Wiederverwendung von Styroporbehältern dank Kamerasystem
11.12.2024 - Visuelle Inspektion von Kühlboxen für die Pharma- und Lebensmittelindustrie
Auch während des Transports muss die Kühlkette eingehalten werden. Deshalb setzt die Lebensmittel- und Pharmaindustrie Kühlboxen aus Styropor ein. Diese wurden bislang als Einwegprodukte benutzt. Ein Hersteller hat das geändert: Mit Hilfe eines Recyclingkreislaufs können die Boxen nun bis zu 15 Mal wiederverwendet werden. Dazu prüfen Stereokameras die Behälter auf Dellen, Ausbrüche und Beschädigungen.
Eutecma stellt Kühllösungen für den Transport temperaturempfindlicher Produkte im Lebensmittel- und Pharmabereich her. Mit dem Geschäftsbereich Retecma realisiert das Mannheimer Unternehmen nun den ersten Recyclingkreislauf für modulare Kühlboxen in Größen von 4 Liter bis 1588 Liter. Diese EPS-Boxen aus Styropor sind mit RFID-Chips ausgestattet, die jeder Komponente eine eigene Identität mit Typ, Gewicht und Anzahl der Recyclingzyklen geben. Gebrauchte oder nicht mehr benötigte Boxen können an sogenannten Refreshment-Centern abgegeben werden und gelangen von dort in einen Kreislauf, der die Wiederverwendung garantiert.
In diesen Refreshment-Centern werden sie bei der Annahme gescannt und automatisch im System registriert. Anschließend werden die Boxen gewogen, um eventuell fehlendes Material zu identifizieren, und anschließend mit Hilfe eines Kamerasystems und künstlicher Intelligenz überprüft. Ist die Box in Ordnung wird sie mit UV-Licht bestrahlt, bedampft und wieder in den Kreislauf zurückgeführt. Entspricht eine Box nicht dem vorgegebenen Gewicht oder stellt die optische Inspektion einen Fehler oder eine Beschädigung fest, wird die beschädigte Komponente aussortiert und recycelt.
Bildverarbeitung sichert Kreislaufwirtschaft
Hier kommt Phil-Vision ins Spiel. In einer Anlage vermisst ein Kamerasystem die aus mehreren Modulen bestehenden, zurückgelieferten Boxen, vergleicht sie mit den entsprechenden 3D-Modellen und prüft die Außenhülle auf Beschädigungen – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. Die so geprüften Transportbehälter können unter optimalen Bedingungen mehr als 15-mal wiederverwendet werden, wenn sichergestellt ist, dass sie keine Beschädigungen aufweisen.
Was die Aufgabe so anspruchsvoll macht ist die Tatsache, dass die Boxen nicht sortenrein, sondern bunt durcheinander in der Prüfanlage ankommen. Vorgelagerte Prozesse sorgen jedoch dafür, dass die Steuerung das aktuelle Modell kennt und die entsprechenden 3D-Daten laden kann. Die Schwierigkeit besteht darin, die unterschiedlichen Größen zu erfassen und eine ausreichende Auflösung auf ein unterschiedlich großes Messvolumen zu bringen.
Nach anfänglichen Experimenten mit ToF/LIDAR-Technologie, fiel die finale Entscheidung für den Einsatz von Stereokameras. Ein entscheidender Vorteil der Stereokameras in Kombination mit Pattern-Projektoren ist laut Projektleiter Markus Kirstein die hohe Flexibilität hinsichtlich der zu untersuchenden Materialien. Befragt nach den wesentlichen Herausforderungen an das Bildverarbeitungssystem nennt Kirstein Haltbarkeit, Zuverlässigkeit, Performance und Wiederholgenauigkeit.
Für flexible Erfassung und hohe Genauigkeit
Der für die visuelle Inspektion eingesetzte Sensorkopf besteht aus fünf Stereoköpfen mit 20 MP-GigE-Kameras, die in einem Abstand von 1.550 mm zu den Transportrollen montiert sind, eine Fläche von rund 200 x 160 cm erfassen und die Boxen viermal von schräg oben und einmal von oben aufnehmen. Aus den so gewonnenen Daten wird ein 3D-Bild erzeugt, das anschließend mit dem entsprechenden CAD-Modell verglichen wird. Die Berechnungen erfolgen auf einem IPC, der über Profinet angebunden ist.
Die Kameras werden über die GigE-Vision-Schnittstelle eingezogen und mit der Bildverarbeitungssoftware Halcon kalibriert und rekonstruiert. Das Matching und die Überprüfung der Punktabstände zum gematchten Modell erfolgen in einer selbst entwickelten Komponente. Eine weitere Schwierigkeit bei der Anwendung liegt unter anderem in der Unterscheidung zwischen Hauptfehlern, Pseudofehlern und Artefakten sowie dem Auftreten von Materialabweichungen. Weicht das Material signifikant vom CAD ab, können Fehler nur mit großem Aufwand gefunden werden.
Überprüfung auf minimale Beschädigungen
Aktuell prüft die Anlage die Boxen auf Dellen und Ausbrüche > 5 mm. Aus diesem Grund ist eine hohe Genauigkeit extrem wichtig. Die Fehlererkennung erfolgt zunächst auf Basis eines Fehleralgorithmus als Grundlage für eine zukünftige Kategorisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Werden Fehler nicht korrekt erkannt, können fehlerhafte Teile als „in Ordnung“ durchgehen oder gute Teile als „nicht in Ordnung“ kategorisiert werden, was zu einer Verzerrung der Materialströme und zu Kundenreklamationen führen kann.
Die Zusammenarbeit mit Phil-Vision begann im Sommer 2022 nach mehreren Gesprächen mit einer Machbarkeitsstudie und anschließender Komponentenauswahl und umfasst mittlerweile die Integration, Kalibrierung, Generierung der Punktwolken und die IPC-Kommunikation über Profinet. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit ist eine Lösung entstanden, die seit Mai 2024 im produktiven Einsatz ist.
Zusammenfassung
Patrick Gailer, Projektverantwortlicher bei Phil-Vision fasst die Herausforderungen der Anwendung zusammen: „Das System muss schnell arbeiten und mit hoher Auflösung die Position der Punkte in einem großen Messfeld präzise erkennen. Hier bewähren sich unsere Stereokopflösungen. Phil-Vision kann durch seine flexible Stereo-Kameratechnologie die benötigte Auflösung und die Sichtwinkel präzise an die Anwendung anpassen. Der Kunde erhält fertig kalibrierte Stereo-Kameraköpfe, die nach einem einfachen Kalibrierprozess zu einer Punktwolke zusammengefügt werden können.“ Dabei bleiben die Objekte in der Punktwolke auch bei großen Messfeldern maßhaltig – im Gegensatz zur TOF-Technologie. So können die Daten anschließend gegen CAD-Daten oder Golden Samples verglichen werden. Bei dieser Anwendung wird die Dichte der Punkte anschließend lokal wieder reduziert, um die Verarbeitungszeit zu verkürzen. Die globale Maßhaltigkeit bleibt erhalten.
Ein großer Vorteil von Stereokameras ist, dass statt der Punktwolke auch die 2D-Bilder für die Verarbeitung oder KI verwendet werden können. Da auch die 2D-Bilder kalibriert sind, kann für die Verarbeitung zwischen 3D und 2D gewechselt werden. Dies bietet eine enorme Flexibilität, da neben der Tiefeninformation auch alle anderen Informationen wie Kontraste und Farben in voller Auflösung genutzt werden können.