Funktionale Sicherheit in Industrie-4.0-Konzepten
Digitalisierung stellt neue Anforderungen an die Maschinensicherheit
Welche Auswirkungen wird die Fertigung nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 auf die funktionale Sicherheit – das heißt: auf die Maschinensicherheit und die sicherheitsgerichtete Steuerungstechnik – haben? Die Antwort ist komplex. Daher sollen hier nur zwei wesentliche Aspekte dargestellt werden: sichere Robotik und die Vernetzung von Sicherheitskomponenten.
Kollaborative Robotik
Roboter eignen sich für die flexible Produktion. Sie sind mehr und mehr in der Lage, auch Produktvarianten und kleine Losgrößen wirtschaftlich herzustellen. Durch Innovationen, verbesserte Sensorik und Programmierbarkeit können für Roboter viele neue Einsatzgebiete erschlossen werden. Zudem sehen viele Unternehmen Roboter als Ausweg aus dem Fachkräftemangel. Viele Roboterhersteller haben Lösungen vorgestellt, bei denen – meist kleinere – Roboter dem menschlichen Personal quasi zur Hand gehen und eine Zusammenarbeit ohne trennenden Schutzzaun ermöglichen. Die technische Spezifikation ISO TS 15066 unterscheidet vier unterschiedliche Kollaborationsarten:
- Stopp bei Zutritt zum Kollaborationsraum,
- Bewegung des Roboters durch Handführen mit reduzierter Geschwindigkeit,
- Überwachter Abstand zwischen Mensch und Roboter bei reduzierter Geschwindigkeit,
- Beschränkung der vom Roboter ausgeübten Kraft. Die vierte Art der Kollaboration, also die Leistungs- und Kraftbegrenzung, erlaubt den schutzzaunlosen Betrieb der Roboter.
Die Sicherheitssteuerung Safety-Controller wird inzwischen von vielen Roboterherstellern eingesetzt. Dabei wird der Schmersal-Safety-Controller an die jeweils spezifischen Anforderungen der Roboterhersteller individuell angepasst.
Beim Safety-Controller handelt es sich um eine zweikanalige mikroprozessor-basierte Sicherheitselektronik, die zusätzlich zur betriebsmäßigen Steuerung arbeitet und ihr übergeordnet ist. Der Vorteil der übergeordneten Einbindung ist, dass die Elektronik im Wesentlichen nur Überwachungsfunktionen ausführt und ausschließlich im Fehlerfall einen eigenständigen Steuerbefehl erzeugt.
Der Safety-Controller überwacht die Geschwindigkeit jeder einzelnen Maschinen- oder Peripherieachse, typischerweise in Abhängigkeit von einer Betriebsart, zum Beispiel der Betriebsart Sicher reduzierte Geschwindigkeit. Das Überschreiten einer sicherheitsrelevanten Geschwindigkeit, das Überfahren eines Positionsgrenzwerts oder das Verlassen eines sicheren Haltepunkts (Safe Position) wird erkannt und führt zu einem sofortigen sicheren Stillsetzen der Maschine.
Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme bei der direkten Zusammenarbeit von Mensch und Robotern könnte künftig neben taktilen Systemen eine mehrstufige Sensorik zum Einsatz kommen, die – unter anderem mit Hilfe optischer Sensoren und spezieller Bildverarbeitungsalgorithmen – Silhouetten von Menschen und menschliche Haut erkennt. An einem solchen Sensorsystem arbeitet die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in ihrem Forschungsvorhaben „beyondSPAI“. Die Schmersal-Gruppe unterstützt dieses Projekt als Industriepartner.
Zunehmende Vernetzung
Eine weitere Auswirkung von Industrie-4.0-Konzepten auf die Maschinensicherheit ist die zunehmende Vernetzung und die Abkehr von Stand-alone-Lösungen auf der Ebene der (sicherheitsgerichteten) Steuerungstechnik. Auch dieser Trend ist keinesfalls neu, er wird durch Industrie 4.0 aber nochmals verstärkt. Ein Grund dafür ist der Wunsch, alle maschinenrelevanten Informationen an einem Ort zugänglich zu machen bzw. sie auf höheren Ebenen der Unternehmens-IT zu nutzen, ein anderer ist die Möglichkeit, die zunehmend in die Software verlagerten Sicherheitsfunktionen an veränderte Anforderungen anzupassen. Eine solche Flexibilität gehört zu den Grundmerkmalen von Industrie 4.0.
Sicherheitsgerichtete Bussysteme
Dem Konstrukteur einer sicheren Maschine und Anlage stehen heute Wege offen, um Sicherheitsschaltgeräte zu vernetzen und Alternativen zur konventionellen Punkt-zu-Punkt-Verdrahtung zwischen Sicherheitsschaltgerät und Sicherheitsrelaisbaustein oder Sicherheitssteuerung zu schaffen.
Eine Möglichkeit der vereinfachten Anschaltung wird durch sicherheitsgerichtete Bussysteme abgebildet. Zentrale Baureihen der Sicherheitsschaltgeräte sind mit integrierten ASi-SaW-Schnittstellen verfügbar – ein internationaler Standard, der für derartige Anwendungen entwickelt wurde und eine besonders einfache Installation auch deshalb erlaubt, weil über die ASi-Leitung sowohl die Energiezufuhr als auch die betriebsmäßige, das heißt die nicht sicherheitsgerichtete Kommunikation erfolgt.
