Wenn Zweiarm-Roboter sehen lernen
2D- und 3D-Kameras in der Leiterplattenbestückung
Die Leiterplattenbestückung in der Elektronikfertigung ist weitestgehend automatisiert. Roboter übernehmen Schritte wie SMD-Bestücken, Belöten und die automatische optische Inspektion (AOI). Eine Ausnahme bildete bislang die Durchsteckmontage sogenannter Drahtbauteile wie Kondensatoren, Leistungsspulen und Steckverbindern. Diese wird immer noch weitestgehend per Handmontage durchgeführt, weil dieser Prozess bisher als zu komplex galt, um ihn zu automatisieren.
Genau das stellte die Ingenieure von Glaub Automation & Engineering in Salzgitter vor eine Herausforderung. Geschäftsführer Niko Glaub erzählt: „Ein Kunde richtete an uns die konkrete Anfrage, ob wir nicht doch eine Lösung für die Automatisierung dieses Schrittes finden könnten.“ Dies war der maßgebliche Ansporn dazu, eine Lösung zu erarbeiten. Das Team machte sich ans Werk und fand eine ausgesprochen unkonventionelle Lösung: Das Bestücken übernimmt ein zweiarmiger kollaborativer ABB-Roboter vom Typ Yumi, der mit seinen beiden Armen doppelt so schnell bestücken kann wie ein konventioneller Roboter.
Der automatisierte Prozess in der kompakten GL-THT-Easy-Roboterzelle läuft folgendermaßen ab: Dem Roboter werden über eine Förderstrecke Blister zum Beispiel mit Kondensatoren bereitgestellt. Über einen Datamatrix-Code am Blister wird der Artikel identifiziert. Der Yumi greift dann einen Kondensator nach dem anderen aus dem Blister und steckt ihn präzise auf die Leiterplatte. Alternativ kann er die elektronischen Bauelemente zum Beispiel auch aus einem ESD-Behälter oder von einem Vibrationsförderer entnehmen. Direkt danach erfolgt von unten das Verlöten. Leere Blister schleust das Rückführsystem der Anlage aus und volle werden anschließend automatisch zugeführt.
Zielgerichteter Griff in die Kiste mittels Smartkameras
Soweit klingt das schlüssig und man mag sich fragen, warum dieser Bestückungsprozess nicht schon früher automatisiert wurde. Die Antwort: Die Robotik kam weder mit der hohen Variabilität in der Bauteilzuführung zurecht noch mit den leichten Ungenauigkeiten bei der Positionierung der Bauelemente. Deshalb waren die wenigen bisherigen Roboterlösungen sehr komplex, aufwändig in der Programmierung und nicht besonders zuverlässig im Betrieb.
Die neue Roboterzelle von Glaub jedoch verwendet erstmals Smartkameras, die auf der Bildverarbeitungstechnologie von Cognex aufsetzen. Die Positionserfassung der Bauteile in den Blistern übernehmen 3D-Flächensensoren – und sie ermöglichen auch den zielgerichteten Griff in die Kiste beziehungsweise in den Vibrationsförderer. Anschließend vermessen Flächenkameras die Kondensatoren sowie die Leiterplatten.
Intelligente Kombination von Robotik und Bildverarbeitung
Die Bildverarbeitung hat also einen großen Anteil am Erfolg dieses Konzeptes. Um die für diese Anwendung geeigneten Kameras auszuwählen, haben die Ingenieure von Glaub mit der in Wendeburg ansässigen M-VIS Solutions zusammengearbeitet. Das Unternehmen ist ein Partner von Cognex, erarbeitete eine Lösung mit mehreren Kameras, die die Datamatrix-Codes auf den Blistern erfassen und jedes einzelne Bauteil genau vermessen und lokalisieren.
Vitali Burghardt, Geschäftsführer von M-VIS Solutions, erläutert: „Durch die 100-prozentige Absolutvermessung von Bauteilen und Leiterplatten kompensiert GL-THT-Easy jede Ungenauigkeit von Bauteilen, Greifern, Werkstückträgern und Förderbändern.“ Dabei werden nicht passgenaue Bauteile direkt aussortiert.
Acht Kameras pro Zelle, davon zwei 3D-Kameras
Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wählte M-VIS – unterstützt von Cognex – acht Kameras aus, vier für jeden Roboterarm. Ein Vision-System vom Typ In-Sight 7802M vermisst die Werkstücke und gibt die nötigen Informationen für die Lagekorrektur des Greifers. Ein weiteres System der Serie In-Sight 9912M vermisst die Platine und korrigiert gegebenenfalls die Bewegung des Greifers, wenn dieser das Bauteil in die Platine setzt. Und die 3D-Flächenscan-Kamera 3D-A5060 mit 3D-Lightburst-Technologie und der integrierten Visionpro-Software für die Bildverarbeitung erkennt die Position von Werkstücken in der Zuführung.
Niko Glaub erläutert diesen Schritt genauer: „Die Kameras erfassen in jedem Prozessschritt die Ist-Position des Bauteils des Greifers sowie der Platine in Relation zum elektronischen Bauteil. Anders ausgedrückt: Sie vergleichen die Beinabstände der Bauteile mit den realen Maßen der Bestückungspositionen. Das ermöglicht zunächst ein automatisches Finden und Entnehmen des Bauteils – und dann eine exakte Durchsteckmontage auf der Basis realer Positionsdaten.“
Diese Vorgehensweise bringt einen weiteren Vorteil mit sich: Da die Bewegungen Kamera-basiert gesteuert werden, kann das Bedienpersonal ohne Programmierung ein neues Bestückmuster generieren. Als Basis dienen ihm dabei die erzeugten Kamerabilder. Das vereinfacht und beschleunigt nicht nur die Montage, sondern auch das Umrüsten.
Kurze Taktzeit, schnelle Amortisation
Weil die zwei Arme des ABB Yumi parallel rund um die Uhr arbeiten, ist ein 24/7-Betrieb mit hoher Geschwindigkeit möglich – und das bei sehr kurzer Taktzeit, die je nach den zu verbauenden Komponenten und der Zuführung bei unter drei Sekunden liegen kann. Die Amortisationszeit betrug beim ersten Anwender der GL-THT-Easy etwa 14 Monate.
Die Roboterzelle punktet also gleich mit mehreren Faktoren, welche für ihren Einsatz sprechen: Innovation, Zuverlässigkeit, Effizienz und Zukunftsfähigkeit. Darum ist man sich bei Glaub und auch bei M-VIS sicher, dass diese smarte Lösung in Zukunft viele weitere Unternehmen in der Elektronikfertigung davon überzeugen wird, den Prozessschritt der Bestückung von Leiterplatten mit dieser flexiblen und effizienten Methode zu automatisieren.
Autorin
Janina Guptill, Senior Marketing Communication Specialist