Auf den Trichter gekommen
Modernes User-Interface garantiert hohe Nutzerfreundlichkeit
Mit der zunehmenden Komplexität technischer Geräte gewinnt das Thema „Benutzerfreundlichkeit" kontinuierlich an Bedeutung. Jeder, der genötigt ist, mehr als eine Fernbedienung zur Steuerung des heimischen Multimedia-Equipments zu verwenden, wird erkennen, dass oftmals sehr unterschiedliche Ansätze für das User-Interface angeboten werden, die mehr oder weniger bedienerfreundlich zu nutzen sind.
Oftmals ist leider die Bedienung dermaßen schwierig zu verstehen, dass man sich frustriert mit der Nutzung eines geringen Teils des insgesamt im Gerät verborgenen Funktionsumfangs zufrieden gibt. In einer aktuellen Umfrage gaben immerhin 42 % der Nutzer an, sich über unverständliche Gerätefunktionen zu ärgern [1].
Auch im professionellen Umfeld setzen sich immer mehr Anwender von Geräten, Maschinen und Software-Systemen kritisch mit der Benutzerführung auseinander. Hatte das Thema vor 15 Jahren praktisch keine Bedeutung, so beurteilen in einer Umfrage der TU Kaiserslautern 53 % der Teilnehmer die Bedeutung des „Mensch-Maschine-Interface" als „sehr wichtig", 27 % als „wichtig" [2].
Im Nachfolgenden wird betrachtet, welche Anforderungen bei der Gestaltung eines nutzerfreundlichen User-Interface für eine Software der Industriellen Bildverarbeitung zu berücksichtigen sind.
Grundprinzip Bildverarbeitung
Alle am Markt verfügbaren Bildverarbeitungssysteme (BVS) arbeiten nach demselben Grundprinzip der Datenreduktion:
Mithilfe komplexer Auswerte-Algorithmen werden aus Millionen von Bildpunkten, die ein Bild gebender Sensor bereitstellt, einige wenige Messwerte und/oder Qualitätsmerkmale berechnet. D. h. die vorhandene Eingangs-Datenmenge wird in Sekundenbruchteilen geeignet reduziert, und liefert dann als Ausgangs-Information z. B. Bit codiert „Teil in Ordnung" bzw. „Teil nicht in Ordnung". Veranschaulicht wird dies in der einschlägigen Fachliteratur üblicherweise über den so genannten „Datentrichter".
Zur Ableitung der Anforderungen an ein User-Interface muss man die unterschiedlichen Nutzergruppen eines BVS näher betrachten.
Da ist zum einen der üblicherweise hoch qualifizierte Applikations-Ingenieur, der im Rahmen seiner Tätigkeit neben der Auswahl der optischen Komponenten die für eine stabile Lösung der Prüfaufgabe erforderliche Auswertestrategie entwickelt und die Software konfiguriert.
Nach erfolgreicher Inbetriebnahme einer Prüfanlage übernimmt ein Anlagenbediener die Verantwortung für das System. Er überwacht den Prüfprozess und ändert ggf. interaktiv Parameter. In der Regel ist der Anlagenbediener für eine Vielzahl unterschiedlicher Fertigungs- und Prüfstationen in der Produktionslinie zuständig. Sein Erfahrungs- und Kenntnisstand kann daher nicht an das Niveau eines Applikations-Ingenieurs heran reichen.
Beide Nutzergruppen haben völlig unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen an die Bedienoberfläche. Zu beachten gilt insbesondere auch, dass man dem Anlagenbediener nicht die gleiche Komplexität und Freiheit in der Bedienung wie dem Applikations-Ingenieur zumuten darf.
Um hier für alle Beteiligten eine zufrieden stellende Lösung zu bieten, sollte die Software zwei unterschiedliche User Interfaces anbieten:
- Eine Entwicklungsumgebung für den Applikations-Ingenieur
- Eine Laufzeitumgebung für den Anlagenbediener
Alternativ findet man im Markt auch die Bezeichnung „Manuell-" und „Automatik-Betrieb". Beide Bedienoberflächen können dann auf die Anforderungen der jeweiligen Nutzergruppe hin optimiert werden.
Die Laufzeitumgebung
Der Anlagenbediener wünscht sich für die Betreuung des Systems folgende Eigenschaften:
- Das System sollte einfach und übersichtlich die wichtigsten Informationen über den aktuellen Prozess- und Systemstatus visualisieren.
- Das User-Interface sollte eindeutig zeigen, welche Möglichkeiten bestehen, mit dem System zu interagieren, und welche Folgen diese Interaktion haben wird.
- Im Falle von Problemen oder Störungen sollte die Software Lösungsoptionen anbieten.
