„Wir liefern den Ikea-Schrank der industriellen Bildverarbeitung“
Interview mit Peter Neuhaus, Geschäftsführer von Autovimation
inspect: In Bildverarbeitungsanwendungen werden die Komponenten manchmal stark beansprucht, etwa in der Lebensmittel- oder Chemieindustrie. Autovimation hat sich auf Gehäuse und Montagezubehör spezialisiert, die sich unter anderem für genau solche Fälle eignen. Was genau umfasst ihr Portfolio?
Peter Neuhaus: Die meisten Kunden kennen uns als Lieferant von industriellen Kameraschutzgehäusen. Unser Ansatz ging aber von Anfang an weit darüber hinaus: Seit 2008 bieten wir ein komplettes Montagesystem für alle benötigen Bildverarbeitungskomponenten an, sodass der Integrator mit unseren Schwalbenschwanzprofilen, -Klemmen und Gehäusen zum Kunden fahren und sein Bildverarbeitungssystem (BV) – mit oder ohne Schutzgehäuse – direkt an der Anlage installieren kann.
Kameras und Beleuchtungen lassen sich dabei präzise entlang der Schwalbenschwanzführungen positionieren und mit gefrästen Drehgelenken frei orientieren. Einmal montiert, weisen die Klemmen eine Verschiebefestigkeit von bis zu 3.000 N und die Gelenke eine Verdrehfestigkeit von 90 Nm auf und damit nicht nur für den Laboreinsatz, sondern auch die dauerhafte industrielle Anwendung geeignet.
Wenn Sie so wollen, liefern wir den Ikea-Schrank der industriellen Bildverarbeitung. Selbst ähnlich einfache Anleitungen schicken wir mit – ebenso unterstützen wir vorab als Teil unseres Services mit der passgenauen Auswahl aller benötigten Komponenten – auch nach grober Handskizze der Kundenanwendung.
inspect: Wie sind Sie auf diese Geschäftsidee gekommen?
Neuhaus: Ich habe früher selbst BV-Systeme installiert und mich immer über den immensen Konstruktionsaufwand dafür geärgert. Dann dreht man am Fokus, das Bild wird zu klein und man muss wieder die Kamerahalterung ändern. Gleiches gilt für Beleuchtungsbefestigungen, die zunächst immer im falschen Winkel geplant werden. Bei der Bildverarbeitung muss man eben viel ausprobieren. Auch mal eben eine Machbarkeitsstudie beim Kunden durchzuführen, ist so nicht kostendeckend umsetzbar.
Für Kamerahalterungen sind T-Nut-Profilen aus dem Maschinenbau nicht geeignet – Schraubbefestigungen mit Nutensteinen sind nicht dauerhaft vibrationsfest, ein exakt lineares Verschieben der Kamerahalterung entlang des Profils ist nicht möglich. Auch Drehgelenke mit nur einer Schraube verstellen sich schnell und schon wird man vom Kunden zu einem teuren Wartungseinsatz eingeladen.
In meinem letzten Job habe ich dann Anwendern die Programmierung von Smartkameras erklärt und hatte das Gefühl, dass die noch ganz andere Probleme haben: Wie installiere ich die Kamera an der Anlage und das möglichst ohne externen Maschinenbauer? Die
Kernkompetenz von BV-Integratoren liegt ja schließlich in der Programmierung. In Optik und Elektronik muss sich der Anwender auch noch reinfuchsen, da kann er sich nicht noch um den Anlagenbau kümmern. Damit war die Idee für ein einfach zu nutzendes, mechanisches Baukastensystem für Bildverarbeitung geboren.
inspect: Für welche Anwendungen und Szenarien sind Ihre Produkte geeignet?
Neuhaus: Zusätzlich zum universellen mechanischen Baukastensystem bieten wir umfangreiches Zubehör an, welches den Einsatz von Kamerasystemen in nahezu jeder Umgebung ermöglicht.
Beispiele hierfür sind unsere Schutzgehäuse mit Wasser- und Peltier-Klimatisierung für den Einsatz bei hohen oder niedrigen Temperaturen. Unsere Luftdüsen, Windvorhänge und Schutzklappen erlauben auch den Kameraeinsatz in schmutzigen/staubigen Umgebungen.
