarbeiter und hochwertiges Messequipment. Seit 2011 ist dort auch ein Werth Koordinatenmessgerät mit Röntgentomografie vom Typ Tomoscope HV Compact im Einsatz. „Mit dem Tomoscope HV Compact haben wir unsere moderne Messgeräte-Flotte erweitert und auf den neuesten Stand gebracht", erklärt Thomas Wäschebach. „Die Computertomografie erweitert unsere 3D Messmöglichkeiten und beschleunigt zahlreiche Messaufgaben. Denn mit diesem System lassen sich Prüflinge in einem Messvorgang komplett digitalisieren - mit einer Auflösung im µm-Bereich. Das Verfahren ist schnell, unkompliziert und liefert deutlich mehr Informationen über das gesamte Bauteil inklusive Innenleben als herkömmliche optische und taktile Messgeräte, was der Prozess- und Bauteilqualität sowie im Endeffekt unseren Kunden zugutekommt."
Bewährte Partnerschaft
Die Firma Werth Messtechnik aus Gießen, eines der führenden Unternehmen der Koordinatenmesstechnik mit optischen Sensoren, Multisensorik und Röntgentomografie, ist schon seit langem ein verlässlicher Partner des Hettich Messtechnik-Kompetenzcenters. Das erste Werth Messgerät wurde bereits 1998 geliefert. Mit der wachsenden Bedeutung von Qualität und gestiegenen Anforderungen an die 3D-Koordinatenmesstechnik erweiterte Hettich seine Ausstattung mit modernen 3D-CNC-Koordinatenmessgeräten von Werth, darunter Scopecheck Geräte für fertigungsnahes Messen sowie mehrere Inspector FQ Geräte. Beide Gerätetypen verfügen über je einen optischen Sensor mit Werth Zoom und einen messenden Taster vom Typ SP25. Durch den Einsatz der Multisensorik lassen sich die meisten Bauteile in einer Aufspannung komplett messen - was bei Hettich meist in Werkerselbstprüfung durchgeführt wird.
Für die Beschaffung des Computertomografie-Gerätes beim Spezialisten aus Gießen waren letztendlich die Geräteperformance des CT-Systems und die lange Erfahrung des Herstellers mit dieser Technik entscheidend. Permanente Weiterentwicklungen ließen eine breite Palette solcher Messgeräte entstehen, deren Einsatzbereich heute von Mikrobauteilen bis hin zu kubischen Bauteilen mit Kantenlängen von bis zu 1 m reicht (Abb. 1).
Vom Prototyp zum serienreifen Produkt
Das Hettich Messtechnik-Team, zu dessen Aufgaben die Erstmusterprüfung, Requalifizierung von Bauteilen und die Unterstützung des Reklamationsmanagementprozesses gehören, setzte das CT-System unter anderem bei der Erstmusterprüfung von neuen Produkten und der Werkzeugkorrektur ein. So konnte die Korrekturzeit vom ersten Prototypen bis zum serienreifen Produkt enorm verringert werden. Sven Jütersonke, der die Werth Messgeräte betreut, nennt ein Beispiel: „Um Prototypen von Gewindehartschalen aus Kunststoff zu messen, verwenden wir heute das Tomoscope. Damit dauert der reine Messvorgang nur wenige Minuten. Über den anschließenden Soll-Ist-Vergleich zwischen CAD- und tomografisch ermittelten Daten und die anschließende farbcodierte Abweichungsdarstellung, lassen sich Problemzonen am Bauteil auf den ersten Blick erkennen. Gemäß den Ergebnissen können unsere Werkzeugbauer das Spritzgusswerkzeug korrigieren." So genügen wenige, schnelle Korrekturschleifen, um das Bauteil zu optimieren. Um diesen Vorgang mit einem ‚normalen‘ Koordinatenmessgerät zu erledigen, würde laut Jütersonke allein schon die Programmierzeit für den ersten Prüfdurchlauf bis zu zwei Tage dauern, und insgesamt wäre etwa ein zehnfacher Zeitaufwand notwendig.
