Gedreht und nicht geschüttelt
Drehkranzlager sorgen für einen wartungsfreien Betrieb von vollautomatischem Kaffeeroboter
Die Abdeckung gleitet zur Seite und da steht sie, die eigene Kaffeekreation, und obenauf strahlt dem Kunden sein eigenes Konterfei entgegen – kreiert aus weißem Milchschaum. Geschaffen hat das kleine Kunstwerk eine Street-Barista-Maschine von MyAppCafe. „120 Becher pro Stunde kann der Kaffeeautomat produzieren, ein geübter Barista schafft in der gleichen Zeit nur 20 Becher derselben Qualität“, erläutert Bora Yelkenkayalar, Geschäftsführer Technik bei MyAppCafe. In der etwa neun Quadratmeter großen Kabine bedient ein Roboter schnell und parallel zwei Kaffeemaschinen, zaubert damit kundenindividuelle Genussspezialitäten und stellt sie in der Ausgabeeinheit zur Entnahme bereit. Ein eigens für MyAppCafé entwickeltes Milchsystem ermöglicht die Zubereitung für mindestens 650 Kaffeeportionen, ohne nachfüllen zu müssen. „Der Baristaautomat kann Spitzenkaffee ohne Personaleinsatz nach Kundenwunsch sekundenschnell frisch zubereiten – ob in der Shoppingmall, auf der Straße, im Bahnhof, am Flughafen, in der Firmenkantine oder auf Messen“, so Yelkenkayalar. „Damit lassen sich viele Personalprobleme der Gastronomie lösen.“
Kaffee für die Generation Smartphone
Der Kunde, der am Touchscreen seinen Kaffee bestellt, hat die Wahl zwischen 160 unterschiedlichen Kombinationen: Espresso, Cappuccino, Milchkaffee, Latte Macchiato, Kakao, mit Sirup, mit Kuhmilch oder mit Sojamilch. Die Getränkerohstoffe bestehen aus Fair-Trade-Bioqualität, die kompostierbaren Becher mit Deckel aus Maisstärke. Noch schneller und bequemer als am Touchscreen geht die Bestellung über die entsprechende App: So lässt sich etwa bereits bei der Anfahrt im Zug die eigene Kaffeekreation aus den unzähligen Kombinationen in Ruhe zusammenstellen. Das Ganze kann man mit einem eigenen Motiv wie einem Bild oder Logo krönen und bargeldlos über die App bezahlen. Am Automaten angekommen, hält der Kunde das Smartphone mit dem generierten QR-Code an die Leseeinheit der Maschine und einige Sekunden später seine eigene Kaffeekreation in der Hand. Möchte man seinen Partner oder Kollegen mit einem Kaffee und dem eigenen Motiv überraschen, kann der Code einfach per Messenger weitergeschickt werden. „Unsere Baristamaschinen entsprechen dem Lebensgefühl und den Wünschen der Generation Smartphone, die hohe Qualitätsansprüche mit nachhaltigem Konsum verbinden möchte“, betont Geschäftsführer Yelkenkayalar.
Ausgabesystem ist ein zentrales Element der Anlage
Die Idee zu dem Hightech-Projekt entstand 2018. Um sie technisch realisieren zu können, wandte sich das Team des Start-ups an Dirk G. Rothweiler. Er ist Geschäftsführer der Firma Rothweiler Feinwerkmechanik, zudem Digitalisierungsbeauftragter der Kreishandwerkerschaft Region Karlsruhe und als Start-up-Berater im Karlsruher AEN-Netzwerk tätig. Das Netzwerk ist eine Kommunikationsplattform für Unternehmen und Institutionen aus der Region, die den gegenseitigen sowie den Austausch mit Forschungseinrichtungen wie KIT, Fraunhofer-Instituten, Universitäten und der Hochschule Karlsruhe pflegen. Dirk G. Rothweiler brachte so auch für das Baristaprojekt die verschiedenen Partner zusammen. Ob Gehäuse, Kaffeeautomat, Robotik, Steuerung, Schnittstellen, Warenwirtschaftssystem, Kassensystem, App-Entwicklung oder Ausgabesystem: „Wir haben abgeklärt, wer kann was am besten, und dann die Spezialisten hinzugezogen.“
Die Konstruktion und den Bau der Anlage übernahm das IBS Ingenieurbüro Dr. Klaus Schnürer. Besondere Herausforderungen bildeten neben der Schnittstellenproblematik die Ausgabesysteme der Anlage, die in Rothweilers Firma produziert werden: „Die Ausgabesysteme sind eine der Kernkomponenten der Anlage und als zentrales Element kommt hier das Iglidur-PRT-Rundtischlager in der Serie 04 von Igus zum Einsatz.“ Die Gleitlager sind einbaufertige Drehkränze für den schmiermittelfreien Trockenlauf. Das Design basiert auf wartungsfreien Gleitelementen aus Iglidur-Werkstoffen im Zusammenspiel mit Ringen aus anodisiertem Aluminium. Neben den Drehkränzen bietet Igus einen breiten Baukasten aus wartungsfreien Kunststofflösungen für jeden Automatenhersteller an: von Energieketten und Leitungen über Gleitlager bis hin zu Linearsystemen und Low-Cost-Automation-Lösungen.
