Bildverarbeitung

Ist die Diskussion über digitale Schnittstellen beendet?

Interview mit Vlad Tucakov, Leiter Vertrieb und Marketing, Point Grey Research

18.11.2009 -

Die digitale Kameraschnittstelle: ein Dauerbrenner der Diskussion. Auch wir haben darüber schon verschiedentlich berichtet und Umfragen unter Herstellern und Anwendern veröffentlicht. Ob diese Diskussion absehbar ein Ende findet und wie dies aussehen könnte, wurde auch im Rahmen der EMVA-Konferenz in Dublin diskutiert. Vlad Tucakov, Point Grey, hat dazu einen vielbeachteten Vortrag gehalten. Wir haben Herrn Tucakov zu diesem Thema befragt.

INSPECT: Herr Tucakov, es scheint, als ob die Bildverarbeitungs-Industrie schon seit ewigen Zeiten über Kamerainterfaces diskutiert. Können Sie sich noch daran erinnern wann und warum diese Debatte eigentlich begonnen hat?
V. Tucakov: Alles begann mit dem Umbruch der bis dato etablierten Technologie für Bilderfassung, der analogen Kamera angeschlossen an einen Frame Grabber. Mit dem Einzug der neuen digitalen Interfaces in den Markt, z. B. FireWire und USB, wurden Frame Grabber entweder überflüssig oder konnten durch erheblich einfachere und kostengünstigere Schnittstellenkarten ersetzt werden.
Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Softwareunterstützung durch die Kamerahersteller. Insbesondere einige der größeren und traditionelleren Anbieter konnten oder wollten dieser Nachfrage nicht nachkommen. Das war die Chance vor allem für kleinere Unternehmen, mit einem entsprechenden Angebot auf den Markt zu treten. Diese Firmen haben sich selbst über das Interface definiert, das sie einsetzten. Um erfolgreich zu sein, mussten sie also sicherstellen, dass „ihr" Interface verbreitet, standardisiert und allgemein akzeptiert war. Damit war die Debatte endgültig entbrannt: Jeder Hersteller präsentierte Argumente, warum das jeweils eigene Interface für Bildverarbeitungs-Anwendungen besonders geeignet sei.


Welche Interfaces sind heute für Bildverarbeitungsapplikationen noch im Rennen und wie unterscheiden sie sich?
V. Tucakov: Die meisten auf dem Markt erhältlichen Interfaces haben sich über die letzten Jahre nicht wesentlich verändert. Jedes Interface hat seine Stärken und Schwächen in Bezug auf Bandbreite, Latenz, mögliche Kabellängen, Unterstützung für Multi-Kamera Systeme, und so weiter.
Unter den digitalen Schnittstellen ist CameraLink nach wie vor der König der Bandbreite mit um die 6 GBit/s bei voller Konfiguration, bietet aber nur eingeschränkte Möglichkeiten für Setups mit mehreren Kameras und erfordert einen Frame Grabber, was ins Geld gehen kann. IEEE 1394b (FireWire) arbeitet bei bis zu 800 MBit/s, bietet eine garantierte Bandbreite und ist überaus zuverlässig, jedoch sind Repeater bei Kabellängen von über 10 m unumgänglich. GigE Vision unterstützt Datenraten von 1 GBit/s und kann über 100 m mit kostengünstigen Cat5e-Kabeln verwendet werden, hat aber mit längeren Latenzzeiten und Service-Level Problemen zu kämpfen. Und dann ist da natürlich auch noch USB 2.0, das mit 480 MBit/s zwar eine geringere Bandbreite als alle anderen Schnittstellen aufweist, jedoch extrem kosteneffizient und einfach in der Anwendung ist, und darüber hinaus auch von so gut wie jedem PC unterstützt wird.
Generell finde ich in diesem Zusammenhang aber auch interessant, dass man in der Industrie schon längerer das Ende der analogen Ära voraussagt. Dennoch sind analoge Kameras ungebrochen für eine ganze Reihe von Anwendungen in den verschiedensten Märkten gefragt. Sie sind kostengünstig, einfach in der Anwendung und haben auch den Anstoß für die populäre „Zuckerwürfel"-Bauform gegeben, die man inzwischen auch bei vielen digitalen Kameramodellen wieder findet. Wahrscheinlich wird es noch viele Jahre dauern, bis diese analogen Systeme gänzlich vom Markt verschwunden sind.

