Der Wandel der Oberflächenmesstechnik
Im Fokus: Bedeutungszunahme von optischen Messverfahren - im Gespräch mit Eric Winkler, Polytec
Optische Messverfahren erobern zunehmend die Welt der einst rein taktilen Oberflächenmesstechnik. Das bringt auch Anbieter ins Spiel, die sich ganz auf optische Messsysteme spezialisiert haben.
inspect: Herr Winkler, der Name Polytec dürfte außerhalb der Fachwelt nur wenigen bekannt sein. Würden Sie sich selbst als „Hidden Champion" bezeichnen? Wie ist das Unternehmen heute aufgestellt?
E. Winkler: Polytec war in den Anfängen einer der Pioniere im Vertrieb von Lasermesstechnik und optischen Komponenten im deutschsprachigen Raum. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde damit begonnen, mit den Laser-Doppler Vibrometern eine eigene Produktlinie zu entwickeln, zu fertigen und ein weltweites Vertriebs- und Servicenetzwerk aufzubauen. Später kamen die optische Längen- und Geschwindigkeitsmesstechnik für die Herstellung von Bahnwaren, z. B. in der Stahlerzeugung, die Spektrometersysteme und die optische Oberflächenmesstechnik hinzu. Mit mehr als 380 Mitarbeitern weltweit entwickeln, produzieren und vertreiben wir optische Messtechnik für Forschung und Industrie. Neben den optischen Messsystemen ist der Bereich der Dienstleistungen eine stark wachsende Aktivität. 2012 konnten wir unser neues Dienstleistungszentrum in Waldbronn einweihen. In diesem haben wir u.a. die Möglichkeit, dynamische Strukturtests und Schwingungsanalysen auch an größeren Bauteilen - wie beispielsweise Gesamtfahrzeugen oder Rohkarosserien - automatisiert durchzuführen. Im Bereich der optischen Schwingungsmesstechnik nehmen wir heute mit den Laser-Doppler Vibrometern weltweit eine führende Position ein. Obwohl wir auf manchen Gebieten Technologie-Vorreiter sind, sind wir außerhalb der Fachwelt nicht überall bekannt - insofern kann man uns durchaus als Hidden Champion bezeichnen.
inspect: Welchen Anteil haben die optische Messtechnik und speziell die Oberflächenmesssysteme? In welchen Märkten und Anwendungsgebieten sind Sie hauptsächlich aktiv?
E. Winkler: Das Licht war schon immer der Inhalt unserer Produkte. Deshalb konzentrieren sich unsere Produkte und Dienstleistungen auf die optische Messtechnik. Als Weltmarktführer bei den Laser-Doppler Vibrometern kommt heute ein großer Anteil unseres Erfolges aus diesem Produktbereich. Unsere Vibrometer-Systeme werden weltweit in den verschiedensten Anwendungsbereichen sowohl in der Qualitätssicherung als auch in Forschung und Entwicklung eingesetzt - beispielsweise in der Automobilindustrie bei der Entwicklung der Akustik- und Komforteigenschaften von Fahrzeugen, in der Motorenentwicklung bei der Erfassung des dynamischen Verhaltens von drehenden Wellen oder in der Entwicklung und in der Produktionslinie von Computer-Festplatten. Das Schwingungsverhalten von großen Bauwerken - beispielsweise Brücken - wird mit unserer optischen Messtechnik untersucht. Auch kleinste Bauteile lassen sich mit Hilfe unserer Messtechnik vermessen, so z. B. Mikrostrukturen und MEMS-Bauteile, welche in Kraftfahrzeugen oder auch Smartphones sehr zahlreich ihren Einsatz finden. Die Oberflächenmesstechnik ist ein stark wachsender Produktbereich und wird in der Zukunft weiter stark zum Wachstum unseres Unternehmens beitragen. Auch hier werden unsere Messgeräte in ganz verschiedenen Anwendungsbereichen eingesetzt, wie beispielsweise im Fahrzeug- und Maschinenbau und in der Feinwerktechnik.
inspect: Was sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Herausforderungen an ein modernes Oberflächenmesssystem für die Qualitätssicherung?
