Bildverarbeitung

Grundlagen der photothermischen Schichtdickenmessung

Physikalische Funktionsweise der Alternative zu Wirbelstrom und Ultraschall

04.03.2022 - Die photothermische Schichtdickenmessung ist unempfindlich gegenüber Messabstand und -winkel, wodurch sie sich für alle Inline- und Roboter­anwendungen eignet. Im Gegensatz zu Methoden mit ionisierender Strahlung wie ß-Rückstreu oder Röntgen kommt die Photothermie mit LED-Licht aus. In manchen Fällen kommen Laser oder Blitzlampen zum Einsatz. Das hier verwendete Lock-in-Verfahren ermöglicht außerdem eine kontinuier­liche Messung.

In nahezu allen industriellen Bereichen werden Bauteile beschichtet. Es handelt sich zum Beispiel um Korrosionsschutz, Farblackierungen, Pulverlacke, Klarlacke oder funktionelle Oberflächenbeschichtungen. Für die Qualitäts- und Prozesskontrolle ist es wichtig, die Dicke der aufgetragenen Schicht messen zu können.

Übliche Verfahren hierfür sind beispielsweise Wirbelstrom- oder induktive Mess­verfahren, diese benötigen aber metallische oder speziell ferromagnetische Substrate. Andere Verfahren, wie Ultraschall, benötigen direkten Kontakt zur Probe und sind daher für Messungen auf noch nassen Beschichtungen oder nicht eingebrannten Pulver­lacken ungeeignet.

Die photothermische Schichtdickenmesstechnik ist eine optische Messtechnik, die prinzipbedingt auf allen Substratmaterialien  funktioniert und berührungslos arbeitet. Sie nutzt die thermooptische Interferenz aus, um die Dicke zum Beispiel einer Lackschicht zu messen. Dieses Verfahren wird im Folgenden näher vorgestellt und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Messung werden dargelegt.

Der photothermische Effekt

Der photothermische Effekt ist ein Phänomen, das seit ca. 1880 bekannt ist. Er beschreibt, dass Materialien optische Strahlung absorbieren können und in Wärme umwandeln [1]. Diesen Effekt nutzte schon Bell bei der Konstruktion seines „Photophons“.

Wie ausgeprägt dieser Effekt ist, hängt vom Beschichtungsmaterial ab: Materialien, die optische Strahlung nur schwach absorbieren, zeigen nur geringe Temperaturänderungen, ebenso Materialien, deren Oberflächen stark reflektieren. Materialien mit glänzender Oberfläche und/oder transparenter Erscheinung erwärmen sich daher weniger stark als zum Beispiel matte und/oder intransparente Materialien.

Im dargestellten Fall kommt zur thermischen Anregung Licht aus dem nahinfraroten Teil des optischen Spektrums (NIR) zum Einsatz. Die Beschichtung wandelt die absorbierte Energie in Wärme um, was zu einer Temperaturänderung 𝜃(𝑡) führt. Dabei wird Schwarzkörperstrahlung ausgesendet, deren Wellenlänge im mittleren bis langwelligen Infrarotbereich (MWIR–LWIR) liegt. Das Beschichtungsmaterial ist charakterisiert durch seine spezifische Dichte 𝜚, Wärmekapazität 𝑐 und Wärmeleitkoeffizient 𝑘.

Thermische Wellen

Thermische Wellen sind in der Physik lange bekannt. Moduliert man die Intensität der anregenden Strahlung, wird in der Beschichtung eine thermische Welle angeregt. Thermische Wellen entstehen aus der Lösung der eindimensionalen Wärmeleitungsgleichung

AIM

mit der thermischen Diffusivität 𝛼=𝑘/𝜚𝑐, wenn als Randbedingung ein, wie dargestellt, zeitlich modulierter Wärmestrom vorgegeben wird [2]. Die Erwärmung des Materials ist dann ebenfalls moduliert und beschreibt eine in ­positiver Richtung laufende Welle

 AIM

Hierin ist mit 𝑒=√𝜚𝑐𝑘 die thermische ­Effusivität bezeichnet. Der Phasenunterschied −𝜋/4 entsteht durch die Vorgabe eines Wärmestroms.