In den letzten Jahren haben wir zudem einen kompletten V4A-Edelstahl-BV-Montagebaukasten in Hygienedesign und IP69k- Schutz nach strikten EHEDG-Vorgaben auf den Markt gebracht. Hiermit lassen sich ebenso „aus dem Kofferraum heraus“ gesetzeskonforme BV-Anlagen in sensibler Food-, -Pharma- und Reinraumproduktion installieren, die auch den aggressivsten Reinigungsmitteln Stand halten und ausschließlich Materialien mit FDA-Zulassung verwenden. Um Beständigkeit oder Zulassung von Kabeln braucht sich der Anwender auch keine Gedanken zu machen, da diese im Inneren der Montagerohre oder Hygieneschläuche geführt werden.
inspect: Was war die krasseste Anwendung, in der eine Ihrer Komponenten zum Einsatz kam?
Neuhaus: Die krasseste Anwendung hatten wir sicherlich in der Kartonproduktion – da sah es aus wie im Schneegestöber. Hierfür hatten wir ein Pin-hole-Gehäuse mit Luftspülung konzipiert. Unter solchen Bedingungen noch Bildverarbeitung zu machen ist schwierig, aber oft machbar – hier muss man verschiedene Lösungen ausprobieren.
2012 mussten wir unter großem Zeitdruck thermo-elektrisch gekühlte Gehäuse für das größte Solarkraftwerk der Welt in der Mojavewüste in Kalifornien bauen. Die Kameras sollten mit einem Fischauge senkrecht in den Himmel schauen, wofür wir eine Dome-Glaskuppel brauchten, die natürlich wie ein kleines Gewächshaus über dem Objektiv noch mehr Sonne einfing und das bei bis zu 56 °C Umgebungstemperatur und 1.000 W/m2 Sonneneinstrahlung. Die Kameras haben Gott sei Dank bis jetzt überlebt und die Turtle-Gehäuse sind mittlerweile weltweit bei Außenanwendungen mit erweitertem Temperaturbereich im Einsatz.
inspect: Was bieten Sie für sehr spezielle Anwendungsbereiche an, etwa schwer zugängliche und beengte Bereiche?
Neuhaus: „Size does matter“ für viele Anwendungen und deshalb bieten wir so viele Gehäusegrößen an. Unser Colibri baut mit 50 x 50 mm Querschnitt um die typische 29 x 29 mm Kamera herum nur 1 cm auf und passt damit in die kleinste Anlage. Ist der Platz in Richtung optischer Achse begrenzt, lässt sich ein Salamander mit 90° Umlenkspiegel verwenden, was zum Beispiel in beengten Klimakammern hilfreich ist.
Mithilfe unserer Spezialdichtungen können wir zudem in nur 4 mm dünne Gehäusewände Scheiben mit Schutzgrad IP66/IP67 einbauen und so sehr kompakte Schutzgehäuse für Embedded-Vision-Systeme auch mit mehreren Scheiben von 16,5 bis 30 mm Durchmesser fertigen. Die Dichtungen gleichen dabei die unterschiedliche Wärmedehnung der Materialien aus – Undichtigkeit durch Reißen einer Klebeschicht wird so vermieden. Beispiele hierfür sind unsere kompakten Chamäleon-XS-Gehäuse für Intel-Realsense-Kameramodelle oder die flachen Colibri-Deckel für kompakte S-Mount-Objektive.
inspect: Ist es auch möglich, eine individuelle Lösung zu bekommen?
Neuhaus: Durch die Kombination unserer inzwischen über 700 Produkte schaffen wir es in der Regel, auch individuelle Lösungen aus Fertigteilen – eventuell mit geringen Anpassungen – kostengünstig zu realisieren. Auch hierfür erweitern wir gerade unseren Maschinenpark.
Bei höheren Stückzahlen oder wenn wir glauben, dass auch andere Kunden Bedarf haben, entwickeln wir auch komplett neue Lösungen. Schließlich kommen ständig neue Kameras auf den Markt und die Bildverarbeitung erschließt immer neue Anwendungsbereiche. So haben wir fast alle unsere Produkte den kreativen Ideen unserer Kunden zu verdanken.
inspect: Bei eingehausten Kameras könnte man auf die Idee kommen, dass die Komponenten ohne aktive Kühlung zu heiß werden. Stattdessen ist aber häufig das Gegenteil der Fall. Wie stellen Sie das Abführen der Abwärme sicher?
Neuhaus: Bei konventionellen Kameraschutzgehäusen, wie man sie auch aus der Überwachungstechnik kennt, überhitzen grade die leistungsstarken BV-Kameras, weil die Wärmeableitung zum Außengehäuse fehlt und die Innenluft weiter erwärmt wird.