Wie muss das Interface aussehen, das das Rennen machen könnte?
V. Tucakov: Ein Interface, das alle Anforderungen hinsichtlich Kameragröße, Bandbreite, Kabellängen, Preis, usw. erfüllt, wäre natürlich der klare Gewinner. Ich glaube aber, dass die Kundenwünsche insgesamt schlichtweg zu unterschiedlich sind, um sie alle mit einem einzigen Interface befriedigen zu können. Meiner Erfahrung nach ist der ­häufigste Entscheidungsfaktor für ein Interface eher das, was es nicht kann, und nicht so sehr das, was es kann. Zum ­Beispiel ist eine Baugröße von 29 x 29 mm in vielen Halbleiter- und Elektronikanwendungen ein wichtiger Formfaktor, weil in diesem Bereich vor allem die schon angesprochenen analogen „Zuckerwürfel"-Kameras zum Einsatz kommen. Ich schätze, dass 75 % aller weltweit verkauften Kameras genau diese Baugröße haben. Im Augenblick gibt es keine einzige Gigabit Ethernet Kamera, die diesem Kriterium entspricht. Auf der anderen Seite sind GigE-Kameras quasi „von Haus aus" auf hohe Kabellängen ausgelegt während alle anderen digitalen Schnittstellen die eine oder andere Repeater-Methode benötigen, um Kabellängen von bis zu 100 m überhaupt realisieren zu können.
Es ist unwahrscheinlich, dass es zu einem „Format-Krieg" kommen wird bei dem am Ende ein klarer Sieger fest steht, wie wir es bei anderen Technologien, wie z. B. bei Betamax versus VHS, gesehen haben. Allerdings werden wir bei den verschiedenen digitalen Interfaces über die Zeit ein gewisses Abschmelzen von Marktanteilen beobachten können, wie auch schon bei der analogen Technik gesehen. Einige Interfaces werden dabei sicher ganz vom Markt verdrängt werden, andere werden durch neuere Versionen obsolet.

Mal von technischen Aspekten abgesehen, welche anderen Faktoren beeinflussen die Interface-Debatte?
V. Tucakov: Ein Faktor ist sicher die Marschrichtung der Marktführer. Ein Interface mit geringer Marge oder ein Interface, das den Marktzugang für den Wettbewerb vereinfacht, wird wohl eher nicht unterstützt. Gleichsam kann auch der Vertrieb entscheiden, ob das eine oder andere Interface „besser" ist oder einfach nur eine höhere Provision verspricht. Diese Faktoren sind nicht ausschließlich auf Kamerahersteller beschränkt. Sie können sich auch auf die Vision-Software und andere Komponenten ausdehnen.
Ein anderer Aspekt ist die Risikobereitschaft des Endkunden. Manche Märkte sind sehr konservativ und verlassen sich ausschließlich auf bewährte Technologien, selbst wenn es bessere, schnellere oder sogar kostengünstigere Lösungen gibt. Verglichen mit anderen Branchen ist die industrielle Bildverarbeitung darüber hinaus auch ein relativ kleiner Markt, und damit in hohem Maße abhängig von den Entwicklungen für den ungleich größeren Konsumgüterbereich und den Technologien die dort erfolgreich sind.

Welche Rolle spielt Marketing bei der Interface-Diskussion?

V. Tucakov: Natürlich heizt das Marketing der Kamerahersteller, der Verbände sowie die Medien selbst den Hype zusätzlich an. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der „Industriestandard" als den viele Kamerahersteller die Schnittstelle ihres Produktes bezeichnen, nicht unbedingt auch bedeutet, dass das betreffende Interface eine hohe Kundenakzeptanz hat oder wirklich geeignet für eine bestimmte Applikation ist.
Letztendlich kommt es auf die individuellen Anforderungen des Kunden an. Bei der Wahl des wirklich geeigneten Interfaces sind die technischen Vorzüge im ganz spezifischen Einsatzfall wichtiger als die Anzahl der darüber erschienenen Fachartikel.