Thermische Wellen werden durch die thermische Wellenlänge 𝜇=√2𝛼/𝜔 beschrieben. Die Wellenlänge der thermischen Welle lässt sich also durch die Modulationsfrequenz beeinflussen: Je geringer die Modulationsfrequenz, desto größer die Eindringtiefe.

Zum ersten Mal zu Messzwecken wurden thermische Wellen im Rahmen der photoakustischen Spektroskopie innerhalb der Materialcharakterisierung angewendet. Hierbei wurde die thermische Expansion eines Gases in einem abgeschlossenen Volumen mittels eines Mikrofons aufgezeichnet und mit der Anregung korreliert [3, 4].

Thermooptik und thermische Interferenz

Thermische Wellen verhalten sich in vielerlei Hinsicht wie mechanische, akustische und optische Wellen. Basierend auf den Effusivitäten von Beschichtung 𝑒𝐶 und Substrat 𝑒𝑆 lässt sich ein thermooptischer Brechungsindex

   AIM

definieren, der den reflektierten und den transmittierten Wellenanteil beschreibt: 

 AIM

Wenn die Effusivitäten von Beschichtung und Substrat ungefähr gleich sind, ist der thermische Brechungsindex und damit das Reflektionsvermögen der Grenzfläche gering. Messungen sind dann nicht oder nur schwer möglich. In der Praxis ist dies sehr selten zu beobachten. Dem kann zum Beispiel begegnet werden, indem die Beschichtung beziehungsweise der Lack im nassen Zustand inline gemessen wird.

Die photothermische Schichtdickenmessung nutzt aus, dass thermische Wellen in dünnen Schichten Interferenzeffekte zeigen. Trifft anregende Strahlung auf die Oberfläche eines gut absorbierenden Materials, werden im oberflächennahen Bereich thermische Wellen angeregt. Von einem Anregungszentrum gehen zwei Wellenzüge ab: einer, der zunächst an der Grenzfläche zur ­Atmosphäre reflektiert wird, und einer, der zunächst an der Grenzfläche zum Substrat reflektiert wird. Bei Überlagerung beider Wellenzüge entsteht eine thermische Welle, die gegenüber der anregenden Strahlung einen Phasenunterschied aufweist, für den gilt:

  AIM

 

Der Phasenunterschied hängt neben den thermooptischen Parametern von der Schichtdicke ℎ ab. Bei Kenntnis der thermo­optischen Parameter lässt sich also ein bekannter Gangunterschied in eine Schicht­dicke umrechnen. Diese Gang­unterschiede lassen sich etwa durch Lock-In-Verfahren oder Fourieranalyse sehr präzise bestimmen. 

Emissionsgrad und Oberflächenreflexion

Der Emissionsgrad (Emissivität) ist eine dimensionslose Größe, die beschreibt, wie stark eine Oberfläche Strahlung emittiert [5]. Ein schwarzer Strahler besitzt einen Emissionsgrad 𝜖=1, ein grauer Strahler besitzt einen Emissionsgrad 𝜖<1, ein nichtgrauer Strahler besitzt einen wellenlängenabhängigen Emissionsgrad 𝜖=𝜖(𝜆)<1. Der Emissionsgrad beeinflusst direkt die Intensität der abgegebenen Strahlung nach dem Stefan-Boltzmann-Gesetz (Stefan-Boltzmann-Konstante 
𝜎 = 5,67 ∙ 10-8 Wm-2K-4):

 AIM

Der Emissionsgrad der meisten Nichtmetalle, Lacke, Farben und Kunststoffe liegt im Infrarotbereich über 0,9 und ist weitgehend wellenlängenunabhängig. Diese Materialien lassen sich in der Regel mit IR-Detektoren gut messen.

Einen größeren Einfluss auf die photothermische Messung besitzt dagegen der optische Reflexionsgrad (Reflexionsvermögen) der Oberfläche für das anregende Licht. Der Reflexionsgrad 𝑅opt bestimmt, wie stark die Oberfläche erwärmt wird (vgl. Gleichungen (7a,b)). Schwarze Oberflächen besitzen einen Reflexionsgrad von weniger als 0,1 und helle Oberflächen einen Reflexionsgrad von über 0,9. Der Einfluss des Reflexionsvermögens lässt sich gut durch Messung der Temperaturänderung nachweisen, die das Bestrahlen mit Infrarotlicht (NIR) bei verschiedenen Oberflächenfärbungen hervorruft.