E. Winkler: Die Anforderungen an mechanische Bauteile hinsichtlich Präzision, Haltbarkeit und Stabilität werden bei unseren Kunden immer höher, was sich u.a. in immer kleiner werdenden Toleranzen niederschlägt. Bei der Entwicklung unserer TopMap-Systemfamilie haben wir daher großen Wert auf die hohe Genauigkeit bei gleichzeitiger Robustheit gelegt, sodass Messungen mit einer hohen Wiederholpräzision bei geringer Messunsicherheit überall auf der Welt durchgeführt werden können. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die einfache, intuitive Bedienung der Mess-Software, sodass unsere Anwender ohne umfangreiche Trainings die Systeme prozesssicher einsetzen und bedienen können. Des Weiteren ist für ein modernes Oberflächenmesssystem wichtig, dass es sich ohne großen Anpassungsaufwand in die Fertigungslinie integrieren lässt und dass eine Automatisierung der Mess- und Auswerteabläufe flexibel und schnell in der Linie vorgenommen werden kann. Insgesamt legen wir bei der Entwicklung unserer Messsysteme einen Schwerpunkt auf das Bedienkonzept über unsere Software. Und unsere Anwender wissen das sehr zu schätzen.
inspect: Kann die optische Messtechnik die taktilen Verfahren in absehbarer Zeit ersetzen? Wenn ja, in welchen Anwendungen?
E. Winkler: In der Qualitätssicherung sind die optischen Verfahren in der Oberflächenmesstechnik heute noch nicht so weit verbreitet. Bei Aufgabenstellungen, welche durch die taktilen Verfahren nicht oder nur mit großem Aufwand zu bewältigen sind, werden optische Messsysteme immer häufiger eingesetzt. Es ist in der Zukunft nicht zu erwarten, dass die optischen Messverfahren die taktilen vollständig ersetzen werden, sie werden sie jedoch ergänzen und dabei immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dies betrifft hauptsächlich die Qualitätssicherung von Werkstücken mit Funktionsoberflächen, da die optischen Verfahren die Oberflächen- und Formparameter sehr schnell, genau und lückenlos über die gesamte Oberfläche liefern.
inspect: Ihr Unternehmen ist aus der Firmenhistorie heraus rein auf optische Messverfahren spezialisiert. Sehen Sie das eher als Vorteil oder als Nachteil gegenüber Wettbewerbern, die ursprünglich aus dem taktilen Marktsegment kommen?
E. Winkler: Das ist eine sehr gute Frage, ich sehe ehrlich gesagt darin sowohl einen großen Vorteil als auch einen Nachteil. Die Oberflächenmesstechnik ist heute weltweit noch von taktilen Verfahren dominiert, die optische Messtechnik gewinnt jedoch stetig an Marktverbreitung hinzu. Heute arbeitet Polytec aktiv in der optischen Gruppe des DIN-Ausschusses mit. Hier geht es u.a. um die Kalibrierung von flächig messenden Systemen und die Vergleichbarkeit der optischen Messdaten mit den Messergebnissen der taktilen Systeme. Unsere Mitbewerber, welche traditionell aus dem taktilen Bereich kommen, haben möglicherweise aus ihrer Tradition heraus einen Erfahrungsvorsprung im Anwendungs-Know-how. Sie laufen aber auch Gefahr, zu lange an ihrem taktilen Ansatz verhaftet zu bleiben. Die Hürde in die optische Messtechnik ist für diese Unternehmen selbstverständlich nicht ganz klein, es ist hier ein Umdenken in Verbindung mit nennenswerten Investitionen erforderlich.
inspect: Ihre Oberflächenmesssysteme setzen auf das interferometrische Messverfahren. Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zu anderen optischen, beispielsweise konfokalen Verfahren?
