Grundlagen

Wie Maschinenbauer die Digitalisierung meistern

19.01.2021 - Der Einstieg in Industrie 4.0 ist nicht einfach. Es genügt nicht, einfach nur ein Cloud-Interface anzubieten. Neben Hard- und Software braucht es auch Ideen, um mit neuen Services erfolgreich zu sein.

Jahrelang verfolgte die Industrie-Automation das gleiche Ziel mit den gleichen Mitteln: mehr Profit, weniger Kosten. Ressourcen wie Energie, Wasser, Arbeitskraft sollen einspart, Ausgangsmaterialien besser genutzt werden, indem die Qualität verbessert und der Ausschuss reduziert wird. Dazu die Beschleunigung des Durchlaufs, Minimierung von ungeplanten Stillständen und die effizientere Nutzung der Produktionsmittel. In jüngster Zeit kamen Anforderungen wie eine schnellere Umstellung der Produktion im Sinne einer kurzen Time-to-Market hinzu, beziehungsweise eine größere Transparenz der Produktion und eine generelle Flexibilisierung bis hin zu einem hohen Grad der Maschinenautonomie, die eine wirtschaftliche Fertigung individueller Produkte (Losgröße 1) ermöglichen.
Eine umfangreichere Sensorik verbunden mit einer durchgängigen, schnellen Datenübertragung ermöglichte die Ausweitung der Automatisierung. Und wo das nicht gelang, sollten wenigsten schnellere und bessere Entscheidungen die OEE im Sinne der oben genannten Punkte positiv beeinflussen. So konnte jedes Jahr die Produktivität um einige Prozentpunkte gesteigert werden. Die Technologien entwickelten sich weiter, die grundsätzlichen Konzepte dagegen nicht.

Digitale Transformation

Mit dem digitalen Wandel steht Automatisierern und Maschinenbauern, Industrie-Unternehmen und deren Kunden inzwischen eine völlig neue Entwicklung ins Haus. Statt einer schrittweisen Weiterentwicklung ermöglicht die Industrie 4.0 einen sprunghaften Fortschritt bei Produktivität und Profit. Wer diese Entwicklung nutzt, schafft für sich und seine Kunden einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Wer die Chancen dagegen nicht rechtzeitig nutzt, fällt zurück und setzt sich dem Risiko aus, vom Markt verdrängt zu werden.
„Disruptiver Moment“ wird dieser Punkt der Entwicklung oft genannt – und Beispiele wie AirBnB und Uber hinterlassen oft den Eindruck, dass der „alten Industrie“ die völlige Zerstörung drohe, wie dem einstigen Fotopionier Kodak, der 2012 Insolvenz anmelden musste. Doch dieser Eindruck ist falsch. Denn jeder kann die nun mögliche Weiterentwicklung für sich nutzen und davon profitieren. Die Frage ist nur: Wie?

Mehr als nur Technik

„Wir haben einen Punkt erreicht, an dem sich die Entwicklung radikal verändert“, so Jan Vestbjerg Koch von Lenze. Nach der Entwicklung leistungsfähiger Steuerungstechnik und Industrie-PCs, der Vernetzung der Produktionsanlagen mittels schnellem Industrial-Ethernet und einem steilen Anstieg des Software-Anteils an der Wertschöpfung im Maschinen- und Anlagenbau sei nun eine neue Ära angebrochen, die sich zunächst durch das Zusammenwachsen von OT und IT bemerkbar macht. „Das ist ein qualitativer Sprung  – der disruptive Moment ist gekommen“, so Koch. Am augenfälligsten sind die Möglichkeiten, die sich heute aus dem Cloud-Computing für die Industrie ergeben. Aus der Big-Data-Analyse lassen sich bereits mittels Mustererkennung und komplexen Vorhersagen sichtbare Erfolge beim Qualitätsmanagement und der Wartung erzielen – Stichworte sind hier die statistische Prozesskontrolle (Statistical Process Control, SPC) und Predictive Maintenance.
Und auch die Weiterentwicklung ist in Teilen bereits vorgezeichnet: Machine Learning und künstliche Intelligenz sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern mancherorts bereits im Einsatz. Diese Anwendungen gehen weit über das hinaus, was die evolutionäre Entwicklung der Automatisierungstechnik an Produktivitätszuwachs hätte leisten können. Daraus erwachsen völlig neue Möglichkeiten zur Gestaltung von Services, Kundenprozessen und ganzen Geschäftsmodellen.