Geringes Losbrechmoment und hohe Wartungsfreiheit
„Wartungsfreiheit war eines der entscheidenden Auswahlkriterien“, konstatiert Rothweiler. „Denn wir müssen sicherstellen, dass das Ausgabesystem und der Drehkranz auch im langfristigen 24/7-Betrieb nicht ausfällt.“ Andrej Schmidt, Branchenmanager für Automatentechnik bei Igus, ergänzt: „Durch unsere umfangreichen internen Testversuche mit Lastzahlen im Millionenbereich können wir, genau abgestimmt auf die Einsatzbedingungen, dem Kunden eine präzise Lebensdauerberechnung als kostenloses Onlinetool anbieten. Und da sind wir hier auf der sehr sicheren Seite. Diese Drehkranzlager werden zum Beispiel auch in fahrerlosen Transportsystemen als Gelenkachse eingesetzt.“ Bei dem PRT-04 sind im Gegensatz zu seiner Schwesterversion PRT-01 unter anderem die Gleitelemente vorgespannt. „Das heißt, wir erreichen über die gesamte Lebensdauer eine haptische Spielfreiheit“, so Schmidt. „Die Wartungsfreiheit des Rundtischlagers war für uns essenziell, denn wir können nicht völlig ausschließen, dass über die Jahre nicht Flüssigkeiten, Kaffeesatz oder Sonstiges an das Lager gelangt. Auch Warm-kalt-Wechsel, mögliche Kondens- oder Dampfbildung können das Lager beeinflussen. Zudem bietet sich das Konzept für die Ausgabe anderer Lebensmittel an. Bei einem Standardkugellager wissen wir nicht, wie es irgendwann darauf reagiert. Deswegen suchten wir eine Lösung, die alle Szenarien sicher abdeckt“, ergänzt Dirk G. Rothweiler.
Weiteres wichtiges Auswahlkriterium des Lagers war ein dauerhaft geringes Losbrechmoment. Hier zeichnen sich die PRT-Drehkränze besonders aus: Der eingesetzte Iglidur-J-Werkstoff, der sich in den Gleitelementen befindet, weist sehr niedrige Reibwerte und eine geringe Stick-Slip-Neigung auf. „Das ist besonders wichtig bei niedrigen Geschwindigkeiten beim Losfahren“, erklärt Rothweiler. „Unsere Servomotoren fahren äußerst langsam an, erhöhen die Geschwindigkeit leicht und bremsen vorsichtig wieder ab, bis zum Stillstand. Ein PRT-Rundtischlager kann die Bewegungen nahezu ohne Kraftverlust perfekt umsetzen.“ Die Drehbewegung der Servomotoren wird über optoelektronische Sensoren überwacht. Hat der Drehteller seine vorgesehene Position erreicht, meldet das der Sensor der SPS, die dann wiederum dem Roboter die entsprechenden Befehle zum Einsetzen des vollen Bechers gibt. „Beim Zurückfahren wird dann die ganze Einheit noch elektromechanisch verriegelt, damit es zu keinen unkontrollierten Bewegungen kommen kann“, so Rothweiler. Angetrieben wird der Drehkranz von dem Servomotor über Kupplung und Antriebszapfen. Die Rutschkupplung dient dabei der doppelten Absicherung der Ausgabeeinheit: „Wenn ein Widerstand, etwa ein Finger, noch drinsteckt, dann löst sich die Kupplung.“ Nach CE-Norm würde auch die Absicherung nur über Software und Servomotor ausreichen. „Doch spätestens für den US-Markt benötigen wir die doppelte Sicherung.“
Ein Avatar kennt deinen Namen und deinen Geschmack
Die hohe Prozesssicherheit des Barista-Automaten war von größter Bedeutung, da die komplette Auftragsabwicklung ohne Personal abläuft: Bestellung, Warenwirtschaft mit bargeldloser Bezahlung, Kaffeezubereitung inklusive Motivdrucks bis hin zur automatisierten Ausgabe. „Es kommt nur einmal am Tag ein Mitarbeiter, um Material nachzufüllen und die Maschine zu reinigen.“ Das Konzept wird als Franchisesystem vermarktet. Seit August 2020 steht die erste Anlage in der Postgalerie Karlsruhe, eine weitere in Sindelfingen. Zahlreiche Anfragen liegen vor. Vor allem der internationale Markt ist für das junge Start-up interessant: So laufen derzeit Verhandlungen mit einem US-Unternehmen, das an einer großen Stückzahl der Servicemaschinen Interesse hat, unter anderem für den Einsatz im Bereich Frozen Yoghurt. Auch am asiatischen Markt sieht Rothweiler gute Chancen: „In vielen asiatischen Ländern herrscht eine hohe Technikaffinität, während das Thema Datensicherheit eine geringere Rolle spielt. Damit sind etwa in Verbindung mit Hologrammen ganz andere Services möglich – da begrüßt etwa ein Avatar den Kunden mit Namen und empfiehlt ihm aufgrund seiner Geschmacksvorlieben eine Kaffeekreation.“ Zudem denken das Team von MyAppCafe und Dirk G. Rothweiler bereits weit über den Becherrand hinaus: Denn im Prinzip lässt sich praktisch jeder To-go-Service auf diese Weise automatisieren. „Ob Kaffee, Döner, Pizza, Smoothie oder Frozen Yoghurt – wir sind da für jede Anwendung offen“, zeigt sich Rothweiler begeistert.
Autor
Stefan Loockmann-Rittich, Geschäftsbereichsleiter Iglidur Gleitlagertechnik