Lineartechnik in der Weltraumforschung
Profilschienen und Präzisionslaufwagen im Prüfstand von WARR
WARR (Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt) ist eine deutsche Studentengruppe, die sich mit verschiedenen Themen der Raumfahrt beschäftigt. Die Raketenabteilung entwickelt seit 1966 Hybridantriebe und setzt sie in Höhenforschungsraketen um. Cryosphere ist das jüngste Vorhaben der WARR Raketentechnik. Das Projekt, an dem die Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik der TU München beteiligt ist, befasst sich mit dem Entwurf, Bau und Start einer kryogen angetriebenen Rakete, die eine Flughöhe von 35 km und Mach > 3 erreichen soll. Die Studenten wollen mit den Raketen den aktuellen europäischen Amateurhöhenrekord brechen, der aktuell bei 32,1 km liegt. Die Treibstoffe der einstufigen Rakete sind flüssiger Sauerstoff und fester HTPB-Kunststoff.
Tests der Raketenbrennkammer
„Es handelt sich um die erste Hybridrakete mit einem kryogenen Motor in Europa, die vollständig von Studenten entwickelt wird“, so Matthias Bode, Leiter der Raketentechnik bei WARR. Derzeit befindet sich das Projekt auf der Zielgeraden: Im Rahmen des STERN-Programms, welches das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) betreute, haben die Forscher ein Fullscale-Triebwerk gebaut und im Dezember 2017 erfolgreich am DLR-Standort Lampoldshausen getestet. „Die Entwicklung der Rakete ist zum aktuellen Zeitpunkt effektiv abgeschlossen“, schildert Matthias Bode. „Die Flughardware ist weitgehend fertiggestellt und validiert. Im Laufe des nächsten Halbjahres müssen wir nur noch einige wenige Teile bauen beziehungsweise testen, unter anderem die Brennkammer.“
Derzeit testet die WARR Raketentechnik das Versorgungssystem für die Brennkammer der EX-3-Rakete. Zwei wichtige Leistungsmaße sind dabei die Menge an Oxidator im Tank sowie der Massenstrom des Oxidators während des Betriebs der Brennkammer. „Wir bauen Hybridraketen. Das bedeutet, dass wir einen festen Treibstoff in unserer Brennkammer lagern und aus einem weiteren Tank einen flüssigen Oxidator einspritzen“, so Matthias Bode. „Wir verwenden dafür Flüssigsauerstoff bei cryogenen Temperaturen von -180 °C. In der Brennkammer wird die Kombination erhitzt, vermischt und verbrannt.“ So werden Gase mit 2.000 m/s (7.600 km/h) erzeugt, die den Schub der Rakete generieren. Um eine ideale Verbrennung zu erreichen, müssen die Forscher das Mischungsverhältnis sowie den idealen Druck der Brennkammer klar definieren und eine optimale Steuerung des Vorgangs im realen Betrieb gewährleisten.
Lineartechnik für eine steife und präzise Lagerung des Versorgungssystems
Um eine genaue Massenmessung zu ermöglichen, wird das Versorgungssystem vertikal verschiebbar gelagert und auf einer Waage abgestützt. Für diesen Zweck bezog Warr Raketentechnik Profilschienen und Präzisionslaufwagen bei Rodriguez aus Eschweiler. „Für unsere Anwendung benötigten wir eine steife und präzise Lagerung unseres Versorgungssystems“, so Matthias Bode. „Der gelagerte Abteil wiegt 75 kg im leeren und 120 kg im betankten Zustand und ist 2,50 m hoch. Insgesamt erreicht das Versorgungssystem eine Höhe von 3,50 m.“ Dazu kommt, dass sich die Strukturelemente durch hohe Temperaturgradienten in Folge der Beförderung und Lagerung von cryogenem Flüssigsauerstoff bei -180 °C deutlich verformen. Die Linearführungen müssen die dadurch erzeugten Momente und Spannungen aufnehmen, ohne die Laufeigenschaften der Führungen zu beeinträchtigen.
Im Prüfstand von Warr kommen zwei zwei Meter lange Profilschienen der Größe 25 inklusive Abdeckkappen sowie vier vierreihige, langzeitgeschmierte Präzisionslaufwagen zum Einsatz. „Profilschienenführungen mit vier Kugelreihen pro Laufwagen können Kräfte aus allen Hauptrichtungen aufnehmen“, erläutert Jörg Schulden, Produktmanager Lineartechnik bei Rodriguez. „Die X-Anordnung der Laufbahnen ermöglicht eine gute Einstellung der Vorspannung. Zudem wird das System weniger empfindlich für Fluchtungsfehler. Deshalb werden Linearführungen dieser Bauart häufig in Produktionsmaschinen und für Roboteranwendungen eingesetzt.“ Das integrierte Schmiersystem verlängert die Wartungsintervalle und macht die Profilschienenführungen wartungsarm. Ein optional lieferbares Metallabdeckband schützt vor Verunreinigungen.
Steifigkeit verbessert Genauigkeit der Messungen
Bei WARR sind die Profilschienen vertikal verlaufend an die Rückseite des Prüfstands geschraubt. Jede Führung hat zwei Laufwagen. Die Ventilplatte lagert ihr Gewicht auf dem Flüssigsauerstofftank, dieser ist wiederum über eine Stütze auf einer Waage abgelegt. Durch die verschiebbare Lagerung wird das zusätzliche Gewicht des Oxidators auf die Waage übertragen und lässt sich während der Betankung und dem Betrieb des Triebwerks genau verfolgen. „Die Präzision und Steifigkeit der Linearführungen von Rodriguez waren von großer Bedeutung für diesen Aufbau“, betont Matthias Bode. „Insbesondere die Steifigkeit des Systems hat die Inbetriebnahme deutlich vereinfacht und die Genauigkeit und Präzision der Messungen deutlich verbessert.“
Autor
Nicole Dahlen, Geschäftsführerin Vertrieb, Marketing und Organisation