3D-Schwingungsanalyse in neuen Dimensionen
Mikromechanische Systeme verlangen Auflösungen im Pikometerbereich
Bei der Entwicklung mikro-elektromechanischer Systeme (MEMS) ist es wichtig, nicht nur das elektrische Verhalten der Bauelemente zu bestimmen, sondern auch das tatsächliche dynamische Verhalten der beweglichen Komponenten. FE-Modelle lassen sich dann entsprechend bewerten bzw. optimieren. Bisher war ein solches Vorgehen allerdings meist Wunschdenken der Entwickler.
Mikromechanische Sensoren und Aktoren werden in der Technik immer wichtiger. Typische Beispiele sind MEMS-Komponenten wie Beschleunigungs- oder Drehratensensoren in Smartphones. Auch in Automobil- und Medizintechnik beruhen viele Innovationen auf MEMS-Technologie und Mikrosystemtechnik. Beim Test des Bewegungsverhaltens der kleinen Bauteile stießen die Entwickler bisher jedoch an Grenzen. Denn die funktionale Bewegungsrichtung bzw. die Bewegungsebene von MEMS-Bausteinen liegt in den meisten Fällen innerhalb der Bauteilebene (In-Plane-Bewegungen). In einem kleineren Teil der Fälle ist die Bewegung orthogonal dazu (Out-of-Plane). Beide Bewegungsanteile werden sich in der Praxis aber meist überlagern. Zur vollständigen Beschreibung benötigt man deshalb hochauflösende Messdaten für jede Bewegungskomponente, z.B. in kartesischen Koordinaten.
Grenzen konventioneller Messverfahren
Nun ist es makroskopisch ohne Weiteres möglich, dreidimensionale Objektschwingungen mit einem Laser-Doppler-Vibrometer zu erfassen. In diesem Fall wird mit drei Messköpfen aus linear unabhängigen Richtungen die Objektbewegung gemessen und die Messdaten danach in ein orthogonales Koordinatensystem transformiert. Für mikromechanische Systeme ist dieser Lösungsansatz aber nur bedingt geeignet, da sich die benötigte laterale Auflösung im µm-Bereich mit drei sich beeinflussenden Laserspots nicht erreichen lässt.
Aus diesem Grund wurden zur Messung der In-Plane-Bewegung Videomikroskopiesysteme in Verbindung mit Stroboskopie eingesetzt. In vielen Fällen stoßen sie aber ebenfalls an ihre Grenzen, weil die Auflösung der Schwingungsamplitude der Bewegung durch den Stroboskopeffekt auf den Nanometerbereich begrenzt ist. Außerdem dauert es mehrere Minuten, bis Resultate für Bewegungen in der Ebene vorliegen, da die digitalen stroboskopischen Aufnahmen erst über Bildverarbeitungsprogramme ausgewertet werden müssen, bevor ein Vibrationsspektrum angezeigt werden kann.
Tausendmal besser
Dieser Thematik hat sich jetzt Polytec angenommen und mit dem MSA-100-3D ein neues Mikroskop-basiertes 3D-Schwingungsmesssystem entwickelt, das perfekt auf die Anforderungen der Entwicklung von Mikrosystemen abgestimmt ist. Es ermöglicht die Messung von dreidimensionalen Schwingungsparametern mikroskopischer Objekte in Echtzeit und mit einer bisher unerreichten Schwingungsamplitudenauflösung im Pikometerbereich, also mit nur einigen Billionstel Metern. Das ist um den Faktor 1000 genauer als beispielsweise die oben erwähnten Videomikroskop-Verfahren.
Eine Analogie veranschaulicht die neue „Größenordnung" der messbaren Bewegungen am besten: Wäre der lediglich 50 µm breite Silizium-Cantilever im Messbeispiel (siehe Bild) ein Airbus mit 80 Metern Spannweite, ließen sich Schwingungen der Flügelspitze von nur 80 µm erkennen, was ungefähr der Dicke eines menschlichen Haares entspricht.
Alle Bewegungskomponenten mit einem Messstrahl
Das neue Messverfahren nutzt den richtungsabhängigen Dopplereffekt des Lichts, um die Geschwindigkeit eines Messobjekts in eine messbare Frequenzverschiebung zu wandeln. Dabei sind Geschwindigkeit des Objekts und Frequenzverschiebung des von diesem Objekt reflektierten Lichts proportional zueinander. Ein Interferometer ermittelt diese Frequenzverschiebung, anschließend wird die Bewegung errechnet. Das Besondere daran ist, dass dafür nur ein Laserstrahl benötigt wird. Drei Empfänger messen das Doppler-verschobene Streulicht, vom Laserfokuspunkt kann so eine dreidimensionale Bewegungsinformation gewonnen werden. Da es nur einen Messstrahl gibt, sind optische Übersprechstörungen nicht zu befürchten und die bisher nicht realisierbare Amplitudenauflösung im Bereich weniger Pikometer wird möglich. Die Geometrie des Messkopfes und die mechanischen Verbindungspunkte wurden so gewählt, dass sich der Messkopf an jeder Probestation anschließen lässt. Dadurch sind Schwingungsanalysen bereits auf Waferebene möglich, auch im Vakuum. Letzteres ist beispielsweise interessant für Objekte, die ein Vakuum-Packing bekommen und daher nur im Vakuum getestet werden können, z.B. Beschleunigungs- und Drehratensensoren. Als Option ist zudem ein xy-Verfahrtisch im Gerät integrierbar, um flächenhafte Messungen durchzuführen.
Zahlreiche Anwendungsbereiche
Dank des mikroskopisch kleinen Laserspots von < 4 µm Durchmesser und der Frequenzbandbreite von 25 MHz eignet sich das Messgerät ideal zur Untersuchung mikro-elektromechanischer Sensoren und Aktuatoren sowie anderer mikromechanischer Strukturen. Mit den präzisen Daten des MSA können Entwickler und Forscher zum Beispiel mikro-elektromechanische Bauteile von Smartphones oder Fahrzeugen optimieren, FE-Modelle validieren bzw. verbessern und so letztendlich die Entwicklungszeit verkürzen. Unterstützung bietet dabei die Messsoftware, die wichtige praktische Features bietet. So lassen sich z.B. auch größere Messobjekte, die das Gesichtsfeld und den Schärfentiefebereich des Objektivs überschreiten, in Verbindung mit einer xyz-Positioniereinheit (Option) automatisiert und komfortabel messen. Die Vorteile der 3D-Schwingungsanalyse kann auch der nutzen, für den sich die Anschaffung eines eigenen Geräts nicht rechnet: Bei Polytec sind auch Auftragsmessungen möglich.
Für die Entwicklung des neuartigen Messsystems erhielt Polytec im Dezember 2014 den renommierten Dr.-Rudolf-Eberle-Preis des Landes Baden-Württemberg. Dieser Preis prämiert die erfolgreiche Umsetzung herausragender technischer Innovationen. Auf internationaler Ebene ist das innovative Messgerät nominiert für den Prism Award 2015.