E. Winkler: Mit den interferometrischen Verfahren lassen sich sehr hohe Genauigkeiten erzielen und die Genauigkeiten in vertikaler z-Richtung werden nicht von der Größe des Messfeldes beeinflusst. Damit sind keine Kompromisse zwischen Messfeldgröße und Messgenauigkeit erforderlich. Die interferometrischen Verfahren eignen sich ausgesprochen gut für vergleichbar große Flächen. Dies ist z. B. für die Bestimmung von Ebenheiten in Dichtflächen von großer Bedeutung, weil sowohl der höchste als auch der tiefste Punkt der Fläche auf jeden Fall mit erfasst wird.
inspect: Auf der Control haben Sie gerade Ihre neue Gerätegeneration TMS-500 vorgestellt. Was unterscheidet diese von der Vorgängerserie?
E. Winkler: Das TMS-500 System aus unserer TopMap-Familie ist eine komplette Neuentwicklung für einen neuen Zielmarkt. Dieses System weist eine völlig neue Gerätekonzeption auf, welche wir für die steigenden Genauigkeitsanforderungen in der Fertigungstechnik entwickelt haben. Es ist bezüglich Messunsicherheit und Wiederholpräzision um Faktoren besser als die herkömmlichen großflächig messenden Systeme. Das System hat durch seinen 70 mm Scanbereich in z-Richtung ein sehr großes Messvolumen. Durch sein optisches Design mit telezentrischem Strahlengang ist eine Vermessung von tiefliegenden Flächen - z. B. im Grund einer Bohrung - möglich und kann hinsichtlich Parallelität und flächiger Stufenhöhe zu anderen Flächen des Werkstücks exakt ermittelt werden.
inspect: Der Trend geht weg vom klimatisierten Messraum, hin zum Einsatz in der Produktionslinie. Sind Ihre Systeme dafür ausgelegt?
E. Winkler: Diese Art von Anforderung kennen wir in Extremform aus unserem Produktbereich der optischen Längen- und Geschwindigkeitssensoren, welche vorwiegend bei der Stahlerzeugung und in Stahlwalzwerken in sehr heißer und partikelreicher Umgebung eingesetzt werden. Auf solche Produktionsanforderungen sind unsere Entwicklungsingenieure eingerichtet. Auch wenn in der Oberflächenmesstechnik solche extrem rauen Umgebungsbedingungen nicht gemeistert werden müssen, sind unsere optischen Messsysteme ganz grundsätzlich für den Einsatz in der Produktionslinie ausgelegt. Wir bieten ein Sortiment von Zubehör-Komponenten an, mit denen beispielsweise der Messaufbau von den Umgebungsschwingungen in der Produktionshalle entkoppelt werden kann. Bei der Integration der Messsysteme in die Fertigungslinie bei unseren Kunden stehen unsere Applikationsingenieure selbstverständlich mit Rat und Tat zur Seite.
inspect: Wo sehen Sie noch die größten Hindernisse für einen breiteren Einsatz optischer Messsysteme? Wie werden Sie dem in Zukunft begegnen?
E. Winkler: Die optischen Verfahren bieten viele Vorteile, dennoch werden sie heute in vielen Industriezweigen noch zurückhaltend eingesetzt. Teilweise bestehen „psychologische Hürden" gegenüber dem Neuen, es gibt aber auch einen ganz handfesten Grund für diese Zurückhaltung: die noch fehlende Verankerung der optischen Oberflächenparameter in der internationalen Norm. Somit ist die weltweite Vergleichbarkeit von optischen Oberflächenparametern nicht über alle Messtechnik-Anbieter hinweg gewährleistet. Hier sehe ich heute noch ein Haupthemmnis. Polytec setzt sich durch sein aktives Mitwirken im DIN-Ausschuss dafür ein, diese Standardisierung mit voranzutreiben.