Die Entwicklungsumgebung
Der Applikations-Ingenieur nutzt die Entwicklungsumgebung im Rahmen der Projektierung sowohl für eine erste Machbarkeitsuntersuchung als auch für die konkrete Implementierung der Lösungsstrategie nach Auftragserteilung.
- Das System sollte Schritt für Schritt die Abarbeitung der Algorithmen visualisieren und im Fehlerfall aussagekräftige Meldungen zur Verfügung stellen.
- Speziell für den iterativen Prozess der Erstellung konkreter Prüfprogramme wünscht sich der Anwender ein flexibles Software-Tool, das ihm ermöglicht, seine Strategie schnell interaktiv anzupassen.
- Idealerweise bietet die Software hierzu ein Baukastenprinzip für die interaktive Zusammenstellung der Bearbeitungs- bzw. Berechnungs-Sequenz.
Darüber hinaus sollte das User-Interface den Anwender entsprechend seiner Leistungsfähigkeit führen und einen Lernprozess sowohl begleiten als auch motivieren.
Der Baukasten
Der Wunsch nach einem Baukasten führt zu einer interessanten Fragestellung:
Auf welche Art und Weise kann man die im Rahmen des oben beschriebenen „Datentrichters" notwendige Abarbeitung dutzender komplexer Algorithmen in einzelne Programm-/Bauelemente strukturieren? Welches sind im Sinne einer hohen Bedienerfreundlichkeit die kleinsten logischen Bauelemente für die Lösung einer Prüfaufgabe?
Wer länger in der Branche tätig ist und die am Markt verfügbaren Ansätze untersucht hat, wird zustimmen, dass dies eine der zentralen intellektuellen Aufgabenstellungen bei der Entwicklung einer Bildverarbeitungs-Software ist.
Optimal ist ein Ansatz, der es dem Anwender ermöglicht mit 3-15 Bauelementen (= Funktionen = Algorithmen) einen Großteil seiner Aufgaben zu konfigurieren. Bei wesentlich mehr als 15 Bauelementen wird das damit erstellte Prüfprogramm schnell unübersichtlich.
Manche Anbieter bieten sehr mächtige Funktionen, die alle benötigten Algorithmen für eine spezifische Aufgabenstellung in einem einzelnen Schritt zusammenfassen. Eine vorkonfigurierte Funktion wie „IC Pins vermessen" oder „Gewindequalität prüfen" ist natürlich optimal für den Anwender, der exakt die identische Aufgabenstellung zu lösen hat. Die anfängliche Begeisterung wird allerdings schnell verschwinden, weil solch eine Strukturierung zu proprietär und damit inflexibel ist.
In der NeuroCheck Software werden die vorhandenen Algorithmen in acht Kategorien, wie z. B. „Bildaufnahme", „Vorverarbeitung" und „Vermessung", thematisch zusammengefasst. Insgesamt stehen knapp 80 Bauelemente unter dieser Dach-Struktur zur Verfügung.
Der gewählte Ansatz hat sich in den vergangenen Jahren als Kompromiss zwischen Flexibilität und Stabilität bewährt. Um die Übersichtlichkeit zu bewahren, werden Erweiterungen an dieser Struktur nur nach sorgfältiger Abstimmung mit einer Vielzahl von Anwendern vorgenommen.
Dialoge
Der Anwender manipuliert die Daten seiner Anwendung über Dialoge bzw. Dialogfenster. Die Erwartungen an den Bedienkomfort und die verfügbaren Bedienelemente in einer Bildverarbeitungs-Software orientieren sich hier an dem, was die Anwender von professionellen Softwarepaketen aus der Office-Welt gewöhnt sind. Dabei findet keine Berücksichtigung, dass die Hersteller von Office-Anwendungen meistens über ein Vielfaches an Ressourcen in ihren Entwicklungsabteilungen verfügen.
Als mittelständischer Software-Hersteller muss man sich mit dieser Situation abfinden und versuchen, trotz vergleichsweise begrenzter Manpower auf ein vergleichbares Niveau zu kommen. Der Aufwand bei der Gestaltung und Programmierung von Eingabedialogen ist immens und wird von Außenstehenden völlig unterschätzt.
Ein Beispiel sind häufig benötigte Dialoge zur graphisch-interaktiven Eingabe von Arbeitsbereichen (ROI = Region of Interest). Der Anwender setzt hier einen Leistungs- und Komfort-Umfang voraus, wie er ihn aus millionenfach verkauften Bild-be-arbeitungspaketen gewöhnt ist. Dazu gehören u. a.
