Linearmotoren ermöglichen Innovationssprung bei Robotergreifern
18.05.2016 -
Mit dem Wechsel von Pneumatikzylindern zu Linearmotoren gelang es Maschinen- und Anlagenbauer Keller HCW, einen universell einsetzbaren Robotergreifer mit hoher Nutzlast zu entwickeln, der selbst empfindliche Produkte sicher und schonend greifen, vereinzeln und versetzen kann.
Die elektrischen Direktantriebe sind dabei nicht nur für die hohe Flexibilität des Greifers verantwortlich, sondern garantieren auch Wiederholgenauigkeit, Dynamik, Präzision und eine Energieeffizienz, wie sie sich pneumatisch nicht erreichen lassen.
Robotergreifer von Keller HCW mit pneumatischen Antrieben bewähren sich seit Jahren in Ziegeleien und anderen Betrieben der grobkeramischen Industrie. Sie werden dort zum Beispiel eingesetzt, um noch ungebrannte Ziegel (Formlinge) zu greifen und mit einem bestimmten Abstand abzulegen, der einen optimalen Trocknungs- und Brennprozess garantiert.
„Die Herausforderung dabei ist, dass die Festigkeit der Formlinge variieren kann und wir daher nur mit einer begrenzten Greifkraft und Annäherungsgeschwindigkeit fahren können. Zudem steht nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung, in dem die Ziegel vom weiterlaufenden Zuführtransportband gegriffen werden müssen“, erläutert Reinhold Ungruhe, Leiter Automatisierung und Elektrotechnik bei Keller HCW.
Verstellwege durch Pneumatik begrenzt
Wegen der vergleichsweise langsamen Verstellgeschwindigkeit der Pneumatikzylinder dürfen die Verstellwege nicht mehr als 10 mm betragen. Das ist dann von Nachteil, wenn unterschiedliche Ziegelformen und -formate über die gleiche Linie laufen, wie das inzwischen immer häufiger der Fall ist. Bislang mussten Ziegeleien pro Roboter – meist 6-Achs-Roboter – oft mehrere Greifer anschaffen und jeweils im Wechsel einsetzen, um alle Formate und Typen abdecken zu können. Das bindet aber bei Anschaffungskosten von etwa 50.000 Euro pro Greifer sehr viel Kapital.
Alternativ kann nur ein Greifer pro Roboter angeschafft werden, der umgebaut wird, wenn dies ein Format- oder Typenwechsel erfordert. Das ist sehr zeitaufwändig, weshalb Keller einen Hybridgreifer realisiert hat, bei dem die pneumatisch angetriebenen Greifer mit einem rotativen Servoantrieb verstellt werden, um mehr Ziegelformate und -typen mit ein und demselben Greifer gruppieren zu können.
Justierung erfordert Fingerspitzengefühl
„Die Justierung der Pneumatik ist aber in der Praxis recht diffizil“, schränkt Ungruhe ein. „Schon deshalb, weil sich die Pneumatikaktoren je nach Umgebungstemperatur unterschiedlich verhalten und daher eine präzise Einstellung des Greifpunkts und der Greifkraft nur bedingt möglich sind.“ Kondenswasser und andere Verunreinigungen der Druckluft tun ein Übriges. Außerdem sind Pneumatikzylinder nicht wartungsfrei: Sie müssen z.B. geölt werden. Auch verharzen Dichtungen oder werden gerade bei hohen Arbeitsfrequenzen des Antriebs undicht, so dass der komplette Zylinder gewechselt werden muss.
Keller ist daher noch einen Schritt weitergegangen und hat einen vollständig elektrisch angetriebenen Demonstrationsgreifer entwickelt, der frei von diesen Nachteilen ist. Zwölf Linearmotoren vom Typ PS01-37Sx120-HP-N von LinMot bewegen die direkt angebauten Greifzangen. Sie zeichnen sich durch einen Maximalhub von 120 mm, eine Maximalkraft von 122 N und eine besonders kompakte Bauweise aus.
Hohe Dynamik und Wiederholgenauigkeit
„Linearmotoren lassen sich präziser regeln und sind dynamischer als pneumatische Antriebe. Auch können sie viel größere Verfahrwege in kurzer Zeit bewältigen“, fasst der Spezialist von Keller die Vorteile zusammen. Das Muster, in dem die Ziegel abgelegt werden, kann über die Bedienoberfläche der Anlage vorgegeben und auf Knopfdruck gewechselt werden – ganz ohne zeitaufwändige Umbauten oder Greiferwechsel. Auch lässt sich dabei die Greifkraft direkt regeln. Diese Fähigkeit und der große Hub in Verbindung mit der hohen Dynamik zeichnen maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Greifer so universell einsetzbar ist und empfindliche Produkte wie Gläser oder Kartongebinde gleichermaßen sicher handhaben kann wie robuste Produkte.
Die Ansteuerung der Linearmotoren übernehmen beim neuen Greifer 12 ProfiNet-Servoregler aus der C1100-Serie von LinMot. Sie wurden speziell für Anwendungsfälle konzipiert, in denen Pneumatikzylinder durch Linearmotoren ersetzt werden. Die Regler sind mit 146mm x 26,6 mm x 106 mm sehr kompakt und zudem leicht. „Das ist im Hinblick auf die Nutzlast des Greifers wichtig, da wir die Regler direkt auf dem Greifer platzieren wollten, um die Zahl der durch den Roboter geführten Kabel auf einem Minimum zu halten“, erläutert Ungruhe. Der Nachteil des zusätzlichen Gewichts wird in der Regel mehr als Wett gemacht durch den Wegfall Ventilinseln, Mechanikbauteilen und Sensoriken. „Für die Serie würde sich zudem auch der Einsatz der LinMot-Multiachsmodule oder der dezentralen Motoren mit integrierter Antriebselektronik des Unternehmens zur weiteren Gewichts- und Platzreduzierung anbieten“, fügt der Automatisierungsexperte an.
Umweltfreundlich und wirtschaftlich
Ein weiterer Pluspunkt der elektrischen Direktantriebe ist der sparsame Umgang mit Energie. „Immer mehr Hersteller grobkeramischer Produkte entdecken die Energieeffizienz ihrer Produktionen als Unterscheidungsmerkmal und verkaufsfördernden Imagefaktor“, berichtet Ungruhe.
Druckluft passt da nicht ins Bild, gehört sie doch zu den ineffizientesten und damit teuersten Energieträgern. Nur etwa 5% der eingesetzten Energie stehen im Aktor als Nutzleistung zur Verfügung. Gerade bei schnellen Zylindern ist schon am hohen Lärmpegel zu hören, dass da sehr viel Energie im direkten Wortsinn verpufft. Die höheren Anschaffungskosten für einen elektrischen Antrieb rechnen sich da schnell. Selbst bei konservativer Rechnung amortisiert er sich mit seinem Wirkungsgrad von etwa 97% nach maximal drei Jahren.
Kein Wunder also, dass immer mehr Unternehmen bestrebt sind, in ihren Produktionen vollständig auf Druckluft zu verzichten. So hat Keller jüngst eine Anlage zum Stopfen von Hohlblocksteinen mit Steinwolle komplett ohne Pneumatik realisiert.
Ungruhe: „Das große Interesse, das der Greifer auf der Automatica in München geweckt hat, bestätigt uns in unserer Einschätzung, dass auch viele Branchen jenseits der grobkeramischen Industrie diesem Trend folgen und eine flexible und zuverlässige Greif- und Vereinzelungslösung auf Basis von Linearmotoren suchen.“
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