Keine Computerchips ohne industrielle Bildverarbeitung
Machine Vision in der Halbleiter-Fertigung
Die Halbleiter-Branche sieht sich aufgrund von volatilen Marktbedingungen mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert. Zudem steigt die Nachfrage nach entsprechenden Komponenten kontinuierlich und mit hohem Tempo. Die Bauteile werden mit der zunehmenden Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft für vielerlei Produkte benötigt. Neben der Industrie verlangt auch der Consumer-Electronics-Bereich mit den verschiedensten Anwendungen wie beispielsweise Entertainment und E-Mobility nach Halbleitern. Auch die verstärkte Anbindung von Heimarbeitsplätzen an Firmennetzwerke hat zu einem Run auf Halbleiterkomponenten geführt.
Dazu kommt, dass sich während der Covid-19-Pandemie die weltweiten Warenströme und Lieferketten in der Semiconductor-Industrie tiefgreifend verändern. Das hat insoweit nachhaltige Auswirkungen, da gerade diese Branche hohe Anforderungen an Qualität und Präzision im Fertigungs- und Inspektionsprozess stellt. Außerdem wächst der Druck zur Automatisierung aufgrund rasant steigender Arbeitskosten. Und nicht zuletzt fehlt auch hier – wie in den meisten technisch orientierten Industriezweigen – qualifiziertes Fachpersonal. Aus all diesen Gründen sind die Hersteller von Halbleiterkomponenten gezwungen, ihre Wertschöpfungsprozesse zu optimieren und die Produktionskapazitäten schnell und flexibel an veränderte Bedingungen anzupassen.
Bildverarbeitung ermöglicht hohen Automatisierungsgrad
Machine Vision, also die industrielle Bildverarbeitung, bietet das Potenzial, genau diese Herausforderungen schnell und effizient zu meistern. Entsprechende Applikationen leisten bereits heute einen wertvollen Beitrag zur durchgängigen Vernetzung und Digitalisierung von Produktionsabläufen im Sinne von Industrie 4.0 und Smart Factory – von der Fertigung über die Qualitätssicherung bis hin zu logistischen Workflows.
Machine Vision ermöglicht robuste Erkennungsraten und damit einen hohen Grad an Automatisierung in Montage und Inspektion. Zudem ist die industrielle Bildverarbeitung in allen denkbaren Produktionsumgebungen bereits eingebunden, rund um die Uhr sowie unabhängig von menschlichen Arbeitszeiten einsetzbar und den menschlichen Kolleginnen und Kollegen hinsichtlich der Zuverlässigkeit bei Kontrolltätigkeiten überlegen.
Am häufigsten zum Einsatz in der Halbleiterproduktion kommen Matching-Verfahren. Die Lage von Objekten kann mit einer Genauigkeit von bis zu 1/20 Pixel im Bild bestimmt werden, wodurch sich diese präzise ausrichten lassen. Weitere elementare Anwendungen sind das Vermessen, OCR, also die Texterkennung sowie die Qualitätsinspektion beim Schweißen.
Mehrere Prozessschritte in der Semiconductor-Fertigung
Die Produktion von Halbleitern ist durch komplexe Workflows gekennzeichnet und umfasst mehr als 1.000 verschiedene Prozessschritte. Im Wesentlichen setzt sich die Produktion aus drei Phasen zusammen:
- der Wafer-Produktion,
- dem Front-end- und
- dem Back-end-Prozess.
Die Bearbeitung der Wafer ist wiederum in mehrere Einzelschritte gegliedert. Dazu gehören:
- das Schneiden der Gussblöcke in Wafer,
- das Sortieren, Polieren und Ätzen der Schaltkreise,
- die Prüfung durch Prober,
- das Schneiden,
- das Ball- und Draht-Bonding sowie
- das Verpacken.
In nahezu allen Prozessschritten kann die industrielle Bildverarbeitung unterstützen und die Ergebnisse signifikant verbessern. Dies gilt vor allem für die Qualitätskontrolle, die bei der Verarbeitung der Wafer einen besonderen Stellenwert einnimmt. Die Anforderungen an die Geschwindigkeit und Präzision sind hierbei sehr hoch. So müssen hier Genauigkeiten im Mikrometer-Bereich (My) eingehalten werden, um die Qualität der Komponenten zu gewährleisten. Daher ist es erforderlich, sämtliche Fertigungsschritte sehr kleinteilig und lückenlos zu überwachen. Hierbei lassen sich vielfältige Prüfaufgaben mit Bildverarbeitung lösen.