- Beliebiger Zoom des dargestellten Bildes
- Intuitives Drag & Drop der Geometrien
- Rückgängig Funktionalität („Undo")
- Mehrfachauswahl für die Objekt-Manipulation
- Maus und alternativ Tastatur orientierte Eingabe
- Objekt bezogene Kontextmenüs
Bei komplexeren Konfigurationsschritten empfiehlt sich der Einsatz von Assistenten. D. h. die Dateneingabe wird auf mehrere Schritte aufgeteilt, die der Anwender streng chronologisch abarbeitet. Die Navigation erlaubt jederzeit ein „Zurück" zum letzten Eingabeschritt.
Gut gestaltete Assistenten reduzieren die Einstiegshürden speziell für den wenig versierten Nutzer einer Software. Durch die Aufteilung in einzelne Schritte lässt sich die Aufmerksamkeit des Anwenders auch für länger andauernde Eingabephasen besser „einfangen".
User-Interface-Guidelines
Neben einem sorgfältig konzipierten Design der Dialoge empfiehlt sich die Beachtung einiger weiterer grundlegender Richtlinien für die Gestaltung einer Bedienoberfläche.
Sinnvolle Voreinstellungen (= Default-Werte) sparen dem Anwender Zeit und führen zu schnellen Erfolgserlebnissen. Die Auswahl der Werte erfordert allerdings ein hohes Maß an Kenntnis über die typische Herangehensweise der Anwender.
Die Software sollte unmittelbar Feedback geben, wenn etwas schief läuft, verbunden mit Hinweisen zur Behebung des Fehlerzustands. Komplettiert wird dies durch eine ausführliche Dokumentation und ein gut strukturiertes und umfangreiches Hilfesystem.
Um innerhalb der Software-Entwicklung eine konsistente Vorgehensweise bei der Gestaltung der Bedienoberfläche zu haben, empfiehlt sich der Entwurf von unternehmensweiten Gestaltungsrichtlinien, die dann auch verbindlich eingehalten werden müssen. Hierbei muss man das Rad nicht neu erfinden. Grundlegende Empfehlungen finden sich z. B. in [3] oder [4]. Gut gelungen ist auch der 2004 veröffentlichte „Leitfaden Software-Ergonomie" des VDMA. Unter der Beteiligung mittelständischer Mitgliedsunternehmen ist hier ein sehr praxisnahes Werk entstanden, das speziell auf die Bedienung von Maschinen zugeschnitten ist.
Nachfolgend soll an einem Beispiel-Dialog gezeigt werden, wie sich eine komplexe Dateneingabe relativ übersichtlich und benutzerfreundlich darstellen lässt.
Entsprechend der üblichen Herangehensweise ist die Bearbeitungsreihenfolge grob von oben links nach unten rechts ausgerichtet.
- Die Baumansicht links verschafft einen Überblick über die im Dialog angebotenen Themen. Die aktuell vorhandenen 6 Kategorien mit jeweils bis zu max. 5 Unterpunkten lassen sich vom menschlichen Auge gut erfassen.
- Je nach Auswahl im Baum wird der Teil des Dialoges rechts der Baumansicht dynamisch komplett ausgetauscht.
- Rechts bekommt der Anwender in einem Vorschau-Fenster einen ersten Eindruck seiner getroffenen Auswahl.
- Über den Hilfe-Button links unten kann das Hilfesystem zum aktuellen Anzeige-Kontext aufgerufen werden.
- Über den Button in der Mitte unten kann die ursprüngliche Farbeinstellung wiederhergestellt werden. D. h. sollte sich der Anwender bei seiner Auswahl nicht mehr sicher sein, gibt es immer ein Zurück in den (sinnvollen) Grundzustand.
Fazit
Der beste Bildverarbeitungs-Algorithmus nützt nichts, wenn ihn der Anwender nicht parametrieren, sprich „bedienen" kann. Insbesondere in einer traditionell technikverliebten Branche wie der Industriellen Bildverarbeitung müssen Aspekte der Bedienerfreundlichkeit und Software-Ergonomie dringend beachtet werden. Entscheidend ist, dass der hohe Grad an interner Komplexität durch eine vorbildliche Bedienerführung kompensiert wird.
Die Qualität der Bedienoberfläche ist von zentraler Bedeutung für Lust oder Frust beim Anwender. Ein gut gestaltetes User-Interface beeinflusst massiv den Faktor „Time-To-Market" in der Entwicklungs- bzw. Projektierungsphase und die Robustheit des Systems nach Inbetriebnahme in der Anwendungsphase.
Der Aufwand für die Spezifikation, Implementierung und Pflege von Bedienoberflächen ist beträchtlich. Es lohnt sich aber für den Hersteller, hier zu investieren, da ein gutes Anwendererlebnis zu loyalen Benutzern führt.
Literatur
[1] Wirtschaftswoche, Heft 51/2007
[2] ZMMI TU Kaiserslautern
[3] Developing User Interfaces for Microsoft Windows, Microsoft Press
[4] User Interface Design for Programmers, Apress
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