Vorausschauende Wartung als Beispiel

Wie das funktionieren kann, zeigt Koch am Beispiel Predictive Maintenance. Beim bisherigen Modell, dem Condition Monitoring, werden Messdaten in Echtzeit erhoben. Die Steuerung sorgt dafür, dass die festgelegten Grenzwerte nicht über- oder unterschritten werden. Die vorausschauende Wartung dagegen setzt auf eine komplexe Vorhersage auf Basis der aktuellen Daten, um die Zeit abzuschätzen, bis sich Zustände ändern oder den zulässigen Bereich zu verlassen drohen.
„Predictive Maintenance ist ein eigenes Geschäftsmodell – der OEM kann seinem Kunden einen zusätzlichen Service anbieten, in dem er verlängerte Lebensdauer, verbesserte Produktivität beziehungsweise erhöhte Wertschöpfung ermöglicht“, führt Koch aus. Die Verbindung des Shop Floors mit den IT-Systemen und den darin gespeicherten Daten macht auch weitere Angebote denkbar.
Für Predictive Maintenance ist die nötige Infrastruktur durch Sensoren, Netzwerktechnik und eine passende Anwendung gegeben. Lenze bietet dafür eine eigene IIoT-Applikation an, das Asset Management. Durch eine Bestandsaufnahme der gesamten Maschine werden alle relevanten Komponenten der Maschine („Assets“) mit Seriennummer, Gerätekennzeichnung, Einbaulagen-Fotos und Funktionsbereich in der Lenze-Asset-Management-Software vor Ort aufgenommen. Dieser Datenstamm wird angereichert mit Informationen wie zum Beispiel Lieferzeiten oder Verfügbarkeit, Wartungsintervalle, dem Lebenszyklus der Komponente, sowie Dokumentationen wie Bedienungsanleitungen und vielem mehr. Dadurch entsteht ein digitaler Zwilling, der als Basis für verschiedene Servicepakete dienen kann.
„Das entscheidende ist, dass die Anwendung sich in die bestehende Infrastruktur mit Komponenten unterschiedlicher Hersteller, das Brownfield, einfügt, und hier einen Single Point of Truth darstellt“, so der Experte von Lenze. Alle relevanten Daten an einem Ort, mit verlässlicher Qualität und einer hohen Frequenz erhoben, bieten die Grundlage für eine Intelligenz direkt am Ort des Geschehens. Diese kann neben Predictive Maintenance beispielsweise auch bei der Konzeption eines Retrofits behilflich sein.

Ausgangspunkt für weitere Services

Zu weiteren Services, die Lenze auf Basis der Asset-Management-Applikation anbietet, gehört Remote Maintenance. Bei Problemen kann der Techniker vor Ort mit einem Scan des Typenschilds via Smartphone auf das digitale Handbuch zugreifen und sich die nötigen Informationen holen. Mit Smart Devices und der Lenze-Service-App können Probleme oder Störungen ortsunabhängig via Live-Bild zum Hersteller-Service übertragen, erörtert, dokumentiert und behoben werden. Sollte sich herausstellen, dass ein Ersatzteil gebraucht wird, kann auf dem gleichen Weg ein Service-Ticket erstellt werden, das alle Asset-Informationen enthält. So kommt es nicht mehr zu Fehlbestellungen wie zuvor bei der manuellen Erfassung der Konfiguration, wenn beispielsweise links- oder rechtsgerichtete Varianten verwechselt wurden.
Eine weitere Möglichkeit ist das Maschinen-Monitoring. Dazu gehört unter anderem die Darstellung der OEE-Werte und der Wartungszyklen der installierten Komponenten. Zusätzlich kann die Anwendung mit Alarmfunktionen der Maschine oder der Komponenten verknüpft werden und diese visualisieren.