Ausrichtung der Wafer mittels Bildverarbeitung
Dabei kommt dem Matching die bedeutendste Rolle im Qualitätssicherungsprozess zu. Ein Beispiel ist das Prober-Testing. Dabei geht es um die Ausrichtung der Wafer. Schon kleine Positionierungsfehler können dazu führen, dass zum Beispiel die Prober-Nadel ihr Ziel verfehlt und den Chip zerstört. Zur Positionierung werden die Dies, also die einzelnen Chips auf dem Wafer, auf den gegenüberliegenden Seiten des Wafers mittels Shape Matching exakt lokalisiert und die nötige Positionskorrektur errechnet.
Ein weiteres Beispiel eines Prozesses, bei dem Matching-Verfahren zum Einsatz kommen, ist das Schneiden der Wafer. Dabei geht es darum, Maschinen für die Weiterverarbeitung der Wafer vorzubereiten. Die Herausforderung liegt darin, die Ausrichtung und Position des Wafers zu bestimmen. Hierbei wird mit einem Machine-Vision-Verfahren das Rotationszentrum bestimmt, woraus sich schließlich die exakte Ausrichtung ermitteln lässt. Anschließend helfen Algorithmen und Filter zur Kantendetektion dabei, die einzelnen Chips auf dem Wafer hochgenau zu vermessen, um die optimalen Schnittkanten zu bestimmen.
Positionsbestimmung des Chips im Gehäuse
Sind die einzelnen Chips aus dem Wafer geschnitten, werden diese im nächsten Prozessschritt im Elektronikbauteil eingesetzt. Hier ist die Positionsbestimmung ein wichtiges Element in der Qualitätskontrolle. Konkret geht es zum Beispiel darum, nach dem Einsetzen des Chips in das Elektronikbauteil die Position des Chips relativ zum Gehäuse zu bestimmen. Dies ist wichtig für das folgende Draht-Bonding, das die elektronische Verbindung zwischen dem Chip und dem Bauteil herstellt.
Beim Draht-Bonding kommen unterschiedliche Qualitätsinspektionsaufgaben zum Einsatz. Bei einigen Chiptypen muss etwa die Höhe der Drähte geprüft werden. Weitere Inspektionen dienen dazu, Fehler zu erkennen. Defekte können falsche Position, eine fehlerhafte Schnittlänge und falscher Druck beim Bonden sein. Hier kommen Machine-Vision-Technologien zum Einsatz, um die Kontaktstellen (Pads) und Drähte zu extrahieren und die relevanten Bereiche einzugrenzen. Diese werden anschließend bezüglich ihrer Ausrichtung und Überlappung analysiert, um eine korrekte Verbindung sicherzustellen.
Weitere elementare Technologien sind Identifikations-Verfahren wie Optical Character Recognition (dt. optische Zeichenerkennung, OCR). Diese ermöglichen das präzise Auslesen von Zahlenkombinationen und damit das Erkennen der Komponenten. So sind die Wafer mit einer Losnummer gekennzeichnet, die ein Laser eingraviert. Auch lassen sich ECC200-Codes (eine Variante von Datamatrix-Codes) eindeutig auslesen, um jeden Chip nachzuverfolgen. Über diese ID-Nummern lässt sich jeder Wafer an der Produktionslinie identifizieren.
Bildverarbeitungs-Tools flexibel und einfach kombinieren
Die Machine-Vision-Standardsoftware Halcon von MVTec Software etwa bietet einen umfangreichen Werkzeugkasten, der eine Vielzahl von nützlichen Funktionen für automatisierte Inspektionsprozesse in der Halbleiterfertigung bereithält. Hierzu gehören die Oberflächeninspektion, Shape Matching, Fehlererkennung, Vollständigkeitskontrolle, Alignment, Deep Learning, 2D- und 3D-Objekt- sowie Positionserkennung, 2D- und 3D-Vermessung, 3D-Vision, das Lesen von Barcodes und Datacodes sowie OCR.
Die Bildverarbeitungs-Software lässt sich noch für viele weitere Prozessschritte in der Semiconductor-Fertigung wie etwa das Testen von Wafern durch Prober, das Schneiden von Wafern oder das Ball- und Draht-Bonding nutzen. Dabei besteht der besondere Vorteil von Halcon im Funktionsumfang, mit dem sich ein vielfältiges Aufgabenspektrum bei der Halbleiterproduktion lösen lässt. Zudem ist es möglich, die Werkzeuge und Operatoren nahtlos, flexibel und einfach zu kombinieren. So entstehen individuelle Lösungen, die die jeweiligen Anforderungen des Qualitätsmanagements in der Branche eins zu eins abdecken.
Autor
Mario Bohnacker, Technical Product Manager Halcon bei MVTec Software