Das Messsystem ist einfach zu handhaben: Das Werkstück wird ohne besondere Justagearbeiten in einen Halter auf dem Drehtisch gesetzt, der sich zwischen Röntgenquelle und Detektor befindet (Abb. 2). Dann gilt es, in der Bedienoberfläche der Winwerth Software die Parameter für Leistung, Belichtungszeit und Genauigkeit einzugeben. Der anschließende, automatisch ablaufende Messvorgang dauert bei einem Standard-Kunststoffteil nur wenige Minuten. Als Ergebnis erhält der Anwender eine 3D-Punktewolke (STL-Daten), welche die gesamte Werkstückgeometrie innen sowie außen beschreibt und sich in verschiedener Weise auswerten lässt.
Zerstörungsfreie Analyse
Vor allem bei komplexen Kunststoffteilen bietet das Tomoscope HV Compact deutliche Vorteile: Auf Basis der Volumendaten lassen sich mit der Messsoftware beliebige Schnittaufnahmen anfertigen, anhand derer sich das Bauteil maßlich und materialtechnisch beurteilen lässt (Abb. 3). Früher waren dazu Schliffe erforderlich, deren Herstellung mit hohem Aufwand verbunden war. Daher mussten sich die Messtechniker meist auf wenige solcher Untersuchungen beschränken. Heute kann der Messtechniker ohne zusätzlichen Messaufwand in beliebig vielen theoretischen Ebenen messen. Der einzige Mehraufwand ist die anschließende Verarbeitung der Informationen."
Durch die Auswertung der Schnittaufnahmen lassen sich nicht nur alle Maße überprüfen (Abb. 4), der Messtechniker kann zudem feststellen, ob sich das Füllmaterial richtig verteilt hat oder ob sich Lunker im Kunststoff oder Druckguss befinden. Je nach Ergebnis kann Hettich nun die Werkzeugform oder die Spritzgießparameter optimieren.
Eine weitere Stärke der Röntgentomografie macht sich bei der Beurteilung kompletter Baugruppen bemerkbar. Dank des zerstörungsfreien Messens muss die Baugruppe nicht demontiert werden, um die Funktion zu prüfen und gegebenenfalls Fehlern auf die Spur zu kommen. Das ist deutlich effektiver als eine Demontage, bei der die Fehlerinformationen häufig verloren gehen.
Bei größeren Bauteilen oder solchen mit filigranen Strukturen werden mit einer Rasterfunktion Teilbilder des Werkstücks aufgenommen, die sich anschließend zu einer hoch aufgelösten Komplettaufnahme zusammensetzen lassen.
Röntgentomografie macht die 3D-Messung schnell und flexibel
Durch den schnellen Messvorgang und die variablen Auswertungsmöglichkeiten eignet sich die Röntgentomografie für vielfältige Einsatzbereiche. So nutzt - wie beschrieben - der Werkzeugbau gerne den schnellen Soll-Ist-Vergleich und die farbcodierte Abweichungsdarstellung, um in Sekundenschnelle die Problemstellen zu erkennen und die Spritzgießformen entsprechend zu korrigieren (Abb. 5). Aber auch für die Erstmusterprüfung lässt sich das Verfahren vorteilhaft einsetzen, indem am Volumenmodell problemlos eine beliebige Anzahl Merkmale erfasst werden kann. Parallel zu dieser Auswertung kann - quasi im Hintergrund - ein Messprogramm geschrieben werden, das dann zum automatischen Messen für weitere Teile zur Verfügung steht.
Für die Auswertung der Punktewolken bietet es sich an, zusätzliche Offline-Arbeitsplätze zu installieren, damit das Tomoscope nicht blockiert wird und für weitere Messaufgaben eingesetzt werden kann. Solche Arbeitsplätze müssen nicht in unmittelbarer Nähe liegen. Sie sind auch in anderen Abteilungen oder Niederlassungen denkbar, die dann nur mit Punktewolken versorgt werden müssen, um die Auswertungen selbst nach Bedarf vor Ort erledigen zu können.