Die Signalamplituden der Materialien mit unterschiedlichem Reflexionsgrad weichen um ein bis zwei Größenordnungen voneinander ab. Ein Vergleich der Amplituden führt auf einen Reflexionsgrad von etwa 0,05 für Gummi und 0,96 für rotes Papier und 0,99 für weißes Papier. Entsprechend gering ist die Temperaturänderung bei den Papierproben. Ist für eine Messanwendung die Erwärmung aufgrund des hohen Reflexionsgrads zu gering, sollte eine Strahlquelle eingesetzt werden, deren Wellenlänge weniger stark reflektiert wird.

Optische Absorption

Weiteren Einfluss auf die Messung hat der Absorptionskoeffizient 𝛽opt. Dieser ist der Kehrwert der Eindringtiefe der optischen Strahlung in das Material. Die Erwärmung der Probe und damit das für Messungen zur Verfügung stehende Antwortsignal ist umso stärker, je größer der Absorptionskoeffizient ist. Dieser reicht von etwa 106 bis 107 m-1 für intransparente Materialien bis nahe 0 für transparente Materialien.

Nach [1] wirkt sich der Absorptionskoeffizient auch auf die Ausdehnung der Entstehungszone thermischer Wellen aus. Für die Temperaturänderung 𝜃0 gilt in diesem Fall, wie an gleicher Stelle hergeleitet:

AIM

Im Fall schwacher optischer Absorption gilt dagegen:

 AIM

Im ersten Fall fällt die Temperatur­amplitude also proportional mit der Wurzel der Modulationsfrequenz, im zweiten Fall dagegen proportional mit der Modulationsfrequenz selbst. In beiden Gleichungen bezeichnet 𝑆0 die Intensität der anregenden Strahlung. Dieses Verhalten lässt sich sehr gut messen.

Messbarkeit

Allgemein gilt, dass die Güte photothermischer Messungen vom Reflexionsvermögen der Oberfläche, vom Absorptionskoeffizienten der Beschichtung und dem Emissionsgrad abhängen. Alle drei Einflüsse hängen von den verwendeten Materialien ab.

Bei einer periodischen Anregung lässt sich die Präzision der Messungwert erhöhen, indem man über mehrere Perioden mittelt. Es sind außerdem eine kontinuierliche Messung an bewegten Objekten und Scannen über Oberflächen möglich. Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber einer Impulsanregung etwa mit Blitzlicht. Die Präzision der Messung entspricht dann dem Konfidenzintervall um den Messwert beziehungsweise gemittelten Messwert. Typischerweise wird ein Ein- oder Mehrfaches der Standardabweichung beziehungsweise Standardfehlers als Intervallgrenze herangezogen. Erstere hängt von den Messbedingungen ab. Letzterer kann durch längere Messdauern und damit längere Mittelungszeiten verringert werden [6].

Zusammenfassung

Die Qualität photothermischer Messungen hängt vom Absorptionsvermögen des verwendeten Materials, von dessen Emissivität und vom thermooptischen Brechungsindex zwischen Beschichtung und Substrat ab. Photothermische Schichtdickenmessungen eignen sich daher für eine breite Auswahl an Materialsystemen, sofern diese grundlegenden physikalischen Voraussetzungen erfüllt sind.
Auch bei kleiner Signalamplitude lässt sich durch Mittelwertbildung eine hohe Präzision der Messwerte erreichen.

Literatur
[1] D. P. Almond and P. M. Patel, Photothermal Science and Techniques, 1st ed. (Chapman & Hall, London, 1996).
[2] W. Macke, Statistik und Thermodynamik (Akad. Verlagsgs. Geest & Portig, Leipzig, 1962).
[3] A. Rosencwaig and A. Gersho, J. Appl. Phys. 47, 64 (1976).
[4] N. Fernelius, J. Appl. Phys. 51, 650 (1980).
[5] H. Naumann, G. Schröder, und M. Löffler-Mang, Handbuch Bauelemente der Optik, 
7th ed. (Hanser, München, 2014).
[6] H. Kuchling, Taschenbuch der Physik, 18th ed. (Fachbuchverlag Leipzig, Leipzig, 2004).

Autor
Stefan Böttger, Geschäftsführer

Kontakt

AIM Systems GmbH

Kaiserstraße 170-174
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