Vom Exoten zum Standard
Radarsensoren zur Füllstand- und Distanzmessung in der Fabrik- und Logistikautomation
In der industriellen Automation galten Radare lange als Exoten. Die Prozessindustrie hingegen nutzt die Radartechnologie schon lange für Füllstandmessungen. Da Radare auch über große Distanzen Füllstände ohne Medienberührung zuverlässig erfassen, bieten sie in vielen Applikationen deutliche Vorteile gegenüber Ultraschall, optosensorischen oder medienberührenden Technologien. In der Fertigungsautomatisierung waren Radare lange den Safety-Sensoren zur Erfassung von Schutzfeldern beispielsweise an AGVs vorbehalten.
Mit dem LRS+ Füllstandradar aus der Fluid+ Familie hat Turck vergangenes Jahr seinen ersten hauseigenen Radarsensor auf den Markt gebracht. Die IO-Link-fähigen Radarsensoren wurden zur Füllstandmessung im Bereich von 0,35 bis 10 metern entwickelt. Die Geräte in Schutzart IP67/69K sind also für höhere Reichweiten geeignet und bieten detailliertere Möglichkeiten zur Ausblendung von Störsignalen als der Ultraschallfüllstandsensor LUS+, der ebenfalls auf der Fluid+ Sensorplattform basiert.
Zusatzdaten erleichtern – Condition Monitoring
Charakteristisches Merkmal der Fluid+ Plattform ist die Bedieneinheit mit kapazitiven Touchpads und transluzenter Frontkappe, über die der LRS+ Abstand-, Füllstand- und Volumenwerte anzeigt. Der Verzicht auf einen metallischen Führstab begünstigt den Einsatz in hygienischen Bereichen und vereinfacht die Inbetriebnahme. LRS-Sensoren sind entweder mit zwei Schaltausgängen oder mit einem Schalt- und einem Analogausgang verfügbar. Durch ihre zusätzliche IO-Link-Schnittstelle und die intelligente, dezentrale Signalvorverarbeitung stellen alle Varianten auch zahlreiche Zusatzinformationen zur Verarbeitung in Condition-Monitoring-Anwendungen im
IIoT bereit: neben der Signalstärke sind das Temperaturwerte, Betriebsstunden oder Schaltzyklen.
Visualisierte Signalkurve
Der Turck-Radar-Monitor ist ein browserbasiertes Konfigurationstool, das unter anderem die Signalkurve des Radars darstellt und Klartextzugriff auf alle relevanten Parameter bietet. Solch detaillierten Analysefunktionen waren bislang den in der Prozessindustrie eingesetzten Highend-Radarsensoren vorbehalten. Mit dem Radar-Monitor und insbesondere der visualisierten Signalkurve erleichtert Turck seinen Kunden auch in der Fertigungsautomatisierung die Einrichtung. So lässt sich beispielswiese das Störsignal eines Rührwerks oder Gitters ausblenden oder der Sensor mittels Echtzeitfeedback ausrichten, um die Zuverlässigkeit der Füllstanderfassung in anspruchsvollen Applikationen zu maximieren.
Anwendungen
Füllstandmessung im Tauchlackierbad
Eine Anwendung, in der die Vorteile einer radarbasierten Füllstandmessung zum Tragen kommen, ist die Messung des Füllstands in Tauchlackierbädern. Darin werden Karosserieteile mittels kathodischer Tauchlackierung (KTL) beschichtet – auch Kataphorese genannt. Dabei verhilft ein elektrisches Feld auch komplex strukturierten Werkstücken zu einer gleichmäßigen, haltbaren Oberflächenbeschichtung.
Um das an ein Förderband angehängte Werkstück vollständig und sicher in das Beschichtungsmedium einzutauchen, benötigen Anwender mehrere Informationen. Einerseits muss sichergestellt werden, dass das Förderband in der richtigen Höhe montiert ist. Gleichzeitig muss die korrekte Füllhöhe des Beschichtungsmediums im Becken gewährleistet sein. Eine weitere Herausforderung stellen die hohen Stromstärken dar, mit denen im Beschichtungsprozess gearbeitet wird.
Da Eintauchsensoren im Kataphoreseprozess aufgrund der starken Ströme nur bedingt eingesetzt werden können, messen Anwender die Füllstände in der Regel berührungslos. Das Fördergestänge und andere Strukturen zwischen Füllstandsensor und Tauchbad können dabei allerdings zu unerwünschten Signalen und Fehlmessungen des Tauchbadfüllstands führen.
Da hilft dem Anwender der Turck-Radar-Monitor, um Störimpulse durch Metallträger oder die Karosserie selbst auszublenden. Der Graph der Signalkurve (siehe Grafik Seite 31 oben) zeigt deutlich einen großen Peak, der vom Hauptziel, dem Tauchbad, emittiert wird, sowie kleinere Peaks, die beispielsweise durch die Transporthaken verursacht werden, an denen die Karosserieteile durch das Tauchbad gezogen werden. Diese Störimpulse können durch die individuelle Definition des Messfensters ausgeblendet werden.