Welche neuen Interfaces gibt es und was sind ihre wichtigsten Eigenschaften?
V. Tucakov: Die Entwicklung neuer Schnittstellen sowie die Weiterentwicklung ­bestehender Technologien wird durch eine Reihe von Faktoren bestimmt. Auf dem Markt erscheinen immer schnellere Bildsensoren mit immer höheren Auflösungen. Die meisten CCD-Hersteller liefern Multi-Tap Sensoren, um so höhere Frame-Raten zu erzielen und es kommen eine Reihe von CMOS-Sensoren auf den Markt, die eine sehr hohe Bildqualität bei gleichzeitig hohen Geschwindigkeiten bieten. Die Kundenforderungen sind Zuverlässigkeit, einfache Integration, Benutzerfreundlichkeit, und ein Migrationspfad für spätere ­Upgrades. Nicht zu unterschätzen sind auch die Einflüsse aus dem Consumer-Bereich.
FireWire, insbesondere 1394b S1600 und S3200, wird Bandbreiten von bis zu 1,6 bzw. 3,2 GBit/s ohne Änderung der Verkabelung bei nur geringfügigen Softwareanpassungen ermöglichen. Somit können sehr einfach Kameras mit höheren Datenraten in bestehende Anwendungen integriert werden. 10GigE wird seine Bandbreite auf bis zu 10 GBit/s steigern können, möglicherweise allerdings zu Lasten von Stromverbrauch, CPU-Last und Hardwarekosten. Es gibt auch Ansätze zur Erhöhung der Bandbreite bei CameraLink auf Datenraten von bis zu 25 GBit/s über 20 m Standard-Koaxialkabel. „Power over CameraLink Lite" (PoCL-Lite) ist mittlerweile Teil des Standards und ermöglicht die Herstellung kleinerer, kostengünstiger Digitalkameras. USB 3.0 wird mit ca. 5 GBit/s bis zu 10x schneller als USB 2.0 sein, dabei rückwärtskompatibel zu USB 2.0 bleiben und viele Einschränkungen der aktuellen Technologie klar adressieren. Der Formfaktor der Steckerverbindungen wird dem von USB 2.0 gleichen, es wird jedoch mehr Strom über das Kabel transportiert und der softwareseitige Overhead verursacht durch das Polling wird reduziert.

Erwarten Sie das Auftauchen von Kameras mit ganz anderen Interfaces wie beispielsweise PCIe oder SATA?

V. Tucakov: Diese Interfaces werden vor allem durch den Consumer Markt vorangetrieben und in der Vision-Industrie wahrscheinlich keine große Rolle spielen. PCI Express (PCIe) und Serial ATA (SATA) sind keine Peripherie-Technologien, daher sind sie auch nicht unbedingt für Kameras geeignet. Das High Definition Serial Data Interface (HD-SDI) und HDMI sind zwar für Visualisierungsanwendungen gut geeignet, im Umfeld der Vision-Anwendungen jedoch werden sie aufgrund der Verfügbarkeit und der Kosten für die Kamerahardware eher Exoten bleiben. Allerdings wäre ich dennoch nicht überrascht, wenn die eine oder andere dieser Technologien doch ihren Weg in die Bildverarbeitungskamera finden würde.

Welchen Einfluss werden die neuen Interfaces auf den Bildverarbeitungsmarkt haben?
V. Tucakov: Ich denke, dass sich ein Teil der CameraLink-Anwender im Bereich unter 5 GBit/s anderen Interfacearten zuwenden wird. Camera Link wird aber weiterhin in Bereichen über 5 GBit/s den Markt dominieren.
USB 3.0 wird zu einem wichtigen Kamerainterface werden und man erwartet, dass es in den kommenden Jahren eine große Rolle spielen wird. Es hat sogar das Potential als „ideales" Interface wahrgenommen zu werden. USB 3.0 verspricht einen großen Sprung nach vorne in Bezug auf Datenrate und Leistungsvermögen. Die Kombination aus höherer Bandbreite, hervorragender Zuverlässigkeit, niedrigen Kosten und einfacher Integration sind nicht zu übersehende Vorteile die USB 3.0 den Zugang zu neuen Vision-Anwendungen öffnen könnte, insbesondere im Umfeld nicht-industrieller Anwendungen, wo schon heute USB 2.0 auf große Akzeptanz stößt.

Wie wird das Interface-Rennen in den nächsten fünf Jahren weiter gehen?
V. Tucakov:
Der Preis für Kameras und Komponenten wird weiter sinken und die Nachfrage nach „Standard"-VGA- oder XGA-Kameras mit 30 und 60 FPS wird sich zu 2 bis 5 Megapixel-Kameras mit ähnlichen oder höheren Frameraten verschieben. Das technologische Entwicklungstempo wird sich nicht verlangsamen und die Geschichte wird sich wahrscheinlich wiederholen: In den späten 90er Jahren haben wir die Migration von analogen zu digitalen Interfaces gesehen, genauso werden wir in Zukunft auch den Wechsel zwischen digitalen Interfaces erleben. Wir werden wohl nicht mehr über „analog-zu-digital" reden, sondern eher über „digital-zu-digital".
Eines jedoch ist sicher: die Diskussion über Interfaces wird so schnell nicht zu Ende sein.

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