Autovimations patentierte Quick-Lock/Heat-Guide-Kamerabefestigung schafft hier Abhilfe – die Kamera wird in beliebiger Position mit sehr guter Wärmeanbindung im Gehäuse fixiert, sodass dieses als passiver Kühlkörper für die eingebaute Elektronik wirkt. Hierdurch sinkt die Kameratemperatur um bis zu 23 K, sodass diese bei entsprechend höheren Umgebungstemperaturen eingesetzt werden kann.
inspect: Im umgekehrten Fall: Was bietet Autovimation für Anwendungen, in denen die Komponenten Hitze ausgesetzt sind?
Neuhaus: Werden Umgebungstemperaturen von 45 °C überschritten, ist selbst mit guter passiver Kühlung das thermische Limit von meist 50 °C Kameratemperatur erreicht.
Mit unseren Peltier-klimatisierten Turtle-Gehäusen lässt sich der Einsatzbereich in der Regel auf 70 °C Umgebungstemperatur erweitern. Umschaltfähige Regler schalten bei kalten Temperaturen automatisch in den Heizbetrieb – ideal für Gegenden, in denen es auch sehr kalt werden kann. Die rein elektrische Temperierung ist einfach an jedem Ort einsetzbar und lässt sich auch autark mit Solarzellen betreiben.
Für darüberhinausgehende Temperaturen von -40 bis 200 °C bietet Autovimation komplette Wasserkühlsysteme an, die genau wie der Kühler eines Autos funktionieren. Das Kühlmittel fließt dabei durch eine am Kameraschutzgehäuse befestigten Kühlplatte, welche die Kamera durch die Gehäusewand kühlt. Das erwärmte Wasser wird dann bei Raumtemperatur mithilfe der Umgebungsluft im Radiator wieder heruntergekühlt. Die Wasserkühlung eignet sich daher besonders für Bildverarbeitung bei heißen Industrieprozessen oder Klimakammeranwendungen, bei denen zum Beispiel jedes im Fahrzeug verbaute Teil von -40 bis 120 °C getestet werden muss. Kameraüberwachung ist hier oft erforderlich, weil nur dadurch der Ausfallzeitpunkt bei den oft tagelangen Tests bestimmt werden kann. Kühlung und auch Heizung erfolgt hier automatisch, da das Wasser durch den Radiator der Raumtemperatur angenähert wird.
inspect: Welche Neuheiten haben Sie für das Jahr 2023 in petto?
Neuhaus: Wir haben grade ein neues Stingray-IP66-Gehäuse für Kameras bis 75 x 75 mm Querschnitt herausgebracht. Fertig ist dafür schon eine Version für TOF-Kameras vom IFM und Lucid mit separaten Fenstern für LEDs und Kameraoptik.
Ein noch größeres Gehäuse – der Elefant für Kameras bis 100 x 100 mm Querschnitt ist in Arbeit und wird dann das Mammut ersetzen und auch die neue Basis für das Peltier-gekühlte Turtle sein.
Auch nach 14 Jahren konnten wir unsere Quick-Lock/Heat-Guide-Kamerabefestigung noch verbessern. Auch Kameras, die 1 mm höher als angegeben sind, können jetzt montiert und einfacher als vorher horizontal im Gehäuse ausgerichtet werden. Zudem reicht jetzt zur Fixierung der Zugang nur von vorne oder hinten – vorteilhaft bei großen Objektiven oder wenn die Gehäuse von hinten schlecht erreichbar sind.
In Serie geht jetzt ein Hygienegehäuse aus V4A und mit IP69k für Specims FX10- und FX17-Kameras, da diese oft in der Lebensmittelproduktion zur Fremdkörperdetektion eingesetzt werden.
Fertig ist auch unser langersehntes Ex-Schutz-Gehäuse, die Tuatara auf Orca Basis befindet sich aber noch in der Zertifizierung. Es kann in Zone 1 und 21 eingesetzt werden und erfüllt die Zündschutzarten d und e nach Atex (druckfeste Kapselung und erhöhte Sicherheit).
Ferner ergänzen wir unser Programm an kompakten Linearachsen auf Schwalbenschwanzbasis mit feinverstellbaren Dreh- und Neigegelenken, die vor allem bei der Orientierung von Zeilenkameras und -Beleuchtungen hilfreich sein werden.
Autor
David Löh, Chefredakteur der inspect