Ein weiterer Vorteil dieser Systeme sind die zusätzlichen Diagnose- und Monitoring-Informationen, die generiert und dem Anwender an der betriebsmäßigen Steuerung vorbei, in der IT- oder Cloud-Umgebung bereitgestellt werden – das erhöht die Transparenz. Zudem können die Sicherheitsfunktionen besser und flexibler an den Anwendungsfall angepasst werden – zum Beispiel durch die individuelle Konfiguration und Parametrierung der Sicherheits-Schaltgeräte mit Sicherheitsverknüpfungen, Stopp-Kategorien und Filterzeiten.
Safety wandert in die Cloud
Die Auswertung von Monitoring-Informationen in der Cloud wird heute bereits vielfach erfolgreich praktiziert. Die Einbeziehung der Sicherheitstechnologie in derartige Konzepte war jedoch bisher nicht üblich. Dabei sind die Vorteile eindeutig: Komponenten, die zur Einhaltung von Sicherheitsstandards eingesetzt werden, können gleichzeitig als Datenlieferant zur Produktivitätssteigerung.
Vor diesem Hintergrund hat Schmersal jetzt erstmals eine Safety-to-Cloud-Lösung entwickelt: Alle Sicherheitszuhaltungen und Sicherheitssensoren sowie einige Sicherheitslichtgitter von Schmersal, die mit einem SD-Interface ausgestattet sind, können über die Sicherheitssteuerung PSC1 oder ein SD-Gateway sowie über ein separates Edge-Gateway zyklische Daten in eine beliebige Cloud übertragen. Eine Verknüpfung dieser zyklischen SD-Daten innerhalb der Cloud bietet dem Anwender umfangreiche Diagnosemöglichkeiten, dazu zählen zum Beispiel Schaltzyklen, die Zustandssituation der Sicherheit, Grenzbereichswarnungen, Abstandswarnungen und vieles mehr.
Safety-Installationssysteme
Das Thema Einfache Diagnose wird von den Safety-Installationssystemen adressiert, die Schmersal entwickelt hat. Sie erlauben den schnellen und einfachen Anschluss unterschiedlicher elektronischer Sicherheitsschaltgeräte wie Sensoren und Zuhaltungen gemischt in der jeweiligen Anwendung. Zudem ermöglichen sie – auf der nicht sicheren Ebene – die Einzeldiagnose der angeschlossenen Sicherheitsschaltgeräte. Das bedeutet: Für den Bediener ist genau erkennbar, welcher Schalter in der Reihe ein Signal ausgelöst hat. Auch das trägt zu einer schnelleren Störungsbeseitigung und somit zu einer Erhöhung der Maschinenverfügbarkeit bei.
Es stehen Varianten mit einem passiven Verteilermodul (PDM) oder einer passiven Feldbox (PFB) zu Verfügung. Sie ermöglichen die gemischte Reihenschaltung mit bis zu vier unterschiedlichen elektronischen Sicherheitsschaltgeräten je Modul. Mehrere Module können zu größeren Systemen verschaltet werden. Eine dritte und aktive Variante gibt es für elektromechanische Sicherheitsschalter mit Kontaktausgängen und für Sicherheitssensoren mit elektronischen OSSD-Ausgängen. Hier übernimmt eine Sicherheitseingangserweiterung der SRB-E-Baureihe die aktive elektronische Signalauswertung.
Sicherheitssensoren und -zuhaltungen in der Reihenschaltung, die mit diesem Seriellen-Diagnose(SD)-Interface ausgestattet sind, können umfangreiche Diagnosedaten über das SD-Gateway und einen Feldbus an eine Steuerung übertragen und visualisieren.
Bei der berührungslos wirkenden magnetischen Sicherheitszuhaltung MZM100-SD können das beispielsweise Diagnosedaten oder Fehlermeldungen sein, wie etwa Fehler oder Querschluss an einem Sicherheitsausgang, zu niedrige Betriebsspannung oder defekte Betätiger. Dies ermöglicht eine rasche Fehlerbeseitigung. Erweiterte Diagnosefunktionen ermöglichen künftig auch die vorausschauende Wartung – das ist ein weiteres wichtiges Element von Industrie 4.0.
Sicherheitskonzepte für Industrie 4.0
Der Überblick zeigt: Maschinen- und Elektrokonstrukteure, die funktionale Sicherheit nach den Konzepten von Industrie 4.0 gestalten möchten, müssen nicht bei null anfangen. Ihnen stehen Sicherheitsschaltgeräte, Sicherheitskonzepte und auch Kommunikationsstandards zur Verfügung, mit denen sich Kernelemente von Industrie 4.0 erfüllen lassen: Transparenz in der Informationskette, Vernetzung sowohl mit anderen Sicherheitsschaltgeräten als auch mit höheren, nicht sicherheitsgerichteten Ebenen und sichere Zusammenarbeit von Mensch und Roboter. Zudem werden die Möglichkeiten für Diagnose und Störungsbeseitigung deutlich verbessert.
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