Zugriff auf den Turck-Radar-Monitor erhält man über Turcks IO-Link-Master. Ohne Zusatzsoftware kann der Radar-Monitor so über den IODD-Konfigurator (IODD – IO Device Description) aufgerufen werden. Die IODD der Radarsensoren laden die Turck-IO-Link-Master selbständig herunter.
Ein weiteres Feature der Radarfüllstandsensoren LRS+ ist das alphanumerische Bicolordisplay, das der Sensor mit den anderen Fluid+ Familienmitgliedern teilt. Zur verbesserten Sichtbarkeit kritischer Füllstände kann ein Farbwechsel des Displays von grün auf rot parametriert werden. So ist für jeden Mitarbeiter direkt im Feld auch aus größerer Entfernung erkennbar, wenn kritische Füllstände erreicht werden.
Distanzmessungen im Außenbereich
Nach der Entwicklung des Füllstandradarsensors lag es nahe, die Technologie auch für Applikationen zu adaptieren, bei denen ein Display und ein Bedienmenü am Sensor nicht nötig sind – nämlich für Distanzmessungen. Daher hat Turck den ersten Distanzradarsensor der DR-M30-IOL-Reihe vorgestellt. Dieser ist mit Reichweiten von 0,35 bis 15 metern, einem Edelstahlgehäuse sowie einer Schockfestigkeit bis 100 g auch für den Einsatz in extremen Umgebungsbedingungen ausgelegt. Die Funkfrequenz des FMCW-Radars von 122 Ghz sowie die IO-Link-Schnittstelle und Schutzart IP67/IP69K hat der Sensor mit seinem Technologiependant für Füllstandmessungen, dem LRS, gemein.
Die Eigenschaften erlauben den Einsatz in rauen Applikationen in der Fabrikautomation sowie in mobilen oder Outdoor-Anwendungen. Damit eignen sich die Sensoren beispielsweise zur Distanzmessung in der Hafenlogistik, wo Opto- oder Ultraschallsensoren aufgrund ihrer begrenzten Reichweite oder wegen Störeinflüssen wie Staub, Wind oder Lichteinfall häufig ausscheiden.
Wie beim Füllstandradar erleichtert der Turck-Radar-Monitor auch beim Distanzradar die Einrichtung der Geräte durch die Echtzeitdarstellung der Signalkurve – insbesondere bei der Einstellung von Filtern zur Ausblendung von Störsignalen oder bei verzwickten Montagesituationen. Alternativ können die IO-Link-Geräte auch über IODD-Interpreter wie Pactware konfiguriert werden. Bei Montage in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander verhindert das FMCW-Messprinzip der Geräte, dass sich die Signale gegenseitig beeinflussen. Alle DR-M30-IOL-Sensoren verfügen neben IO-Link über einen Analog- und Schaltausgang, wobei der Analogausgang auch als zweiter Schaltausgang konfiguriert werden kann.
Das kann beispielsweise in Branchen wie der Hafenlogistik hilfreich sein. Dort bieten sich die Sensoren zur Distanzmessung an Containerbrücken an. Die Greifer, mit denen ISO-Container von Schiffen auf LKW oder Bahnwaggons gelangen, werden mit sogenannten Spreadern aufgenommen. Der Abstand zwischen dem Spreader und dem Container muss kontinuierlich erfasst werden, um Kollisionen zu verhindern und die Geschwindigkeit zu regeln. Der DR-M30-IOL kann durch sein Edelstahlgehäuse auch in rauer, salzhaltiger Küstenluft bestehen. Zudem zeichnet sich der Sensor durch eine 100 g Schockbeständigkeit aus.
Die Spreader visieren den Container im Nahbereich mit sogenannten Flippern an. Diese mechanischen Zuführhilfen sorgen dafür, dass der Container auf den letzten Zentimetern präzise angedockt werden kann, so dass der Spreader zuverlässig in die Transportösen greifen kann. Allerdings verbreitern die ausgeklappten Slipper die Maße des Containers. Die Steuerung der Anlage muss diese Information mit dem Abstandsignal der Distanzsensoren verrechnen, um auch in engen Containerburgen Kollisionen zu verhindern. Auch zur Distanzmessung zwischen den einzelnen Containerbrücken ist der Distanzsensor prädestiniert.
Alternative Linsenkonfigurationen für höhere Entfernungen
Neben dem jetzt vorgestellten DR-M30 mit Standardlinse wird Turck zeitnah Varianten mit alternativen Linsenkonfigurationen ergänzen: Für größere Distanzen bis zu 20 meter, wie sie auch in Hafenanlagen vorkommen, ist eine Sensorversion mit langem und schmalem Erfassungsfeld ideal. Eine weitere Linsenkonfiguration ermöglicht ein breites Feld mit kurzer Reichweite, wie es beispielsweise zur Objekterkennung beim Kollisionsschutz verwendet wird.
Autor
Raphael Penning,
Produktmanager Radar- und Ultraschallsensoren
Kontakt
Hans Turck GmbH & Co. KG
Witzlebenstr. 7
45472 Mülheim an der Ruhr
Deutschland
+49 208 4952-0
+49 208 4952-264