Cloud als Einstiegspunkt

Aus Sicht des Herstellers ist es wichtig, einerseits eine vollständige Lösung anzubieten, andererseits beide Perspektiven im Blick zu haben, weiß Jan Vestbjerg Koch. Der Kunde denke device-zentriert. „Im Gerätebereich müssen wir den Standards und den relevanten Marktentwicklungen folgen, da unsere Produkte, beispielsweise die Antriebe, hier in Verbindung mit einer breiten Palette von Komponenten anderer Lieferanten zum Einsatz kommen.“ Der OEM dagegen agiere maschinen-zentriert. „Die Anforderungen eines Maschinen-Controllers sind völlig verschieden von denen eines Antriebs-Controllers“. Die von Lenze angebotenen Lösungen berücksichtigen daher beide Fälle. Zum einen „sprechen“ die Lenze-Devices MQTT und fügen sich daher in die Brownfield-Infrastruktur des Endkunden ein, so dass dieser beliebige IIoT- und Cloud-Plattformen einsetzen kann. Damit der OEM Komplett-Lösungen entwickeln kann, bietet Lenze im Rahmen einer Kooperation die sicheren Cloud-Gateways von Ei3 an, die OPC UA unterstützen. Eine eigene Cloud hat Lenze dagegen nicht kreiert. Der Kooperationspartner Ei3 bietet demnächst eine Lösung in einem eigenen, Dekra-zertifizierten Rechenzentrum in Deutschland an.
Die Connectivity-Boxen von Ei3 – eine für den Einsatz direkt an der Maschine, die andere mit integrierter Firewall als Gateway für das gesamte Netzwerk – lassen sich im Plug-and-Play-Verfahren integrieren. Diese Infrastruktur bietet die Basis für das Predictive Maintenance, kann aber auch für eigene Services des OEMs genutzt werden. „Das API lässt verschiedene Varianten zu. So kann der OEM frei skalieren. Einfache Anwendungen, wie eine automatische Ersatzteil-Bestellung, lassen sich beispielsweise von der Lenze-Tochter Logicline per Salesforce realisieren. Der OEM kann aber auch ein größeres Software-Projekt mit den Digitalisierungs-Töchtern von Lenze, Logicline oder Encoway, aufsetzen. Oder, die nötigen Ressourcen vorausgesetzt, eine eigene Lösung entwickeln, die mit der Cloud kommuniziert.“

Die geheime Zutat: Geschäftsideen

Für einen Automatisierer wie Lenze heißt das, selbst aktiv zu werden. Unter den Vorzeichen einer Industrie 4.0 genüge es nicht mehr, nur auf technische Entwicklungen und Anforderungen der OEMs und der Industrie-Unternehmen zu achten. Stattdessen müsse man aktiv Angebots-Ideen entwickeln, innovative Services erfinden und neue Geschäftsmodelle aufzeigen, wenn man weiterhin an der Spitze der Entwicklung stehen wolle. „Der OEM braucht nicht mehr nur Hardware und Software, für ihn wird immer entscheidender die Brainware“, bekräftigt Koch.
Denn die Entscheidung, wie ein Produkt, eine Maschine, eine Anlage auszusehen hat, werde immer weniger nach den zur Verfügung stehenden Komponenten entschieden – die gleichen sich herstellerübergreifend immer mehr an. Sie bieten aber andererseits eine unverzichtbare Basis für die Zusammenarbeit. Ein umfassendes Hardware-Portfolio für die Industrie-Automation gehört dazu ebenso wie die passende Software inklusive der Entwicklungswerkzeuge, beispielsweise die Fast-Toolbox, die Modularisierung unterstützt. „Am Ende entscheidet das Gesamtpaket“, ist Jan Vestbjerg Koch überzeugt: „Skalierbarkeit, Flexibilität, Vollständigkeit und Einfachheit der Lösung auf der einen Seite, ein begeisternder Value Add, der sich in Wertschöpfung oder Profit ummünzen lässt auf der anderen Seite – das sind die Zutaten, mit denen OEMs und Anwender die digitale Herausforderung erfolgreich meistern“.

So bewältigen Sie die Digitale Herausforderung:

  • Wenn Sie sich bisher noch nicht auf den Weg gemacht haben, dann tun Sie es jetzt. Wenn Sie bereits auf dem Weg sind, beschleunigen Sie Ihr Tempo.
  • Suchen Sie sich starke Partner. Bereichsübergreifende Innovationen basieren häufig auf bereichsübergreifenden Partnerschaften.
  • Investieren Sie lieber früher als später in die für Sie optimale Cloud-Strategie.
  • Lassen Sie sich durch Sicherheitsfragen nicht verunsichern, aber nehmen Sie sie ernst.
  • Neben den Fortschritten im Engineering-Bereich werden Plug-and-Produce-fähige Maschinenkomponenten Flexibilität und Effizienz in die Höhe schnellen lassen.
  • Noch bedeutender als technologische Fragen sind organisatorische Aspekte. Die Sieger von morgen verfügen über eine Unternehmenskultur und eine Informationsstruktur, die das gesamte Unternehmen in die Lage versetzen, schneller und kostengünstiger zu lernen.
  • Fürchten Sie sich nicht vor falschen Entscheidungen. Scheitern Sie schnell und mit möglichst niedrigen Kosten, andernfalls sind Sie schlicht zu langsam. Verlieren können Sie nicht: Entweder Sie gewinnen oder Sie lernen dazu.

Kontakt

Lenze SE

Hans-Lenze-Straße 1
31855 Aerzen
Deutschland

+49 5154 82 0
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