Sichtbares Mitgefühl
Soziologische Forschung mit Wärmebildkameras
Forscher, die neurovaskuläre Elemente der sozialen Interaktion des Menschen untersuchen, stoßen immer wieder an die Grenzen der üblicherweise in der Neurowissenschaft eingesetzten Verfahren. Dazu gehören häufig die Anwendung von Elektroden oder anderer Messinstrumente auf der Haut der Probanden, die kein spontanes Verhalten zulassen. Bei berührungsfreien Verfahren wie der funktionalen, bildgebenden Kernspintomographie werden Probanden aktiver Strahlung ausgesetzt, außerdem dürfen sie sich über einen längeren Zeitraum nicht bewegen.
Eine Lösung für dieses Problem ist der Einsatz der Wärmebildtechnik. Das Verfahren ist passiv, denn Wärmebildkameras zeichnen die vom Probanden abgegebene Infrarotstrahlung auf, ohne dass er dabei irgendeiner Strahlung ausgesetzt wird. Darüber hinaus sammeln Forscher mit dieser Technik Informationen in Echtzeit, da sich die Probanden bei den Tests natürlich bewegen können. "Die Wärmebildtechnik ist ein hervorragendes Tool für die Untersuchung der neurobiologischen Grundlagen sozialer Interaktionen, vor allem in natürlichen Kontexten, da es sich um ein berührungsfrei arbeitendes Verfahren handelt", erläutert Dr. Arcangelo Merla, Direktor des Wärmebildlabors am ITAB (Institute for Advanced Biomedical Technology) der Universität Chieti-Pescara (Italien).
Synchrone Reaktionen
Vor allem bei einem speziellen Forschungsprojekt hat sich die FLIR Wärmebildkamera als sehr hilfreich erwiesen, so Dr. Merla. "Wir versuchten, eine Synchronität autonomer Reaktionen zwischen Mutter und Kind herzustellen. Durch die Verwendung von Wärmebildkameras konnten wir zuverlässige Messungen nicht willentlich gesteuerter Reaktionen vornehmen, die gleichzeitig sowohl bei Kindern als auch bei ihren Müttern aufgezeichnet wurden, ohne dass wir dabei durch die Nachteile der meisten anderen Verfahren für die Sammlung physiologischer Daten eingeschränkt waren." Während die psychologische Seite sozialer Interaktionen recht ausführlich untersucht wurde, blieb die physiologische Seite weitgehend außen vor. Nur wenige Studien berichteten bisher über die mögliche Beteiligung physiologischer Reaktionen während der Interaktionen zwischen Elternteil und Kind.
Da Dr. Merla bereits sehr gute Erfahrungen mit dem Einsatz der Wärmebildtechnik bei verschiedenen medizinischen Anwendungen gemacht hatte, lag die Verwendung von Wärmebildkameras als Messinstrumente bei diesem Forschungsprojekt nahe. "Die Wärmebildtechnik nimmt die spontan vom menschlichen Körper abgegebene thermische Strahlung auf. Der Körper und die mentalen Reaktionen bleiben daher ganz natürlich."
Im Sucher der Kameras
Während des Experiments fordert der Versuchsleiter die Kinder auf, sich mit einem Spielzeug zu beschäftigen. Das Spielzeug wurde so manipuliert, dass es während des Spiels kaputt geht, damit der Eindruck entsteht, dies sei dem Kind aus Versehen passiert. Von einem abgetrennten Raum aus sollten die Mütter ihre Kinder durch einen einseitig lichtdurchlässigen Spiegel in Interaktion mit dem Versuchsleiter beobachten. Zwei hochempfindliche gekühlte Wärmebildkameras der Flir SC7000 Serie waren gleichzeitig auf Mutter und Kind gerichtet. Um Temperaturabweichungen in einem bestimmten Zeitraum zu messen und ihren Zusammenhang zu den Kindern und ihren Müttern herzustellen, wurden Veränderungen der Hauttemperatur in bestimmten, wichtigen Gesichtsregionen berechnet. Aufgrund von vorherigen Studien an Menschen und Primaten wurden die Nasenspitze und der Kinnbereich als geeignete Regionen ausgewählt. Da sich die Versuchspersonen frei im Raum bewegten, erwies sich die Aufzeichnung dieser Zonen als echte Herausforderung. "Mit Hilfe der Wärmebildkameras ließen sich die Daten sehr schnell erfassen", berichtet Dr. Merla. "Wir entwickelten einen Aufzeichnungsalgorithmus in unserem Labor und wendeten ihn auf die Videoaufzeichnung mittels Wärmebildtechnik an, damit sichergestellt war, dass der gewünschte Gesichtsausschnitt auch wirklich auf jedem Bild erfasst war."
Dokumentierte Emotion
"Die vorliegende Studie liefert zwei Haupterkenntnisse", fährt Dr. Merla fort. "Zum einen zeigte sie, dass während des Experiments die durch den Bruch des Spielzeugs hervorgerufene seelische Belastung zu Temperaturveränderungen in den betreffenden Gesichtsregionen des Kindes führte. Die bei den Müttern beobachteten thermischen Schwankungen ähnelten überraschenderweise sehr denen der betreffenden Kinder. Zum anderen besteht zwischen den Temperaturveränderungen in den Gesichtern der Mütter und denen ihrer Kinder ein Zusammenhang. Die Mutter-Kind-Paare zeigten also eine eindeutige und situationsspezifische Synchronität bei den eigenständig, von jedem der beiden individuell gezeigten Reaktionen."
"Dank der Flexibilität der Wärmebildkameras wurden die physiologischen Zusammenhänge emotionaler Reaktionen in einer interaktiven und natürlichen Versuchssituation untersucht, ohne das spontane Verhalten zu beeinflussen", schließt Dr. Merla. "Darüber hinaus haben wir bewiesen, dass sich die Wärmebildtechnik für die Untersuchung neurobiologischer Grundlagen sozialer Interaktionen einsetzen lässt, insbesondere in natürlichen Kontexten dank der berührungsfreien Funktionsweise."